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Bundestagswahl: Warum man doch die Kopie wählen kann

Dass lieber das Original als die Kopie gewählt werde, heißt es immer wieder in der Politik. Der Original-Bonus wird aber überschätzt. Bei null anfangen kann keine Partei. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Zuletzt hatte sich Joachim Herrmann von der CSU den Satz am Wahlabend in der „Berliner Runde“ anhören dürfen, als es um die Ankündigung seines Parteichefs Horst Seehofer ging, es sei die offene „Flanke nach rechts“ zu schließen. Die CSU solle mal lieber aufpassen, was sie da mache und wem sie da folge, sagten die anderen Teilnehmer im warnenden Ton, denn: „Am Ende wählen die Leute dann lieber das Original als die Kopie.“ Als Original in dem Fall war die rechtspopulistische bis rechtsextreme AfD gemeint.

Dass lieber das Original als die Kopie gewählt werde, ist ein beliebter Spruch in den Debatten um die politischen Vorhaben der Parteien. Auch als die SPD Anfang Juni ihre Pläne für eine „starke sozialdemokratische Innenpolitik“ vorstellte, die vor allem auf Innere Sicherheit zielten, hieß es: Da wählt der Bürger doch lieber das Original. Was auch da schon ein Hinweis auf die AfD war. Das Original ist also jeweils die AfD, die Kopie sind immer die anderen. Warum aber kommt die Original-Kopie-Warnung immer nur bei der AfD?

Wenn der CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel seit Jahren nachgesagt wird, sie sozialdemokratisiere ihre Partei, hat das schließlich der SPD nie geholfen, im Gegenteil. Da war die Kopie immer mehr wert als das Original. Die Kopie hat sich das Original einverleibt und es übertrumpft, ganz so wie bei dem Lied „Cocaine“ von J. J. Cale, das erst in der Version von Eric Clapton die Charts stürmte. Auch in der Beurteilung der Grünen zählt der Original-Bonus nicht wirklich. Sie haben zwar die Umweltthemen in die Politik gebracht, aber damit, so wurde es immer wieder herausgearbeitet, auch ihre Schuldigkeit getan. Jetzt freuen sich die Kopisten, allen voran wieder Angela Merkel, über die mehrheitsfähigen Ex-Original-Themen der Grünen-Partei.

Das Original scheint immer die AfD zu sein

Aber wenn weder bei der SPD noch den Grünen die Urheberschaft irgendwelcher Ideen allein schon ein Pluspunkt oder Wahlgrund war und ist, sollte das auch nicht für die Positionen der AfD gelten, die sich inzwischen in ähnlicher Form auch in den To-do-Listen anderer Parteien finden. Warum den Wählern nicht zutrauen, dass sie den Unterschied zwischen einem rechtspopulistischen und einem beispielsweise christdemokratischen Politikansatz sehr wohl erkennen, auch wenn einige Punkte darin sich ähneln?

Ohnehin darf bezweifelt werden, dass Begriffe wie Original und Kopie heute noch mit der Wucht Wirkung erzielen, wie es in der Antike vielleicht mal war, als die Kopie als untertänigste Ehrerweisung ans Original galt. Lange her das! Inzwischen gilt doch eher, dass im Grunde alles Leben vor allem Kopie ist.

Wenn Menschen über etwas nachzudenken beginnen, greifen sie auf das zurück, was andere vor ihnen schon gedacht haben. Es wäre doch lächerlich, wenn jeder immer wieder bei null anfinge, nur um dem Kopier-Vorwurf zu entgehen. Originalität fußt schließlich auf der dem Werk zugrunde liegenden Idee, nicht auf dem äußeren Erscheinungsbild. So jedenfalls argumentieren sie in der Kunstwelt. Warum soll das nicht in der Politik gelten?

Immer bei null anfangen, um dem Kopier-Vorwurf zu entgehen?

Sie AfD hat die politischen Diskurse und Antworten in diesem Land verändert, und das kam bei vielen Menschen gut an. Davon inspiriert überdachten auch andere Parteien ihre Standpunkte und adaptierten ein paar Punkte davon. Ihren eigenen Kern geben sie damit nicht automatisch auf. Hinterfragenswert sind viel eher die Motive für die Adaptionen: Will eine Partei nur schnell verloren geglaubten Boden wettmachen durch billiges Nachplappern? Oder generiert sie aus einer sich verändernden Debatte etwas Eigenes? Etwas, das dann für sich genommen vielleicht sogar wieder das Prädikat „original“ verdienen könnte.

Aber am Ende ist genau das das Problem. Dass den Bürgern, den Wählern, die Überzeugung oder auch nur der Glaube abhandengekommen ist, dass in den Parteien noch viele Ideen entstehen, die etwas Originales sind. Dass sich stattdessen im Neu-Zusammenschneiden des Altbekannten alle Weisheit erschöpft und nicht mal die Anstrengung erkennbar ist, mit der nach dem Neuen gesucht wird. Man hat sich seine Textbausteine zusammengesucht und schiebt die jetzt hin und her – wie eben auch den Satz von dem Original, das lieber gewählt würde als die Kopie.

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