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Hermann Gröhe, 50, ist seit Oktober 2009 Generalsekretär der CDU.

© dapd

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe: "Wir wollen die politische Union Europas"

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe über Deutschlands Verhältnis zur EU, den genetischen Code seiner Partei - und das Thema Mindestlohn.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Antje Sirleschtov

Herr Gröhe, beim Parteitag in zwei Wochen wollen Sie für mehr Europa werben. Können Sie das nach dem Theater der letzten Wochen noch verantworten?

Das können wir sehr gut – gerade nach einem sehr erfolgreichen EU-Gipfel in der letzten Woche. Unter Führung von Angela Merkel kommen wir gut voran bei der Schaffung einer Stabilitätsunion. Klar ist aber auch: Wir müssen neu begründen, warum wir Europa brauchen. Einen Rückfall in gewaltbereiten Nationalismus kann sich ja zum Glück im Herzen Europas niemand mehr vorstellen – auch wenn wir ihn auf dem Balkan noch erleben. Aber unsere Art zu leben, zu wirtschaften, Politik zu gestalten werden wir als Europäer nur gemeinsam behaupten können. Für diese Überzeugung müssen wir beherzt werben, Skepsis entschieden entgegentreten. Anti-europäische Stimmungen kann man nicht abschwächen, in dem man sich selbst zu ihrem Fürsprecher macht.

… so wie das die Schwesterpartei manchmal versucht?

Wir wollen mehr Europa, nehmen dabei die Sorgen der Menschen aber selbstverständlich ernst. Das Bekenntnis zu Europa gehört zur „CDU-DNA“. Ob man für Europa oder gegen Europa ist, ist eine andere Frage als die Frage, ob ein Steuersatz einen Prozentpunkt rauf- oder runterrutscht.

Die Erfahrung der Menschen ist eine andere. Sie fürchten den Verlust von Eigenständigkeit und Selbstverantwortung.

Gerade wir als überaus erfolgreiche Exportnation können uns keine biedermeierliche Selbstgenügsamkeit leisten und unsere Nachbarn ignorieren. Wir profitieren ganz besonders von Europa – sind also auch ganz besonders bei seiner Gestaltung gefordert. Und wir stehen für Eigenverantwortung und Solidarität.

Wie muss sich Brüssel verändern, damit die Bürger Europa nicht nur als bürokratische Krake sehen?

Wir müssen die Stärkung europäischer Institutionen stets mit einer Betonung des Subsidiaritätsprinzips verbinden. Gelegentlich geht Brüsseler Regelungswut in der Tat zu weit – hat ihre Gründe mitunter aber auch in nationalen Interessen einzelner Mitgliedsstaaten. In Deutschland haben wir gute Erfahrungen mit der kommunalen Selbstverwaltung und starken Ländern. Zentralismus ist uns fremd. Andererseits liegen die Hauptursachen der gegenwärtigen Krisen in Fehlentscheidungen auf nationaler Ebene – einer ausufernden Staatsverschuldung – und in der Schwächung des europäischen Stabilitätspakts unter maßgeblicher Beteiligung der damaligen rot-grünen Bundesregierung.

"Stärkere Leitplanken - weniger Verkehrsschilder" wünscht sich Gröhe. Was das heißen soll, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Mehr Europa heißt nicht: mehr Brüssel?

Teils, teils. Wir brauchen zum Beispiel ein europäisches Durchgriffsrecht, wenn ein Euro-Land nicht willens oder in der Lage ist, seinen Haushalt in Ordnung zu bringen. Ein europäischer Sparkommissar muss dann sicherstellen können, dass die Hilfe der Gemeinschaft zum Schutze der gemeinsamen Währung auch tatsächlich Erfolg hat. Hier brauchen wir also mehr Brüssel. Geht es aber um ein einzelnes Naturschutzgebiet, wissen Bürgermeister oder Landrat, gebenenfalls auch die Landesbehörde, besser Bescheid als Brüssel. Und europäische Förderfonds sollten auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Dinge von gemeinsamem Interesse – beispielsweise europäische Verkehrsadern – ausgerichtet sein. Geht es um den Schüleraustausch einer Berliner Schule, sollte dies Sache des Schulträgers sein und nicht eigener europäischer Programme. Stärkere Leitplanken – weniger Verkehrsschilder. Darum geht es mir.

Die CDU-Vizevorsitzende Ursula von der Leyen benutzt den Begriff der „Vereinigten Staaten von Europa“. Im CDU-Leitantrag taucht der nicht auf. Warum?

Diese Formulierung wurde in der Union lange verwendet – um es genau zu sagen: bis 1994. Wir haben aber aus gutem Grunde auf eine Bezeichnung verzichtet, bei der jeder sofort an die USA denkt. Denn die eigenständige Identität eines Deutschen, Franzosen oder Polen wird immer eine andere sein als die eines Kaliforniers oder eines Bürgers aus Alabama. Die USA haben bei aller regionalen Unterschiedlichkeit eine gemeinsame Nationalgeschichte und Sprache. Wir sagen in unserem Antrag: Wir wollen die politische Union Europas, eine EU, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach bundesstaatlichen Prinzipien arbeitet. Die Mitgliedsstaaten aber bleiben die „Herren der Verträge“, entscheiden über die Kompetenzen der EU.

