zum Hauptinhalt
Am Donnerstag gilt es: Das Bundesverfassungsgericht wird sein Urteil fällen.

© dapd

Bundesverfassungsgericht über ESM: Wer regiert den Euro?

Karlsruhe hat ein historisches Urteil gefällt: Es hat den von der Politik eingeschlagenen Weg zur Eurorettung gebilligt - mit Vorbehalten. Doch wer regiert eigentlich den Euro?

Von

Die politischen Beobachter scheuen keinen Superlativ, wenn es um die Bedeutung des Spruchs des Bundesverfassungsgerichts geht. Vom „Jahrhunderturteil“ ist die Rede, das über die Zukunft der europäischen Gemeinschaftswährung entscheidet.

Nun, zunächst einmal mussten die acht Richter des Zweiten Senats allein darüber entscheiden, ob Deutschland sich am Euro-Stabilitätsmechanismus ESM (European Stability Mechanism) beteiligen darf. Dieser ständige Rettungsschirm für krisengeschüttelte Euro-Staaten soll den bisherigen EFSF ablösen - und das Bundesverfassungsgericht sagt "Ja", wenn auch mit Vorbehalten.

Auf Deutschland entfallen 190 Milliarden der insgesamt 700 Milliarden Euro, also rund 27 Prozent der Gesamtsumme des ESM. Darunter sind 22 Milliarden Euro Barkapital, das in fünf Raten überwiesen werden muss, und 168 Milliarden abrufbares Kapital. Für die Kläger in Karlsruhe verbirgt sich hinter all dem ein unkalkulierbares Risiko für den Bundeshaushalt.

Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, wer tatsächlich über die Zukunft des Euro entscheidet.

ANGELA MERKEL (CDU), Bundeskanzlerin

Das Vertrauen, das Angela Merkel in der deutschen Bevölkerung genießt, dürfte seine Ursachen auch in dem Gefühl haben, dass sich die Kanzlerin gegen eine Vergemeinschaftung der Schulden anderer europäischer Länder zulasten Deutschlands stemmt. Merkels Europäischer Rettungsschirm ESM wird dabei als notwendiges Übel in Kauf genommen, über dessen Einsatz zugunsten klammer Krisenländer der Bundestag zumindest in jedem Einzelfall abstimmen muss.

Auch die „uneingeschränkte Unterstützung“, die Merkel vergangene Woche dem deutschen Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann zuteil werden ließ, als der sich im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) gegen Programme zum Aufkauf von Staatsanleihen einzelner Euro-Länder stemmte, wurde als Beleg dafür gewertet, dass Merkel im deutschen Interesse handelt.

Spätestens am vergangenen Donnerstag hat dieses Image einen Knacks bekommen. Denn an diesem Tag hat Merkel (wenn auch zurückhaltend) begrüßt, was sie zuvor scheinbar abgelehnt hat: den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB.

Auch wenn EZB-Chef Mario Draghi versprochen hat, nur Anleihen von Ländern zu kaufen, die zuvor ein (demokratisch legitimiertes) ESM-Programm beantragt haben, kommt der Einsatz der Zentralbanker ohne Plazet des Bundestages in den Augen vieler einem Dammbruch gleich. Schließlich hat Deutschland im Führungsgremium der EZB nur eine Stimme und muss im schlimmsten Fall mit ansehen, wie im Interesse anderer Euro-Länder die Gelddruckmaschine angeworfen wird und die Spareinlagen der Deutschen durch zunehmende Inflation entwertet werden.

Der SPD-Parlamentarier Thomas Oppermann hat Merkel deshalb „Scheinheiligkeit“ vorgeworfen. Weil die Kanzlerin bei ihrem Euro-Kurs mittlerweile keine eigenen Mehrheiten in der schwarz-gelben Koalition mehr habe, billige sie zähneknirschend den Einsatz der EZB, den sie eigentlich ablehne, sagt Oppermann.

In der Tat steckt Angela Merkel mit ihrem Euro-Rettungslatein in einer Sackgasse fest: Die Angst in der Union und der FDP vor einem ungezügelten Ausverkauf deutscher Finanzinteressen ist mittlerweile so groß, dass es Merkel schwerfallen würde, etwa für ein drittes Hilfspaket für Griechenland oder eine Aufstockung der Finanzmittel des ESM eine eigene Mehrheit im Parlament zu organisieren.

Und weil auch die Neigung der Sozialdemokraten zur Stützung des Merkel-Kurses im Bundestag immer kleiner wird, muss die Kanzlerin den angekündigten Feuerwehreinsatz der Zentralbanker im Stillen sogar gutheißen und darauf hoffen, dass niemandem auffällt, dass sie gleichzeitig zwei unvereinbare Kurse unterstützt: den der EZB und den von Bundesbanker Weidmann, dem einzigen Gegner von Anleihekäufen der EZB.

