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Bundestagswahl: Wir sind Kanzlerin

Merkel verzichtet beim Wahlkampfauftakt der Union auf Angriff und wendet sich an alle Deutschen. Je länger sie spricht, desto deutlicher wird aber ohnehin, dass sie nicht in erster Linie als Parteikämpferin wahrgenommen werden will.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Horst Seehofer ist die Bescheidenheit in Person. Das sei nun mal das Schicksal des CSU-Vorsitzenden, wenn er vor der Kanzlerin spreche: „Dann hat er mehr die Funktion eines Messdieners.“ Seehofer beugt sich mit einem leisen Lächeln in Richtung Angela Merkel, „menschlich und kollegial ein Freund“ sei die, aber außerdem, und das ist an diesem Montag sowieso das Wichtigste: „Sie ist unsere Kanzlerin, und sie wird es bleiben.“ Die gut 700 Parteimitglieder im großen Saal des einstigen Hauses des Lehrers am Alexanderplatz applaudieren programmgemäß. „Wir haben die Kraft“, das Motto des Wahlprogramms mit dem schwarz-rot-golden unterlegten „Wir“, prangt groß an der Bühnenwand. Das ist offenbar als teutonische Übersetzung eines anderen, weltberühmten Wahlwerbespruchs gedacht: „Yes, we can.“

Was das angeht, sind Selbstzweifel beim Wahlkampfauftakt von CDU und CSU jedenfalls nicht erkennbar. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla gibt gleich zu Anfang die groben Linien für die nächsten drei Monate vor: „Nicht die Zeit für Experimente“ heißt eine, „Politik mit Augenmaß“ eine andere, „Für die Mitte unserer Gesellschaft“ die dritte, und das alles zusammen ergebe „Union pur“.

Das Publikum klatscht. Dann betritt der Professor Ernst Elitz die Bühne, früher Chef des Deutschlandradios, jetzt Pensionär. Auf der Bühne stehen Ledersessel. Es sieht aus wie in einer Talkshow, mit Elitz als Moderator und der versammelten Prominenz von CDU und CSU nacheinander als Gästen.

Aber das Arrangement täuscht ein bisschen. Elitz tut nur so, als ob er ernsthaft Fragen stellte, und seine „Gäste“ tun nur so, als ob sie sich die Antwort überlegen müssten. Karl-Theodor zu Guttenberg zum Beispiel fällt auf die Frage nach seinen „drei Raus-aus-der-Krise-Botschaften“ prompt der „Dreiklang“ aus Wachstumsanreiz, Sparen und Zukunftsinvestitionen ein, der genau so im Wahlprogramm steht. Roland Koch bekommt Gelegenheit zu leichter SPD-Beschimpfung bei: „Für uns ist staatliche Hilfe ein Akt der Feuerwehr, für die Sozialdemokraten ist staatliche Hilfe Landschaftspflege.“ Und Günther Oettinger wird natürlich nicht nach der Mehrwertsteuer gefragt, sondern als Ministerpräsident des „Lands der Tüftler“ vorgestellt und muss über Bildung sprechen. Später wird ihm Merkel den ironischen Hinweis widmen, Querdenken sei ja ganz gut für eine Volkspartei, aber nicht 90 Tage vor der Wahl: „Wir haben jetzt genug gedacht.“ Oettinger lächelt schuldbewusst.

Das alles plätschert dahin, und so bietet sich Gelegenheit zu Beobachtungen am Rande. Guttenberg zum Beispiel. Der Wirtschaftsminister wird auf dem Gang zum Ledersessel derart enthusiastisch begrüßt, dass er den Applaus mit Handbewegungen dämpfen muss. Später, als er erläutert, dass man in Kredit- und Bürgschaftsfragen sehr genau die selbst gesetzten Regeln und Prinzipien beachten müsse, lohnt ein Seitenblick auf seinen Chef. Alle klatschen. Seehofer nicht. Von Prinzipien, sofern sie das Versandhaus Quelle mit Sitz in Bayern betreffen, hält er derzeit nicht so viel.

Aber das alles ist sowieso nur das Vorprogramm. Als Angela Merkel zum Rednerpult in der Mitte des kreisrunden Saals geht, schwillt der Applaus programmgemäß kräftig an. „Wir haben die Kraft – und das seit 60 Jahren“, sagt die CDU-Vorsitzende. Noch einmal zählt sie die Verdienste der Vergangenheit auf, von der Währungsreform bis zur deutschen Einheit, die immer mit dem Namen Helmut Kohls verbunden sei, „den ich von hier aus herzlich grüße“. In den Applaus mischt sich jetzt leise Verblüffung. Der Gruß ist nicht gerade Standardrepertoire in Merkel-Reden.

Je länger sie spricht, desto deutlicher wird aber ohnehin, dass sie nicht in erster Linie als Parteikämpferin wahrgenommen werden will. Kein Wort gegen die SPD, am Ende nur ein Wort für die FDP als Koalitionspartnerin einer, bitte, möglichst starken Union. Doch dazwischen spricht die Kanzlerin aller Deutschen. Das Wir im Wahlkampfmotto, sagte Merkel sogar ausdrücklich, sei nicht „das Wir der Mitglieder einer Partei“. „Unser Angebot ist: Seid alle dabei! Alle sind herzlich eingeladen, ihren Beitrag für unser Land zu leisten.“ Wirkt irgendwie schon wieder wie die teutonische Version jenes weltberühmten anderen Wahlkampfs.

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