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Politik: Burgfrieden der „Grande Nation“

Dass Präsident Chirac Terrorstaaten mit atomarer Vergeltung droht, schockiert in Frankreich nur wenige

Nur die linke Zeitung „Libération“ machte sich am Freitag lustig über Frankreichs Präsidenten Jacques Chirac, der sich am Vortag als Herr der nationalen Nuklearstreitmacht in Brest voller Stolz in die Brust geworfen hatte: „Il se bombe le torse“, schrieb das Blatt. Hinter dem Wortspiel steht die Idee, dass sich Chirac mit seinem Muskelspiel selbst demontiert habe. Chirac hatte am Donnerstag mit einem gezielten Atomschlag gedroht, sollte Frankreich von einem Staat terroristisch angegriffen werden.

Es war offensichtlich, dass die Aufsehen erregende Neudefinition der nuklearen Einsatzdoktrin durch den alternden und politisch geschwächten Präsidenten nebenbei auch als Machtdemonstration gedacht war. „Le Monde“ spekulierte, ob es sich da bereits um ein Vermächtnis an seine Nachfolger handelt. Für die restlichen Kommentare war das Thema zu ernst, um sich zu legeren Scherzen verleiten zu lassen. Der konservative „Figaro“ kann in Chiracs expliziter Warnung an die „Schurkenstaaten“ nur eine „Anpassung der nuklearen Abschreckung an das Terrorrisiko“ erkennen.

Das Arsenal der französischen Kernwaffen wurde seit dem Ende des Kalten Kriegs sukzessive verkleinert und den neuen strategischen Gegebenheiten entsprechend modernisiert. Aus Gründen der militärischen Geheimhaltung, aber auch, um die Öffentlichkeit nicht mit Milliardenausgaben für eher hypothetische Bedrohungslagen und Vergeltungsszenarien zu schockieren, stand dies allerdings kaum in der Zeitung. Die Aktualisierung des nuklearen Potenzials und die Einsatzdoktrin wurde nach Meinung des Rüstungsspezialisten des Magazins „Le Nouvel Observateur“, Vincent Jauvert, seit Jahren vorbereitet. Die Feindbilder hätten sich längst geändert. In der Schusslinie liegt Asien, lautet die Analyse.

Obwohl es sich doch um eine wesentliche Neuorientierung der französischen Nukleardoktrin handelt, hielt sich die Opposition mit Kritik zurück. Wie immer, wenn es um Symbole der nationalen Größe und Unabhängigkeit geht, herrscht in Frankreich ein politischer Burgfrieden und fast eine „union sacrée“ (heilige Allianz). So erklärte der Ex-Premierminister Laurent Fabius, es gebe in Chiracs Rede „nichts, was mich schockieren könnte“.

Konsterniert sind Frankreichs Grüne angesichts der Tatsache, dass „der Präsident ernstlich ins Auge fasst, ein ganzes Volk für den mörderischen Wahn seiner Führer bezahlen zu lassen“. Man hat verstanden, dass Chiracs Drohung an Iran ging, vielleicht auch an Pakistan, Nordkorea und Libyen. Für Pascal Boniface, den Direktor des Pariser Instituts für internationale strategische Beziehungen (Iris), gehört es aber „implizit zum Prinzip der nuklearen Abschreckung, ihre Ziele nicht allzu genau zu definieren“. Wenn Chirac von den „vitalen Interessen“ spricht, die er notfalls mit der atomaren Drohung verteidigen will, bezieht er auch die europäische Sicherheit ein. Die Nachbarn werden so zu Partnern einer französischen Abschreckungspolitik, die der Präsident in Paris bisher ganz alleine bestimmt.

Rudolf Balmer[Paris]

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