Präsident des Bundesverfassungsgerichts

ANDREAS VOSSKUHLE
Andreas Voßkuhle möchte kein Solo-Akteur in der Eurokrise sein, und er ist es auch nicht. Zwar steht der 48-jährige Spitzenjurist als Präsident dem Bundesverfassungsgericht vor und führt den Vorsitz im Zweiten Senat, der heute das Urteil gesprochen hat, dennoch ist er in den Beratungen und bei Abstimmungen nur einer von acht.

Ein Präsident im Bund. Da gibt es keine Weisungen und keine Gremiendisziplin. Jeder der Acht sagt, was ihm wichtig ist; wer sich nicht durchsetzt, kann gegen die Richtermehrheit stimmen oder sogar ein Sondervotum anfügen, in dem er seine Sicht darlegt. Als Recht gilt jedoch nur, was die meisten in der Runde überzeugt hat.

Trotzdem nimmt der 2008 nach einem juristischen Mustercurriculum auf Vorschlag der SPD ans Gericht Berufene eine Sonderrolle ein. Das liegt an seinen sparsamen, aber gehaltvollen öffentlichen Einlassungen außerhalb von Urteilen ebenso wie an der Zuständigkeit seines Senats für die wichtigen und zunehmend polarisierenden Europafragen. Hier gilt Voßkuhle als einer, der Temperamente zusammenführt.

So ergingen die Entscheidungen regelmäßig einstimmig, auch im bis heute umstrittenen Lissabon-Urteil von 2009, mit dem das Bundesverfassungsgericht bei aller Offenheit für Europa wieder ein stärkeres Bewusstsein für die Grenzen des Grundgesetzes eingefordert hatte.

Daraus prinzipielle Europaskepsis abzuleiten, wäre verfehlt. Die Feder geführt hatte beim Lissabon-Entscheid der mittlerweile ausgeschiedene Richter Udo Di Fabio. Dass nunmehr acht deutsche Richter in zentralen Fragen Europa mitgestalten sollen, löst im Ausland zuweilen Unbehagen aus. Verfassungsgerichte mit vergleichbarer Machtposition gibt es dort nicht.

Nun werfen manche den Klägern vor, sie missbrauchten das Gericht für ihre politischen Zwecke. Solche Kritik verkennt, dass die Ziele des Grundgesetzes politischer Natur sein können. Ebenso hat man das Gericht bewusst für politische Kläger geöffnet, insofern darf man sich nicht wundern, wenn es sich die Opposition nach Parlamentsniederlagen zur Gewohnheit gemacht hat, nach Karlsruhe zu ziehen.

Es zeichnet die Richter in Karlsruhe aus, keine Aufträge der sie entsandt habenden Parteien anzunehmen. Vermutlich hat Voßkuhle Angela Merkels Bitte, Bundespräsident zu werden, abgelehnt, weil er politisch einiges zu sagen hat, aber nicht viel reden will. Für das Amt im Schloss Bellevue ist es umgekehrt erforderlich.

Präsident der Europäischen Zentralbank

MARIO DRAGHI

Viele politische Beobachter hatten sich verwundert die Augen gerieben: Am Abend desselben Tages, an dem EZB-Präsident Mario Draghi die unbegrenzten Anleihenkäufe von Euro-Krisenstaaten angekündigt hatte, begegnete der deutsche Finanzminister dem Bankenmanager bei einer Veranstaltung in Potsdam überaus wohlgestimmt und freundschaftlich. Dabei hatte Schäuble noch im unmittelbaren Vorfeld der EZB-Entscheidung keinen Zweifel daran gelassen, dass die Deutschen solche Anleihenankäufe ablehnen, weil das europäische Schuldenproblem nicht mit der Notenbankpresse gelöst werden könne.

Doch wie Schäuble stieg auch die Bundeskanzlerin auf sanfte Akzeptanz um: Die angekündigten Maßnahmen der EZB seien durch das Mandat der Institution gedeckt. Außerdem würden Anleihen nur unter strengen Auflagen für die Krisenstaaten aufgekauft.

Dass zumindest Letzteres nicht so ganz stimmt, scheint sich nun herauszuschälen. Die Hürden für hoch verschuldete Länder, die auf Hilfe der EZB hoffen, sind viel niedriger als jene, die sie übersteigen müssen, wenn sie das volle ESM-Programm in Anspruch nehmen wollen – wie es derzeit Griechen, Portugiesen und Iren erfahren.

