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Politik: Bush ernennt seine Rechtsberaterin als Oberste Richterin

Zur ersten Sitzung des Supreme Court unter neuem Vorsitz überrascht der Präsident mit der Nominierung einer Frau

Seit Tagen wird Amerika an ein Verfassungsprinzip erinnert: die Gewaltenteilung. Keine Fernsehsendung kommt aus ohne Bilder von der dritten Gewalt neben Exekutive (Präsident) und Legislative (Kongress). Am ersten Montag im Oktober beginnt das Oberste Gericht seine Sitzungsperiode. Am 4. September war der Vorsitzende William Rehnquist gestorben, rasch nominierte Präsident Bush den angesehenen Juristen John Roberts als Nachfolger. Am Freitag wurde er nach souveränen Anhörungen vom Senat bestätigt – auch die Hälfte der Demokraten stimmte für ihn – und legte sogleich im Weißen Haus vor dem dienstältesten Obersten Richter, John Stevens, den Amtseid ab. Roberts Frau hielt die Bibel. Die Zeremonie war landesweit zu sehen, ebenso die „rote Messe“ in der Matthäus-Kathedrale am Sonntag; ihren Namen hat sie von der Farbe der Roben.

Noch ehe die neun auf Lebenszeit ernannten Richter zusammentraten, löste Bush das letzte Rätsel. Wer soll die Nachfolge von Sandra Day O’Connor antreten, die mit 75 Jahren ihren Rücktritt erklärt hatte: wieder eine Frau, ein weiterer Schwarzer (neben Clarence Thomas) oder erstmals ein „Hispanic“? O’Connor war von Ronald Reagan ernannt worden, profilierte sich aber als Liberale. Bush wählte Harriet Miers, seine Rechtsberaterin erst in Texas und zuletzt im Weißen Haus – eine weitere Ernennung aus dem persönlichen Umfeld, keine Geste der Überparteilichkeit. Aber werden die Demokraten im Senat Nein sagen? Mit der Förderung von Frauen und Minderheiten bringt Bush sie häufig in Verlegenheit. Am Montag nahm noch O’Connor Platz in der erhöhten Reihe dunkler Ledersessel im Supreme Court. In der Mitte verkörperte der 50-jährige John Roberts mit energischen Gesten und klarer Stimme den Generationswechsel nach dem 80-jährigen Rehnquist, der nur mühsam sprechen konnte. Auf den Besuchersesseln kostete Bush seinen Triumph aus. Der letzte präsidiale Besucher war Bill Clinton 1994 bei der Einführung seines Kandidaten Stephen Breyer.

Der Supreme Court gleich neben dem Kapitol bietet eine repräsentative TV-Kulisse mit vielen symbolischen Nebenbotschaften. Die Fassade erinnert an einen griechischen Tempel; es ist eines von zwei öffentlichen Gebäuden, das unter dem Kostenvoranschlag blieb. 1930–35, die Bauzeit, waren Depressionsjahre, Arbeit war billig. Drinnen zeigen Steinfriese über der Richterbank die Herrschaft des Rechts, gegenüber die göttliche Inspiration im Kampf gegen das Böse und an den Seiten historische Gesetzgeber: Moses, die Griechen Drakon und Solon, Konfuzius, Mohammed, Napoleon; der kleine Korse ist etwas größer als zu Lebzeiten.

Strittige Fälle stehen an: Wahlkampfkosten, Homosexuelle in der Armee, Sterbehilfe, Abtreibung bei Jugendlichen. Die konservative Wende, vor der Demokraten warnen, wird es wohl nicht geben. Experten haben gezählt: Egal, auf welche Seite sich die von Bush ernannten Neuen schlagen, in Abtreibungsfragen bleibt es bei der Mehrheit für die Liberalität.

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