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Die CDU sucht nach ihren konservativen Wurzeln.

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CDU: Die konservative Illusion

Weil viele Christdemokraten in der individualisierten und globalisierten Moderne fremdeln, sehnen sie sich nach konservativen Idealen und Idolen. Nur bei der Mobilisierung der Wähler hilft diese Sehnsucht kaum noch.

Roland Koch geht, der hessische Ministerpräsident hat sich am Dienstag dieser Woche überraschend aus der Politik verabschiedet. Einmal mehr werden in der Union nun die Klagen darüber laut, es gäbe in der Partei keine Konservativen mehr. Nach dem Ex-Fraktionschef Friedrich Merz und dem Bayern Edmund Stoiber sei nun auch Koch am Merkelschen Pragmatismus gescheitert. Für die Union brächen deshalb jetzt harte Zeiten an, weil es in der Partei keinen profilierten Politiker mehr gibt, der die konservativen Wähler mobilisiert.

Dabei liegt dieser Einschätzung ein doppeltes Missverständnis zu Grunde. Denn erstens waren Merz, Koch und Stoiber keine Konservativen weder im modernen noch im traditionellen Sinne. Zweitens ist zu bezweifeln, dass die CDU in der Wählergunst wesentlich besser dastünde, wenn die Partei einen profilierten und mit namhaften Politikern besetzten konservativen Flügel hätte. In der Partei mögen konservative Traditionen noch einen gewissen Einfluss haben, doch in der Bevölkerung ist der Konservatismus mittlerweile ein absolutes Minderheitenprogramm.

Es ist schließlich auch gar nicht so einfach, in Deutschland ein Konservativer zu sein. Denn das historische Erbe, das diese antreten, ist, gelinde gesagt, heikel. In der historischen Perspektive war der deutsche Konservatismus weder modern noch demokratisch. Entstanden ist er als Reaktion auf die Französische Revolution und den Terror der Jakobiner. Er verstand sich zudem als Gegenbewegung zur Aufklärung. Die deutschen Konservativen setzten im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts deshalb auf den Kaiser, ein völkisches Weltbild und auf einen autoritären Staat. Sie wetterten gegen den Parteienpluralismus, bekämpften die katholische Kirche und schürten antisemitische Vorurteile. Mit der Einführung der Sozialversicherungen versuchten sie vor allem, gegen eine starke Arbeiterbewegung die ständisch-monarchische Gesellschaft zu stabilisieren.

Die CDU war deshalb auch nie eine konservative Partei. Sie ist nach dem zweiten Weltkrieg aus dem Zusammenschluss verschiedener politischer Strömungen und Ideen entstanden. Die stärksten Strömungen waren dabei der politische Katholizismus und der christlich motivierte Sozialismus. Auch viele Liberale schlossen sich der bürgerlichen und interkonfessionellen Sammlungsbewegung an. Auf ihre konservativen Wurzen ist die CDU zudem auch gar nicht stolz. Schließlich gehörten die Konservativen und ihre Deutsch Nationale Volkspartei (DNVP) zu den demokratiefeindlichen Kräften der Weimarer Republik und zu den politischen wie ideologischen Wegbereitern des Nationalsozialismus. Bis in die sechziger Jahre hinein hatten die alten und demokratie-skeptischen Konservativen in der CDU zwar erheblichen Einfluss, doch sie blieben in der Minderheit. Ihr Versuch, mit der Idee einer "formierte Gesellschaft" in der CDU die ideologische Hegemonie zu erreichen, scheiterte. Seitdem haben sich die aus der Weimarer Republik stammenden konservativen Milieus aufgelöst, traditionell konservative Wähler machen sich rar, Nachwuchs gibt es kaum.

Unzählig sind trotzdem seit Jahrzehnten die Versuche von christdemokratischen Politikern, einen weltoffenen, modernen, mitfühlenden oder Werte getriebenen Konservatismus zu begründen und damit ein ideologisches Gegengewicht zu linken und linksliberalen Weltbildern zu prägen. Unzählig sind die Versuche, mit den historischen Wurzeln des deutschen Konservatismus zu brechen. Doch eine kongruente Idee, die die Massen ergreift, ist daraus nicht erstanden. Deutsche Konservative können anders als zum Beispiel in Frankreich oder den USA zudem nicht einfach den Staat, die Nation und die eigene Geschichte hochleben lassen. Sie müssen jedem übersteigerten Nationalismus konsequent entsagen und stattdessen gleichzeitig europäisch denken. Wenn sie einen starken Staat fordern, müssen sie immer zugleich auch die individuelle Freiheit betonen. Auch deshalb lässt sich die Frage, was im 21. Jahrhundert eigentlich konservativ ist, in Deutschland gar nicht so einfach beantworten.