Ist Mario Draghi also tatsächlich der „Falschmünzer“, als den ihn unlängst CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt bezeichnet hatte? Denn der 65-jährige Italiener, der seit dem 1. September vergangenen Jahres der Europäischen Zentralbank vorsteht, hatte vor der Presse am vergangenen Donnerstag in Frankfurt am Main gesagt, Bedingung des neuen Programms sei, dass sich Staaten unter die Kontrolle der Euro-Rettungsfonds EFSF oder ESM stellten. Nur wenn die Fonds aktiv würden, werde auch die EZB Anleihen kaufen. Damit, so wurde es allgemein verstanden, dürften klare Sparvorgaben einhergehen.

Freilich ist nicht von vornherein davon auszugehen, dass Draghi, der von 2006 bis 2011 Präsident der italienischen Nationalbank war, bewusst schwammig formulierte, um den zahlreichen Gegnern der Anleihenkäufe keine zusätzliche Munition zu liefern. Denkbar ist genauso, dass die Details der Bedingungen erst noch ausformuliert werden.

Praktisch hat sich die Europäische Zentralbank mit Draghi an der Spitze zum eigentlichen Euro-Retter aufgeschwungen – um welchen Preis freilich das geschieht, wird sich erst noch erweisen müssen. Die jüngsten Äußerungen der Regierungschefs aus Italien und Spanien, sich auf keinen Fall irgendwelchen Spardiktaten und Troika-Kontrollen zu unterwerfen, deuten darauf hin, dass zumindest eine kräftige Portion Pragmatismus bei Draghis Handeln mitschwang.

Kläger in Karlsruhe

PETER GAUWEILER (CSU)
Mit Niederlagen kennt er sich mittlerweile aus, auch mit solchen in Karlsruhe. Peter Gauweiler steht auf der heimlichen Hitliste der Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht auf einem der vorderen Plätze. So regelmäßig zieht der CSU-Bundestagsabgeordnete juristisch gegen alles zu Felde, was ihm als Einschränkung deutscher Souveränität erscheint, dass man fast schon meinen sollte, er kann nicht anders.

Sein jüngster Eilantrag gegen die Staatsanleihen-Kaufentscheidung der EZB las sich denn auch arg prinzipienreiterisch – dafür ist Gauweiler eigentlich ein viel zu guter Jurist.

Glattweg gesiegt hat Gauweiler in Karlsruhe ja ohnehin noch nie. Glatt abgewiesen worden ist er aber auch nur einmal und aus formalen Gründen, als er den Einsatz deutscher Tornados in Afghanistan stoppen wollte. Seine Anti-Europa-Klagen hingegen haben immer dazu beigetragen, dass in der Folge Rechte des Bundestages und des einzelnen Abgeordneten geklärt, gestärkt, erweitert wurden.

Diese Klagen lesen sich übrigens – anders als die trockenen Klageschriften der Mitkläger um die Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin – höchst vergnüglich, weil der 63-Jährige aus seinem Herzen keine Mördergrube macht.

Sie sind zugleich das Bekenntnis eines ebenso leidenschaftlichen wie weltgewandten Regionalisten. Gauweiler misstraut dem vereinten Europa, wie er schon dem vereinten Deutschland misstraut, weil beiden die Tendenz innewohnt, den Eigensinn der Regionen mit preußischen Paragrafen zu biegen und zu brechen. Als Typus ist so einer selbst in Bayern selten geworden.

In seinen Reden und Zeitungsartikeln taucht als Kronzeuge denn auch öfter der Reichstagsabgeordnete Georg Eisenberger auf. Der „Hutzenauer“, ein Waldarbeiter aus Ruhpolding, hat in der Weimarer Republik den „Bayerischen Bauernbund“ vertreten. Eisenberger trug Tracht statt Anzug und sprach Dialekt statt Hochdeutsch – ein Alter Ego, dem Gauweiler sich immer mal wieder anzuverwandeln versucht.

So richtig klappt das nicht, weil er eben nicht naiv volksnah ist, sondern blitzgescheit und also bestenfalls volkstümlich bis hin zum Populisten. Bei den eigenen Truppen schwanken sie zwischen Faszination für den Mann, der vielleicht am besten das erratische Erbe seines Mentors Franz Josef Strauß bewahrt hat – und Zorn auf den Einzelgänger, der vor Gericht Abgeordnetenrechte einklagt, die er selbst mangels regelmäßiger Anwesenheit im Parlament gar nicht wahrnimmt.

Gauweilers größte Niederlage spiegelt dieses Verhältnis exakt wider: Als er sich 2011 um den CSU-Vizevorsitz bewarb, war die Hälfte des Parteitags für den Außenseiter und die andere, knapp größere Hälfte für den Minister Peter Ramsauer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false