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Bundeswehrsoldaten nach dem Afghanistan-Einsatz: Der Kampf nach dem Kampf

Immer mehr deutsche Soldaten, die in Afghanistan im Einsatz waren, nehmen sich das Leben Die Bundeswehr schweigt und erfasst längst nicht alle Fälle – das gefährdet auch die Familien der Rückkehrer.

Angela Merkel soll wissen, was aus ihrem Sohn geworden ist, sagt Eva-Maria G. Auf einem Handyfoto steht die Kanzlerin neben Wolf G. In Masar-i-Scharif war das. „Wo haben Sie denn den schönen Hut her?“, soll sie den Soldaten gefragt haben. So haben es Kameraden von Wolf G. erzählt. Wolf selbst habe nach seiner Rückkehr aus Afghanistan im Sommer 2012 kaum über den Einsatz gesprochen, sagt die Mutter. Am 9. September 2013 hat sich Wolf G. in seiner Wohnung erhängt. Er wurde 30 Jahre alt. „Ich will weder der Kanzlerin noch der Bundeswehr einen Vorwurf machen“, stellt die Mutter klar, „aber die Politiker müssen doch wissen, was der Einsatz aus den Soldaten macht.“

Wolf sei nach Afghanistan nicht mehr derselbe gewesen, erzählt sie. „Vorher war er ein perfekter Kavalier, doch nun witterte er überall Verrat und Betrug, war aggressiv und herrschsüchtig.“ In der Beziehung zu seiner Freundin habe es daher heftig gekriselt. Eva-Maria G. riet ihrem Sohn dringend zu einer Therapie, doch er habe abgelehnt. „Er sagte: Das steht dann ja in meinen Akten und versaut mir die Karriere.“ Nicht einmal dem Militärseelsorger habe sich Wolf anvertrauen wollen.

Im Dienst sei es Wolf bis zuletzt gelungen, das Image des starken Soldaten aufrechtzuerhalten, dort habe er funktioniert. Doch privat sei er „völlig von der Rolle gewesen“. „Das hat er irgendwann wohl realisiert und dann keinen Ausweg mehr gesehen“, vermutet die Mutter, die nun selbst eine Therapie macht, um mit dem Tod des Sohnes fertig zu werden.

Eva-Maria G. ist nicht die einzige Soldatenmutter, die um ihren Sohn trauert. Immer mehr Einsatzheimkehrer nehmen sich das Leben. „Allein ich kenne vier Kameraden, die Suizid begangen haben“, sagt Robert Sedlatzek-Müller. Der Stabsunteroffizier ist durch seine Einsätze im Kosovo und in Afghanistan traumatisiert und seit Jahren in psychologischer Behandlung. Über seinen Leidensweg hat er das Buch „Soldatenglück. Mein Leben nach dem Überleben“ geschrieben. Gerade hat er außerdem einen Veteranenverband, Combat Veteranen (Germany), gegründet.

Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)

Sedlatzek-Müller leidet unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). „Diese Männer und Frauen werden ihre Erinnerungen nicht mehr los“, erklärt Karl-Heinz Biesold. Der frühere Bundeswehrarzt leitete lange die psychiatrische Abteilung des Hamburger Bundeswehrkrankenhauses. Inzwischen ist er im Ruhestand, kümmert sich aber weiter um traumatisierte Soldaten und deren Familien. Schon einfache Alltagssituationen, wie Stress im Straßenverkehr, können die Soldaten mental in den Einsatz zurückkatapultieren und unkontrollierbare Aggressionsschübe auslösen. „Auch Angstzustände und Depressionen sehen wir bei ehemaligen Einsatzsoldaten“, sagt Biesold. Leider ließen sich nicht alle Soldaten mit psychischen Störungen behandeln. Dann werde die Krankheit chronisch. „Die Betroffenen ziehen sich zurück, können am Alltag nicht mehr teilhaben.“ 2013 waren mehr als 1400 Soldaten wegen PTBS in Behandlung, die tatsächliche Zahl der Erkrankten liegt laut einer Studie mindestens doppelt so hoch.

Doch selbst Soldaten, die sich in Therapie begeben, zerbrechen an ihren Erlebnissen. „Unsere Liebe zu ihm hat ihn nicht halten können“, hat die Familie von Patrick S. in ihrer Traueranzeige formuliert. Ihr Sohn und Bruder wurde nur 29 Jahre alt. Nach seinem Afghanistan-Einsatz wurde bei ihm die Diagnose PTBS gestellt. Im Juni setzte er seinem Leben ein Ende. Einige Monate vor ihm starb Wolfgang C., auch er ein Afghanistan-Veteran, den die Therapie nicht retten konnte.

Nach Tagesspiegel-Informationen hat auch ein Soldat der deutsch-französischen Brigade Suizid begangen. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es aber nicht. Der PTBS-Beauftragte der Bundeswehr, Brigadegeneral Klaus von Heimendahl, ruft zwar auf Anfrage zurück, über Suizide von Einsatzheimkehrern will er aber keine Auskunft geben und beendet das Gespräch gleich wieder. Sedlatzek-Müller spricht von einer „Mauer des Schweigens“ bei der Bundeswehr, wenn es um das Thema Selbstmord von Einsatzsoldaten geht.

