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Altkanzler Kohl und Kanzlerin Merkel bei einem Empfang im Palais am Funkturm in Berlin im Oktober 2010.

© dpa

CDU: Kohl fällt Merkel in den Rücken

Kurz vor den Landtagswahlen kritisiert Altkanzler Kohl das Moratorium und lobt die Kernenergie. Die kritischen Äußerungen von Wirtschaftsminister Brüderle, wonach der Atomschwenk ein Wahlkampfmanöver sei, haben unterdessen ein Nachspiel.

Berlin - Angesichts der drohenden Niederlagen bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz an diesem Sonntag brechen die Konflikte in der schwarz-gelben Koalition offen aus. Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht dabei die Atompolitik. Mit Entsetzen wurden bei den Wahlkämpfern von CDU und FDP am Freitag Äußerungen von Altkanzler Helmut Kohl (CDU) aufgenommen. In einem Beitrag für die „Bild“-Zeitung ging der Rheinland-Pfälzer offen auf Distanz zum Kurs von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Das Reaktorunglück in Japan, warnte Kohl, dürfe nicht den Blick für die Wirklichkeit verstellen. In Deutschland habe sich durch die Ereignisse in Japan „erst einmal und unmittelbar gar nichts verändert“. Ein „überhasteter Ausstieg aus der Kernenergie ohne Alternative“, wie er jetzt in Deutschland von mancher Seite gefordert werde, sei „eine gefährliche Sackgasse“. Ohne Merkel direkt beim Namen zu nennen, warf Kohl ihr vor, durch einen „einsamen Ausstieg“ die industrielle Basis der deutschen Wirtschaft zu gefährden und das Land der energiepolitischen Abhängigkeit von unsicheren Atomkraftwerken im Ausland preiszugeben.

In der CDU wurden Kohls Einlassungen als „Beweis der Illoyalität“ bezeichnet. Noch nie habe es in Deutschland einen Regierungschef gegeben, der seinem Nachfolger inhaltlich so deutlich widersprochen und ihn damit bloßgestellt habe, hieß es. Schon gar nicht wenige Stunden vor entscheidenden Landtagswahlen. Dass ausgerechnet der Pfälzer Kohl seiner Partei und den Wahlkämpfern im Südwesten des Landes so in den Rücken falle, sei in der Fraktion mit „blankem Entsetzen“ aufgenommen worden, hieß es.

Die kritischen Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), wonach der Atomschwenk der Bundesregierung nur ein Wahlkampfmanöver sei, hatten am Freitag indes ein Nachspiel: Die Debatte um das bekannt gewordene Protokoll der Brüderle-Einlassungen kostete den BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf das Amt. „Ich übernehme die politische Verantwortung für die Folgen einer Indiskretion, an der ich persönlich nicht beteiligt war, um möglichen Schaden für das Verhältnis von Wirtschaft und Politik abzuwenden“, ließ Schnappauf mitteilen. Am Donnerstag hatte Schnappauf noch gesagt, Brüderles Äußerungen vor Spitzenmanagern der Industrie am 14. März seien falsch wiedergegeben worden.

Schnappauf war früher für die CSU bayerischer Umweltminister und hatte sein Amt bei dem Industrieverband im November 2007 angetreten. Sein Verhältnis zu BDI-Präsident Hans-Peter Keitel, ehemals Chef von Hochtief, galt seit Jahren als belastet. Die Affäre um Brüderles Zitate führte nun offenbar zum endgültigen Bruch. Im Präsidium des Industrieverbands sorgt man sich um den Einfluss der Organisation. „Welcher einflussreiche Politiker geht denn jetzt noch zum BDI und plaudert aus dem Nähkästchen?“, sagte ein Mitglied des Gremiums.

Auch einen Tag nach der Debatte um Brüderles Äußerungen herrschte in der Union Kopfschütteln über die „Eselei“, des Wirtschaftsministers. Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach sagte, er wisse zwar nicht, ob Brüderle in dem Protokoll richtig zitiert worden sei. „Aber Rückenwind ist das alles für unsere Wahlkämpfer nicht.“ Den Rücktritt Schnappaufs bezeichnete Bosbach als „Bauernopfer in dieser Affäre“. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, „die panischen Reaktionen der Bundesregierung aus Angst vor den bevorstehenden Landtagswahlen werden immer mehr zur Farce“. An diesem Samstag planen Atomkraftgegner Protestkundgebungen in vier großen deutschen Städten, darunter auch in Berlin.

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