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Bundeswehr-Einsatz: Mit voller Gefahr

In Afghanistan sind erneut deutsche Soldaten bei Gefechten ums Leben gekommen. Wie konnte es dazu kommen?

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Es ist der zweite schwere Zwischenfall in Afghanistan innerhalb weniger Tage, den die Bundeswehr verkraften muss. Erst vor zwei Wochen sind drei Bundeswehrsoldaten bei Gefechten in der Nähe von Kundus ums Leben gekommen. Jetzt starben vier Soldaten bei Kämpfen mit Taliban, mehrere wurden verletzt.

Was genau ist passiert?

Die Bundesregierung hat den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses am Donnerstag in einem knappen Kommuniqué Folgendes mitgeteilt: „Am 15.04.10, gegen 12:00 deutscher Zeit, wurde ein geschütztes Fahrzeug vom Typ EAGLE IV rund sechs Kilometer nördlich der Stadt Baghlan (Verantwortungsbereich Provincial Reconstruction Team (PRT) Pol-e Khomri), nahe der sogenannten „Dutch- Bridge“, durch Opposing Militant Forces (OMF) vermutlich mit einer Rakete beschossen. Dabei wurden das Fahrzeug sowie die sich in der Nähe des Fahrzeugs befindlichen deutschen Soldaten (. . .) getroffen. Nach bisher vorliegenden Informationen sind dabei vier deutsche Soldaten gefallen, fünf weitere wurden verwundet, einige davon schwer. Die Angehörigen sind noch nicht informiert. (. . .)“

Würde anderes Material in solchen Situationen helfen?

Nach den Gefechten am Karfreitag, bei denen drei Bundeswehrsoldaten getötet und acht weitere zum Teil schwer verletzt worden waren, war die Debatte über die Ausrüstung der Truppe am Hindukusch wieder aufgekommen. Der Vorfall vom Donnerstag wird diese Diskussion mit Sicherheit neu anheizen. Besondere Bedeutung hat dabei die Frage, wie die Männer und Frauen außerhalb der Lager geschützt sind und welche Waffen sie zur Verfügung haben. Zurzeit stehen den rund 4500 deutschen Soldaten, die am Einsatz beteiligt sind, nach Angaben des Einsatzführungskommandos (EFK) in Potsdam rund 1000 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge zur Verfügung.

Der Eagle ist eines der neuesten Kampffahrzeuge der Bundeswehr und speziell für militärische Einsätze wie dem in Afghanistan konzipiert. Der Geländewagen ist rund 8,5 Tonnen schwer und verfügt über mehr als 240 PS. In ihm haben fünf Soldaten Platz. Seine Panzerung soll vor Minen und Gewehrfeuer schützen – dem Beschuss aus Panzerfäusten hält sie aber auch nicht stand. Es gibt das Fahrzeug in unterschiedlichen Ausstattungen, etwa als Kommandofahrzeug oder als militärischer Notarztwagen. Die Auslieferung an die Truppe begann 2009, derzeit sind laut dem Verteidigungsministerium 33 Eagle in Afghanistan. Kurz vor dem tödlichen Vorfall am Donnerstag hatte das Ministerium bestätigt, dass mit dem Schweizer Hersteller Mowag ein Vertrag über die Lieferung von 60 weiteren Eagle IV unterzeichnet wurde. Sie würden der Truppe ab 2011 zur Verfügung stehen.

Die Truppen in der heftig umkämpften Provinz Kundus sollen außerdem zusätzliche Schützpanzer Marder erhalten. Zurzeit stehen nach Angaben eines EFK-Sprechers insgesamt zehn Marder zur Verfügung. Stationiert sind diese in den Feldlagern Masar-i-Scharif und Kundus. Der Marder ist mehr als 33 Tonnen schwer, mit seinem 600 PS-Motor wird der Panzer bis zu 65 Kilometer schnell. Neun Soldaten haben in dem Gefährt Platz. Sechs der Insassen sind Infanteristen, die den Panzer über eine Heckklappe verlassen können. Der Marder ist mit einer panzerbrechenden Maschinenkanone ausgestattet. Da die Bundeswehr über keine Lufttransportkapazitäten für so schweres Gerät verfügt, bleibt nur die Möglichkeit, Marder aus Masar-i-Scharif abzuziehen.