Vor allem Zeitsoldaten standen im Kampf

Die Bundeswehr führt zwar eine Liste, in der Suizide von Soldaten verzeichnet sind, sie hält aber nicht fest, ob traumatische Erlebnisse in einem Auslandseinsatz oder andere Gründe der Auslöser dafür waren. Die Statistik erfasst außerdem nur Selbstmorde aktiver Soldaten – etwa 20 sind es jedes Jahr – Zeitsoldaten, die die Bundeswehr bereits verlassen haben, tauchen darin nicht auf. „Über Suizide ehemaliger Soldaten haben wir keine Erkenntnisse“, sagt ein Sprecher des Einsatzführungskommandos. Doch es waren gerade Zeitsoldaten, die in Afghanistan an vorderster Front standen oder im Kosovo oder Bosnien Zeugen von Gewalttaten wurden, Massengräber entdeckten. Und die daher auch besonders belastet sind.

Im Gegensatz zur US-Armee verfolgt die Bundeswehr den weiteren Lebensweg nicht

Anders als die US-Armee verfolgt die Bundeswehr den weiteren Lebensweg ehemaliger Soldaten nicht. Der frühere Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hatte zwar sogenannte ministerielle Leitlinien für eine Veteranenbetreuung auf den Weg gebracht, ein Konzept gibt es bis heute nicht. Die aktuelle Ministerin, Ursula von der Leyen (CDU), will das Thema vielmehr weiter fassen und lässt in ihrem Haus gerade den Entwurf eines Konzepts zu einer „Kultur der Anerkennung und Wertschätzung der Soldaten in der Gesellschaft“ abstimmen.

In den USA haben Veteranen einen offiziellen Status, deshalb weiß die US-Armee auch, wie viele Soldaten, die im Irak oder in Afghanistan waren, später obdachlos oder straffällig werden – und wie viele sich umbringen. Die bittere Erkenntnis: Jeden Tag begehen 22 Einsatzheimkehrer Selbstmord. Die Zahl der Suizide übersteigt inzwischen sogar die Zahl der im Einsatz getöteten Soldaten.

„Warum sollte das bei uns anders sein?“, fragt Robert Sedlatzek-Müller. Er hält es nicht für ausgeschlossen, dass es bereits mehr als 50 Suizide von Einsatzsoldaten auch in Deutschland gibt, etwa so viele Soldaten, wie im Afghanistan-Einsatz ums Leben kamen. Militärpsychologe Biesold ist skeptisch. „Wenn die Zahlen in Deutschland so hoch wären, wüssten wir das“, sagt er. Seine Patienten hätten zwar durchaus Suizidgedanken geäußert, ein konkreter Fall eines vollendeten Suizids sei ihm aber nicht bekannt.

Doch auch der Tod eines Ex-Soldaten, der 2007 bei einem Raubüberfall in Neukölln von einem SEK-Beamten erschossen wurde, könnte letztlich ein provozierter Selbstmord gewesen sein. Der Afghanistan-Veteran war nach dem Einsatz abgestürzt und hatte bereits versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Freunde sind überzeugt, dass er sterben wollte, als er eine Gaspistole auf die Beamten richtete. Eine kaputte Pistole, wie sich herausstellte.

Familien leiden unter "Sekundärtraumatisierungen"

Es sind nicht nur die Soldaten, die unter den Einsatzerfahrungen leiden. Psychologen sprechen von „Sekundärtraumatisierungen“. Betroffen sind davon vor allem die Familien der Einsatzheimkehrer. Wer an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet, ist meist aggressiv, oft auch gewalttätig, in jedem Fall aber kein verlässlicher Partner und Vater. „Kinder neigen dazu, sich selbst die Schuld zu geben, wenn der Vater oder die Mutter grob oder gereizt reagieren“, erklärt Militärpsychologe Biesold. Auch sie könnten daher depressiv werden, wenn ein Elternteil an PTBS erkrankt sei. Die 13-jährige Tochter eines Betroffenen, der nicht namentlich genannt werden möchte, hat sogar selbst schon versucht, sich das Leben zu nehmen. Der Zusammenhang mit seiner eigenen PTBS-Erkrankung sei in der nachfolgenden Therapie eindeutig festgestellt worden, sagte der frühere Einsatzsoldat dem Tagesspiegel.

Militärpsychologe Biesold ist überzeugt, dass es auch nach dem Ende des Afghanistaneinsatzes weitere PTBS-Fälle geben wird. „Viele Soldaten entwickeln erst nach Jahren Symptome oder versuchen zunächst, allein mit der Krankheit fertig zu werden“, sagt er. „Wir werden daher wohl noch einige Jahre mit dem Thema zu tun haben.“

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