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Politik: CDU auf Ostkurs

Wegen mieser Umfragewerte besonders in den neuen Ländern will die Partei dort in die Offensive gehen

Von Matthias Schlegel

Berlin - „Lieber die unbarmherzige Wahrheit als eine barmherzige Lüge“. Was auf den ersten Blick wie ein Statement zur derzeitigen Finanzkrise aussieht, könnte genauso gut auf die schwächelnde CDU, auf die Probleme beim Aufbau Ost oder den schier unaufhaltsamen Aufstieg der Linkspartei gemünzt sein. Das Zitat gilt aktuell keinem dieser Themen und betrifft doch alle. Es ist ein zum Buchtitel gewordenes Zitat des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), und eine Art Credo des 1990 in die Politik gespülten Mediziners. Am Mittwoch wurde sein Buch mit Reden und Interviews in Berlin von Hans-Dietrich Genscher vorgestellt.

Zur unbarmherzigen Wahrheit gehört, dass die CDU derzeit im Bund schwächelt und in den neuen Bundesländern in Umfragen hinter die Linkspartei zurückgefallen ist. Und Böhmer schwant noch Schlimmeres: Die regierenden Parteien müssten wegen der aktuellen Angst der Menschen vor einer wirtschaftlichen Depression zunehmend mit „schlechten Vertrauenswerten“ rechnen, sagte er in Berlin.

Böhmers sächsischer Amtskollege Stanislaw Tillich sandte am gleichen Tag die aufrüttelnde Botschaft in die eigenen Reihen: „Die Union wird die nächste Bundestagswahl entweder im Osten gewinnen oder verlieren.“ Der „Leipziger Volkszeitung“ sagte er, auch 1990 und 1998 habe der Osten entschieden, wer Kanzler werde. Tillich, seit Mai als Nachfolger von Georg Milbradt im Amt, forderte „einen zweiten Schub für den Aufbau Ost“.

Dass das Unbehagen der Christdemokraten im Osten längst in Berlin angekommen ist, hängt auch damit zusammen, dass bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am 30. August nächsten Jahres, aber 2011 auch in Sachsen-Anhalt wegen der zunehmenden Stärke der Linkspartei die Gefahr droht, dass die CDU die jeweilige Regierungsmehrheit verliert. Mit einem Zehn-Punkte-Plan für den Aufbau Ost hatte das CDU-Präsidium bereits Ende Juni versucht, in Sachen neue Bundesländer wieder das Heft des Handelns an sich zu reißen. Am Freitag nun soll das Feld weiter beackert werden: mit einem „Perspektivkongress“ in Dresden, auf dem auch alle drei Ost-Ministerpräsidenten – Tillich, Böhmer und Dieter Althaus – zu Wort kommen werden. Ostdeutschland solle „in zehn Jahren eine der wettbewerbsfähigsten und innovativsten Regionen im Herzen Europas“ werden, geben CDU-Vorsitzende Angela Merkel und Generalsekretär Ronald Pofalla im Einladungstext der Partei als Ziel vor.

Doch am Rande des Kongresses wird die Perspektive nicht nur nach vorn gerichtet sein. Seit Linkspartei und SPD das „Blockflöten“-Thema entdeckt haben, mit dem sie ihrerseits die immerwährenden Vorwürfe aus der Union wegen der rot-roten Bündnisse kontern, steht die CDU unter Erklärungsdruck. Dass Mitte September in einem Papier zur Vergangenheitsaufarbeitung, das im Dezember auf dem Stuttgarter Parteitag verabschiedet werden soll, zwar die Verklärung der DDR insbesondere durch die Linkspartei gegeißelt, aber die Rolle der DDR-CDU mit keinem Wort erwähnt wurde, ist nicht nur bei den anderen Parteien auf Unverständnis gestoßen. Auch in den eigenen Reihen hat das – aus durchaus unterschiedlichen Gründen – für Unmut gesorgt. Generalsekretär Pofalla musste nachsitzen. Am gestrigen Mittwoch wies er in der „Sächsischen Zeitung“ darauf hin, dass eine Formulierung eingefügt werde, die sich mit der Verantwortung der früheren Blockpartei im SED-Regime befasse. So soll es heißen, dass die Ost-CDU von der SED „zwangsweise gleichgeschaltet“ worden sei, „gleichwohl hat die CDU in der DDR im totalitären System der SED-Diktatur mitgewirkt“.

In so kurz gefassten historischen Bewertungen steckt Sprengstoff. Den einen geht die Distanzierung von Verstrickungen der Ost-CDU ins DDR-Machtgefüge nicht weit genug, andere wollen das Bemühen der Blockpartei um Eigenständigkeit und christliche Werte stärker hervorgehoben wissen. Wolfgang Böhmer ärgert sich darüber, dass die CDU wohl die einzige Partei sei, die nicht wisse, dass es auch im Osten eine CDU gegeben habe. Und die, so Böhmer, habe in der DDR „viele Probleme entschärft“. Er selbst sei 1990 „aus Dankbarkeit“ in die Ost-CDU eingetreten, bekennt er in seinem Buch: Leute aus dieser Partei hätten zu DDR-Zeiten geholfen, dass sein Sohn weiterstudieren durfte, nachdem er wegen „nicht-sozialistischer Grundüberzeugungen“ exmatrikuliert worden war und sich zwei Jahre in der Produktion „bewähren“ musste.

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