Erst am Mittwoch hatte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bei seinem Besuch in Afghanistan angekündigt, dass wegen der eskalierenden Gefechte zwei Panzerhaubitzen 2000 nach Kundus verlegt werden. Die mit drei bis fünf Soldaten besetzte Haubitze ist ein auf ein Panzerfahrgestell montiertes, mehr als 55 Tonnen schweres fahrbares Artilleriegeschütz mit großer Feuerkraft. Von der niederländischen Armee wird das Geschütz bereits seit längerem bei Kämpfen in Südafghanistan eingesetzt. Nach Aussagen hoher Militärs der Bundeswehr soll der Einsatz solch schwerer Waffen aber das letzte Mittel bleiben. Ob die Haubitzen bei den Vorfällen am Karfreitag und auch gestern hätten eingesetzt werden können, gilt als fraglich.

Die vom designierten Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus im Tagesspiegel geforderte Entsendung von Leopard-2- Kampfpanzern lehnt Guttenberg ab, weil die schweren Fahrzeuge für das Gelände um Kundus nicht geeignet seien. Dass der „Leo“, wie er von der Truppe genannt wird, den besten Schutz gegen Sprengsätze bietet, ist aber unbestritten.

Welche Strategie verfolgen die Taliban?

Das strategische Ziel der Taliban ist sehr ehrgeizig. Sie wollen die Bundeswehr zum Rückzug aus Afghanistan zwingen und damit einen zentralen Pfeiler aus dem westlichen Sicherheitskonzept für das Land herausbrechen – in der Hoffnung, dass die Nato und vor allem die Amerikaner den Einsatz komplett aufgeben. Die Schläge gegen die Bundeswehr sollen allerdings vor allem die deutsche Öffentlichkeit beeindrucken und ängstigen. Deshalb wenden die Taliban eine doppelte Taktik an: Sie verschärfen die Angriffe auf die Bundeswehr, gleichzeitig wird der Psychokrieg gegen Deutschland weiter angefacht. Seit Anfang 2009 sendet die Taliban permanent Drohungen Richtung Deutschland.

Die Taliban haben eine Langzeitperspektive. Ob der Krieg in Afghanistan noch zehn Monate dauert oder zehn Jahre, ist ihnen gleichgültig. Beharrlich nisten sich die Kämpfer im Norden Afghanistans in den von Paschtunen bewohnten Gebieten ein, um von dort aus die Bundeswehr in der gesamten Fläche zu bekämpfen. Sicherheitsexperten sprechen schon lange von der Faustregel, dass die Taliban überall dort stark sind, wo es paschtunische Inseln gibt. Die paschtunischen Stämme haben seit Jahrhunderten gegen fremde Herrscher gekämpft. In dieser Tradition sehen sich auch die Taliban, in deren Reihen fast ausschließlich Paschtunen aktiv sind.

Militärisch haben die Taliban in den vergangenen Jahren deutlich zugelegt. Neben den Attacken mit Sprengfallen, Sicherheitsexperten sprechen von „roadside bombs“, gehen die Taliban zu Angriffen mit Raketen über. Dabei wird nicht nur nach der hit-and-run-Methode das Geschoss abgefeuert und dann geflüchtet. Inzwischen schießen die Taliban Raketen ab, um aus dem Hinterhalt heraus Gefechte zu provozieren, die auch länger anhalten können. So könnte es auch bei dem jüngsten Zwischenfall gewesen sein.

Dazu passt die Taktik, mit zahlreichen Drohungen eine Zermürbung der deutschen Öffentlichkeit zu versuchen. Vor der Bundestagswahl im September 2009 wurde Deutschland mit Drohbotschaften überschüttet. Dahinter steckten die Taliban und die mit ihnen verbündeten Terrororganisationen Al Qaida und Islamic Jihad Union (IJU). Die usbekische IJU hatte zudem die Sauerlandgruppe gesteuert, die in der Bundesrepublik verheerende Anschläge mit Autobomben verüben wollte. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte im März vier Mitglieder zu hohen Haftstrafen.

Der Psychoterror geht weiter. Vor wenigen Tagen hat eine Gruppierung namens „Deutsche Taliban-Mudschaheddin“ in einem Video behauptet, sie hätten Anschläge auf afghanische und amerikanische Soldaten verübt. Zu den sogenannten deutschen Taliban gehört offenbar auch der saarländische Konvertit Eric Breininger, der enge Kontakte zu Mitgliedern der Sauerlandgruppe unterhalten hatte und sich vermutlich in Terrorcamps an der pakistanisch-afghanischen Grenze aufhält. Im September vergangenen Jahres hatten die Deutschen Taliban-Mudschaheddin bereits der Bundesrepublik mit Anschlägen gedroht.

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