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Bundesverfassungsgericht: Können deutsche Richter über Europa entscheiden?

Am heutigen Dienstag wird das Bundesverfassungsgericht über mehrere Eilanträge gegen die Zustimmungsgesetze zu ESM und Fiskalpakt beraten. Am Ende könnte das vereinte Europa an einer Entscheidung aus Karlsruhe scheitern.

Von Robert Birnbaum

Über Mangel an Ratschlägen, was es zu tun und zu lassen hat, kann sich das Bundesverfassungsgericht diesmal wirklich nicht beschweren. Der Bundespräsident hat die Richter schon vor Wochen wissen lassen, er rechne damit, dass sie den europäischen Fiskalvertrag und den Euro-Rettungsschirm passieren ließen. Am Tag vor der mündlichen Verhandlung gesellten sich weitere Stimmen dazu – Vizekanzler Philipp Rösler (FDP) baut auf ein Ja, der Justitiar der Union, Michael Brand, warnt vor einem Nein.

Die schärfste Vorab-Stimme aber stammt von Röslers Parteifreund Alexander Graf Lambsdorff: Die Karlsruher seien mit den Vorgängen im vereinten Europa nicht wirklich vertraut, was zu „Fehleinschätzungen aus Unkenntnis“ führe. Man könnte den Europaabgeordneten als einzelne Stimme abtun. Aber was Lambsdorff ausspricht, treibt in Brüssel, Straßburg und auch in Berlin insgeheim viele um. Die Sorge ist groß, dass ein am deutschen Staatsrecht geschultes Gremium irgendwann ein Urteil fällt, das Europas wichtigsten Mitgliedsstaat praktisch handlungsunfähig macht.

Video: Keine endgültige Entscheidung in Karlsruhe

Die Sorge wird vom Gericht durchaus selbst geschürt. Präsident Andreas Voßkuhle geizt seinerseits nicht mit Mahnungen an die Politik, wenn er immer wieder betont, die Vereinigung Europas stoße allmählich an die deutschen Verfassungsgrenzen. Er sei, beteuert Voßkuhle dann, kein Anti-Europäer, im Gegenteil; aber wer mehr Europa verlange, brauche dafür eine neue juristisch-demokratische Legitimation. Dem steht die Phalanx der Politiker gegenüber, die das Grundgesetz für allemal so europafreundlich halten, dass noch viele Brüsseler Gipfelbeschlüsse unter sein Dach passen würden – wenn, ja wenn man denn will.

Ob man will – in der Politik gibt es, wie gesagt, daran verbreitet Zweifel. Und Lambsdorff ist bei weitem nicht der Einzige, der sie offen anspricht. Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, hat schon gegrummelt. Sein Vorgänger Hans-Gert Pöttering ist neulich sehr deutlich geworden. Pöttering, als Chef der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem aktiven Dienst praktisch ausgeschieden, hat dem Gericht in einer öffentlich kaum beachteten Rede zu einem rechtspolitischen Seminar die Leviten gelesen. In Karlsruhe, so sein Eindruck, denke man gewissermaßen zu deutsch. Pötterings Musterbeispiel ist das Urteil, in dem das Bundesverfassungsgericht die Fünf-Prozent-Klausel bei der Europawahl kippte. Wer das Europaparlament an den Maßstäben deutscher Gemeinderäte messe, könne zu diesem Urteil kommen, fand der CDU-Politiker – nur sei so etwas wie gleiches Gewicht für jede Stimme in einem multinationalen Parlament dieser Art sinnlos: Entweder dürfte dann das kleine Luxemburg gar keinen Abgeordneten stellen statt bisher sechs – oder das Parlament müsste sich auf 6000 Sitze aufblähen.

Präsident Voßkuhle warnte bereits bei den Griechenland-Hilfen

Vergleichbare Sorgen kursieren bei jeder neuen Verfassungsklage unter denen, die in Berlin mit der Euro-Rettung befasst sind: Auch diese historisch wie ökonomisch nie dagewesene Herausforderung könne man nicht mit den normalen Maßstäben solider nationaler Haushaltsführung messen, argumentieren sie.

Dass das Gericht das nicht ganz so sieht, ist aus früheren Urteilen abzulesen. Präsident Voßkuhle, dessen Senat auch diesmal zuständig ist, hatte schon beim Urteil über die ersten Griechenland-Hilfen gewarnt, man möge die Genehmigung für das Milliarden-Rettungspaket nicht als „Blanko-Ermächtigung“ für das nächste und folgende missdeuten. Solche Hinweise, teils mündlich, teils in den Urteilen selbst zu finden, sind es auch, auf die die Kläger ihre Beschwerden gegen ESM und Fiskalpakt gründen. Sie fordern das Gericht gewissermaßen auf, seinen eigenen Andeutungen Taten folgen zu lassen.

Konkret gestoppt haben die Richter die Politik aber bisher nicht. Ob sie das diesmal tun, wird man bald wissen. Zwar dient die Verhandlung am Dienstag formell nur dazu, eine Einstweilige Verfügung vorzubereiten. Doch die vom Gericht vorab verteilte Gliederung der Anhörung umfasst alle inhaltlichen Kritikpunkte der Kläger, ganz so als stünde hier bereits die Hauptverhandlung an. Und faktisch ist sie das ja auch. Beide beklagten Gesetze betreffen völkerrechtliche Vertragswerke, die international in Kraft treten, sobald der Bundespräsident sie unterschreibt. Lehnt das Gericht eine Einstweilige Anordnung ab, ist das eigentliche Urteil nur noch von begrenzter Wirkung. Stoppt es aber die Gesetze bis zum Hauptentscheid, dann wird es spannend. Das könnte dann der erste Fall werden, in dem das vereinte Europa tatsächlich am deutschen Verfassungsgericht scheitert.

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