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Bundeswehr: Von Afghanistan nach Hause

Mehr und mehr überlassen die Isaf-Soldaten den Afghanen die erste Reihe. Bis Ende 2014 will die Bundeswehr komplett aus Afghanistan abziehen. Wie geht das logistisch?

Die Verantwortlichen für den Afghanistan-Einsatz versuchen derzeit eine komplizierte Übung hinzubekommen, die nicht im Sport-Übungsplan steht: einen Spagat. Denn obwohl in Deutschland viele davon reden, dass die militärische Mission am Hindukusch 2014 endet, müssen die Soldaten bis dahin noch ihre Aufgabe erfüllen, die Afghanen zu unterstützen. Darauf legt auch der im Regionalkommando Nord zuständige Kommandeur, der deutsche Generalmajor Erich Pfeffer, großen Wert. Seine Aufgabe sei nicht der Abzug, sagt er. Die Sicht, die sich in Deutschland breitmacht, behagt ihm offensichtlich nicht. Er kann nicht verstehen, dass Soldaten zu Hause gefragt werden, warum sie überhaupt noch nach Afghanistan gehen, wo da sowieso bald Schluss sei. Mehr und mehr überlassen die Isaf-Soldaten zwar den Afghanen die erste Reihe, aber in der zweiten gibt es noch viel zu tun, zum Beispiel auch bei Sondereinsätzen wie vor einigen Wochen, als die Afghanen um Hilfe bei einer Flut baten.

Trotzdem muss sich die Führung in Masar-i-Scharif am Fuß des Hindukusch wie im Einsatzführungskommando der Bundeswehr bei Potsdam mit dem Rückzug befassen. Dieses Wort aber hören sie nicht so gern. Im Militärjargon heißt es „Redeployment“ oder Rückverlegung. Rückzug klingt zu sehr nach Flucht. „Das ist ja nicht wie bei den Indianern im Wilden Westen, wo die Truppe von drei Seiten umzingelt ist und der Letzte mit der Fahne in der Hand unter Feinddruck in die letzte noch offene Richtung stürzt“, sagt einer.

Solche Gefühlsausbrüche würden sich die beiden Obersten, die die Planung am Schwielowsee leiten, im Dienst nicht erlauben. Sie müssen eine gigantische Operation planen. Längst machen sie Pläne, um all das, was die Bundeswehr in den vergangenen Jahren nach Afghanistan geschafft hat, wieder nach Hause zu holen. „Jede einzelne Schraube“ werden sie auflisten und gucken, ob sie mit heimkommt oder nicht. Kategorisieren heißt das in Potsdam. Am Hindukusch nennen sie die Großinventur „aggressive housekeeping“ – wie bei jedem privaten Umzug wird vorher schon mal kräftig ausgemistet. Ganz offensichtlich ist mit der Zeit allerlei Material runtergeschafft worden, das man bereits jetzt nicht mehr braucht. Die gecharterten Antonows und Iljuschins, die das Lager in Masar fünfmal die Woche versorgen, fliegen bereits seit April nicht mehr leer zurück nach Leipzig.

Trotz der gewaltigen logistischen Aufgabe würden auch später nie mehr als zehn Prozent der Soldaten im Einsatz und die auch nicht den ganzen Tag mit der Abzugsplanung beschäftigt sein, versichern die obersten Planer. Dabei ist die Aufgabe für die Einsatzführung nicht zuletzt wegen der etwas unübersichtlichen politischen Lage nicht ganz so einfach – auch wenn die Beteiligten das nie sagen würden, schließlich folgen sie immer dem Auftrag der Politik. „Wir planen auf null“, stellt der für die Logistik zuständige Oberst Funke scheinbar ungerührt fest.

Schritt für Schritt "auf null"

Ihre Order heiße, zum 31. Dezember 2014 sollen alle Mann und alles Material wieder in Deutschland sein. Natürlich kennen auch die Offiziere die Versprechen von Nato wie Bundesregierung, man werde die Afghanen nach 2014 nicht allein lassen – zum Beispiel bei der Ausbildung der Sicherheitskräfte. Aber was das konkret heißen soll, hat ihnen bisher niemand gesagt. In offiziellen Statements heißt es immer, es sollen nur „die Kampftruppen“ gehen. Aber im Moment wagt ohnehin niemand eine Prognose zur Sicherheitslage 2014, auch wenn hohe Militärs nicht müde werden zu erklären, sie verbessere sich ständig. Aber selbst wenn die Situation im Land 2014 für tragfähig befunden werden sollte: Werden Ausbilder keine Unterstützung mehr brauchen?

Aber Auftrag ist Auftrag. Also planen sie Schritt für Schritt „auf null“. Selbst auf die Gefahr hin, dass irgendwann wieder Material retour geschickt werden muss, sollte die politische Willensbildung später zu einem anderen Ergebnis kommen. Im Moment heißt es, 1700 Fahrzeuge müssen zurück, davon 1200 geschützte. Dingos, Igel, Füchse wie normale Transporter, alle sollen wieder in den heimischen Bau zurückkehren.

Da man die Ausrüstung zu Hause und in anderen Einsätzen weiter braucht, wird die Bundeswehr – anders als Wirtschaftsunternehmen – selbst längst abgeschriebenes ziviles Material nicht in Afghanistan lassen und verkaufen. Waffen will man den Afghanen ohnehin nicht überlassen. Man müsste diese Dinge in Deutschland teuer wieder neu einkaufen – der weite und auch nicht billige Heimtransport ist dann offenbar selbst für ungepanzerte

Transporter leichter zu finanzieren.

5500 bis 6000 Container wären für den Transport nötig, hat Oberst Funke ausgerechnet. Am günstigsten wäre es, bald die Verträge zu schließen, denn diese Aufgabe übernehmen weitgehend private Spediteure – und auch andere Nationen wollen abziehen. „Noch sind die Preise nicht gestiegen“, sagt Funke. Mit welchen Summen sie kalkulieren, wollen die Verantwortlichen allerdings nicht preisgeben. Nur so viel: Ein Transport per Bahn koste etwa zehn Prozent dessen per Flugzeug. Ohnehin kann selbst ein Riesenvogel wie die Antonow nur relativ wenig Fracht transportieren. Im Norden Afghanistans gibt es immerhin eine kurze Bahnverbindung, aber einiges wird wohl auf Lkw Afghanistan verlassen. Vor allem werden auch die Nachbarländer ordentlich kassieren wollen, wenn die Truppen abziehen.

Immerhin dürfte der Druck auf das deutsche Feldlager Camp Marmal bei Masar-i-Scharif etwas nachlassen, nachdem Pakistan die Routen über den Hafen in Karatschi wieder geöffnet hat. Dadurch werden andere Länder, die Truppen im Süden Afghanistans haben, wohl doch nicht über Masar abziehen.

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