Aber das genau fürchten ja viele – dass Franzosen, Italiener, Griechen mitbestimmen sollen, wo es bei uns langgeht.

Ich finde es falsch, bei EU-Zuständigkeiten vom Verlust eigener Souveränität zu sprechen. Richtig ist: Wir nehmen Souveränität künftig vermehrt gemeinsam wahr. So handeln wir wirksamer – auch im eigenen Interesse. Deutschlands Sicherheit beruht doch auch auf der gemeinsamen Verteidigung in der Nato. Eine starke Nato heißt mehr Sicherheit für uns und nicht weniger Deutschland. Und es gibt noch mehr Bereiche, in denen wir Souveränität nur gemeinsam wahrnehmen können – oder gar nicht.

Wie passt das zum Drängen des Bundestages, seine Souveränität zu wahren?

Sicherlich gibt es ein Spannungsverhältnis zwischen einer angemessenen Parlamentsbeteiligung und der Notwendigkeit schnellen Handels bei einer plötzlichen krisenhaften Zuspitzung. Wir haben uns hier aber auf kluge Regelungen verständigt, für die wir uns auch bei unseren Partnern nicht entschuldigen müssen. Man hat, mit Verlaub, in den letzten Monaten oft länger auf Papiere aus Brüssel warten müssen – nicht aber auf Entscheidungen des Bundestages. Die starke Rolle unseres Parlamentes hat es auch möglich gemacht, dass Union, FDP, SPD und Grüne vor dem EU-Gipfel ein starkes gemeinsames Signal nach Europa und an unsere Bevölkerung senden konnten.

Herr Gröhe, warum schafft es diese Koalition aus CDU, CSU und FDP nicht, wenigstens so zu tun, als wäre sie sich einig?

Sicherlich waren die Formen des Miteinanders streckenweise stark verbesserungsfähig. Daran müssen wir weiter arbeiten. Denn der äußere Eindruck versperrt oft den Blick auf unsere gemeinsamen Erfolge. Unserem Land geht es gut – und daran hat die Arbeit der Koalition einen maßgeblichen Anteil. Wir müssen aufhören, uns das Leben selbst schwerzumachen. Denn Erfolg werden wir nur gemeinsam haben.

Die CDU will die Einführung eines Mindestlohns prüfen. Ist das nicht ein neuerlicher Angriff auf den liberalen Koalitionspartner, der das bisher ablehnt?

Das sehe ich nicht so. Für die CDU kann ich sagen: Es gab hier eine Bewegung aus der Mitte der Partei heraus. Gerade auf unseren Regionalkonferenzen war deutlich zu spüren, dass es ein großes Bedürfnis danach gibt, im Bereich nicht-tariflich geregelter Beschäftigungsverhältnisse durch eine Lohnuntergrenze eine Gerechtigkeitslücke zu schließen. Dieses Gefühl gibt es nach meinem Empfinden auch in Teilen der FDP. Für die CDU ist dabei entscheidend, dass die Tarifautonomie gewahrt bleibt. Deshalb empfehlen wir dem Parteitag eine Lohnuntergrenze, die die Tarifparteien in einer Kommission festlegen. Einen politischen Mindestlohn lehnen wir ab. Der Staat soll sich auch zukünftig aus der Lohnfindung heraushalten. Der Parteitag in Leipzig wird über diesen Vorschlag im November diskutieren und entscheiden.

Am Sonntag will die Koalition über eine Steuersenkung entscheiden. Wie soll das zu einem Erfolg für Schwarz-Gelb werden?

Die CDU hat schon sehr früh in dieser Legislaturperiode deutlich gemacht, dass für uns die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte Vorrang hat, Das ist inzwischen die gemeinsame Position aller Koalitionspartner. Damit ist klar, dass es nur einen sehr begrenzten Korridor für Entlastungen gibt. Konkret geht es um gezielte Maßnahmen für die Bezieher mittlerer Einkommen.

Warum müssen die Steuerzahler in diesen Zeiten überhaupt entlastet werden?

Nun, zur Realität gehören ja auch erfreulich gestiegene Steuereinnahmen. Es ist für uns auch eine Frage der Gerechtigkeit, bei den Beziehern kleinerer und mittlerer Einkommen nachzuvollziehen, was bei den Empfängern von Sozialleistungen zu Recht selbstverständlich ist, nämlich ein Ausgleich der Inflation. Wer sich weiter qualifiziert oder Überstunden kloppt, soll vom Zuverdienst mehr in der eigenen Tasche behalten.

Die Ministerpräsidenten der CDU wehren sich. Werden Sie die Länder entschädigen?

Bei der Einkommenssteuer würde ich an der Aufteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden nichts ändern – gleichwohl aber für den Abbau der „kalten Progression“ werben. Wachstumsimpulse nutzen ja allen. Geprüft wird aber auch eine Absenkung des Solidaritätszuschlages bei unveränderter Erfüllung des Solidarpaktes. Ich bin sicher, dass wir uns auf ein Paket verständigen werden, das Wachstum und Arbeitsmarkt stärkt und die Gerechtigkeit unterstreicht.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Antje Sirleschtov.

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