Konservativ wird in der Union mit bewahrend gleichgesetzt

Ein paar jüngere Unionspolitiker zum Beispiel plädierten vor ein paar Jahren in ihrer Streitschrift "moderner bürgerlicher Konservatismus" für eine Rückbesinnung auf "christlich-abendländische Werte" wie "Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Fairness, Fleiß, Disziplin, Treue, Respekt und Anstand", sie nannten die Familie "das Fundament unserer Gesellschaft" und traten für einen "starken Staat" ein. Nur ein fundiertes Gedankengebäude, das eine gesellschaftliche Grundströmung tragen könnte, entstand durch die Aneinanderreihung von Phrasen nicht. Zumal sich zum Beispiel das Familienbild der Deutschen in den letzten Jahrzehnten fundamental gewandelt hat und selbst Christdemokraten unter Disziplin nicht mehr jenen Kadavergehorsam verstehen, den Konservative von vor einem halben Jahrhundert noch gehuldigt haben, Prügelstrafe eingeschlossen. Die Welt ist eine andere geworden, daran können auch Christdemokraten, die gerne konservativ sein wollen, nicht vorbei sehen. Der Wertewandel hat die deutsche Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten mit wachsendem Tempo fundamental verändert, er hat sie vor allem digitalisiert, individualisiert und globalisiert.

Natürlich verunsichern solch grundlegende gesellschaftliche Veränderungen Politiker genauso wie ihre Wähler. Deshalb ist es in der Union mittlerweile populär, konservativ mit bewahrend gleichzusetzen, als eine Denkrichtung zu betrachten, die „nicht auf die ungebrochene Kraft des Fortschritts vertraut“, sondern auf „Gewissheit und Verlässlichkeit“ setzt. Doch in diesem Sinne sind dann viele Parteien in Deutschland konservativ, die Christdemokraten wollen die Familie und die Schöpfung bewahren, die Grünen die Umwelt, die Linke die Versorgungsmentalität der Unterschicht und die FDP die Privilegien von Ärzten, Rechtsanwälten und Apothekern. Der Grat zwischen Bewahren und Besitzstand wahren ist dabei allerdings schmal.

Nur die SPD hat zuletzt versucht, den Sozialstaat umzubauen und ist davon vom Wähler abgestraft worden. Wobei die CDU das Bewahrende in der Politik auch erst wieder entdecken musste. Noch im Bundestagswahlkampf 2005 hatten die Chrisdemokraten unter dem Jubel von Koch und Merz das Leipziger Programm verabschiedet, damit eine radikale und wirtschaftsliberale Reformagenda vorgelegt. Sie haben kollektiv jenen "bedenkenlosen Fortschrittsoptimismus" gehuldigt, den Konservative in Sonntagsreden gerne geißeln. Fast alle Christdemokraten waren davon überzeugt, dass sich die Gesellschaft sich grundlegend ändern muss.

Es ist in einer modernen Gesellschaft, die sich permanent wandelt und die Politik permanent zwingt, darauf zu reagieren, also in der Tat gar nicht mehr so einfach, konservativ zu sein. Auch wenn der CDU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder über "Freiheit und Selbstverantwortung" spricht und das für konservativ hält, dann redet er im Grunde dem Gegenteil, einem eher klassisch liberalen Weltbild das Wort.

Am einfachsten hat es noch jene Gruppe von christlichen Fundamentalisten in der CDU, die sich von der Moderne abwendet, die gegen die Homo-Ehe wettert, Abtreibungen verbietet und Frauen eine Herdprämie zahlen will. Mehrheitsfähig wird die CDU jedoch nicht, wenn sie auf ein Profil setzt, das auf dieses reaktionäre Spießertum Rücksicht nimmt. Das hat zuletzt die CSU bei der bayerischen Landtagswahl 2008 erfahren müssen. Auch die Versuche, die CDU in der Gesellschaft mit einer konservativen Leitkultur zu profilieren, haben wenig gefruchtet. Denn deren Anhänger artikulierten in der Debatte vor allem ihr Misstrauen gegenüber der Einwandergesellschaft, modern und weltoffen klangen die meisten Argumente nicht.

Die Sehnsucht nach mehr Konservatismus ist in der Union also vor allem ein Ausdruck von Verunsicherung und der Versuch, eine Antwort auf den eher von Linken, Liberalen und Sozialdemokraten geprägten gesellschaftlichen Mainstream zu finden. Dabei produziert die ständige Suche nach einer konservativen Identitätsfigur in der CDU vor allem Missverständnisse. Friedrich Merz ist durch und durch ein Wirtschaftsliberaler. Roland Koch ist genauso ein pragmatischer Modernisierer wie Angela Merkel. Nur in Wahlkämpfen profilierte er sich als rechter Populist, der Ressentiments schüren kann. Und wenn Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus ultimativ die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken fordert, dann ist er alles damit Mögliche, ein profilierter Gegner von Rot-Grün zum Beispiel oder eine Lobbyist regionaler Interessen, nur konservativ ist er deshalb noch lange nicht.

Konservative Ideale und konservative Idolen mögen für die Selbstvergewisserung der Partei wichtig sein, bei der Mobilisierung der Wähler helfen sie kaum.

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