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Finanz-Staatssekretär Jens Spahn (CDU).

© dpa/ Kay Nietfeld

CDU-Politiker Jens Spahn: Profilierung jenseits der Tagesordnung

Wiederabschaffung der Rente mit 63? Wie der CDU-Politiker Jens Spahn das Ringen um ein Jamaika-Bündnis für seine Zwecke zu nutzen versucht.

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Das hat jetzt gerade noch gefehlt. Der Union, den Jamaika-Verhandlern – und auch der gesetzlichen Rentenversicherung, deren Kapital nicht zuletzt Verlässlichkeit ist. Punktgenau am Montag morgen, vor der ersten Sondierungsrunde zu den sozialen Themen, schlug ein gewisser Jens Spahn mit der Forderung auf, die erst vor drei Jahren installierte Rente mit 63 wieder abzuschaffen.

Weil die der großen Koalition ja von der SPD reingedrückt wurde. Weil deshalb nun das Geld für Witwen- und Erwerbsminderungsrenten fehle. Und weil man die männlichen Facharbeiter, die vor allem von der Regelung profitierten, noch auf dem Arbeitmarkt benötige.

Kein Thema für die Sondierer - und dann eine Falschmeldung

Die Sondierer dachten nicht daran, als erstes Reformen der Vorgängerregierung zurückzudrehen und sich als Koalition sozialer Kälte zu präsentieren – sie ignorierten das Drängen des CDU-Politikers. Doch am Mittwoch morgen, nach dem Reformationsfeiertag, der zweite Aufschlag via „Bild- Zeitung“: Union, FDP und Grüne hätten sich geeinigt, die vorgezogene Rente für langjährig Versicherte wenigstens teilweise einzukassieren, meldete das Blatt. Erhalten sollten sie fortan nur noch Beschäftigte mit schwerer körperlicher Arbeit.

Die Richtigstellung folgte prompt und energisch. „Wir dementieren das für alle, die da mit am Tisch saßen“, verkündete Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter. In dem gemeinsam beschlossenen Papier komme die Rente mit 63 „noch nicht mal als Frage vor“. Es gebe keine Einigung, betonten auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Es zähle nur, was schriftlich festgehalten werde. Andere Teilnehmer zeigten sich hocherbost und witterten hinter der Behauptung gar „Sabotage-Interesse“.

Doch wer steckt hinter der Tatarenmeldung ohne Quellenangabe? Spielt da einer an allen anderen vorbei sein renten- und wirtschaftspolitisches Spiel, hinter das die Koalitionäre in spe irgendwann nicht mehr zurück können? Und handelt es sich bei diesem Jemand womöglich um ebendiesen Finanzstaatssekretär und CDU-Präsidialen namens Spahn, der seit langem berüchtigt dafür ist, auf bullig-forsche Art Pflöcke einzuschlagen und die Altvorderen auch in der eigenen Partei aufzumischen? Garniert wurde sein Vorstoß ja auffällig flott mit inhaltsgleichen Forderungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft, des CDU-Wirtschaftsrats und der Arbeitgeber.

Verärgertes Kopfschütteln auch in der CDU

Verärgertes Kopfschütteln dagegen in der CDU der Angela Merkel über den gezielten rentenpolitischen Vorstoß. Schließlich gilt es nach dem AfD-Wahlerfolg für sie dringend wieder Boden gut zu machen beim Sozialen. Das Einkassieren arbeitnehmerfreundlicher Rentenregelungen passt da als Signal erst mal gar nicht ins Konzept.

Jens Spahn scheint das wenig zu kümmern. Er ist zwar erst 37, aber längst ein politisches Schwergewicht. Seit 2002 sitzt er im Bundestag, fünfmal in Folge holte er sich dafür in seinem Wahlkreis unangefochten das Direktmandat, zuletzt trotz CDU-Krise mit 51,2 Prozent. Der Westfale sitzt inzwischen im CDU-Präsidium, der frühere Finanzminister und aktuelle Bundestgaspräsident Wolfgang Schäuble gilt, schon bevor er den Gesundheitspolitiker zum Staatssekretär ernannte, als sein Mentor. Bei der Forderung, die schrittweise Erhöhung des Rentenalters auch nach dem Erreichen von 67 Jahren nicht auslaufen zu lassen, gingen die beiden übrigens d'accord - was die SPD zu der im Wahlkampf womöglich nicht unwirksamen (Falsch-)Behauptung veranlasste, die komplette Union wolle eine "Rente mit 70".

Der bekennende Homosexuelle kann wirtschaftsfreundlich ebenso wie scharf konservativ. Er diagnostizierte angesichts der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 schon mal „Staatsversagen“. Nach der Wahl in Österreich war er in Wien, um dem Rechtsruck-Kandidaten Sebastian Kurz von der ÖVP zum Sieg zu gratulieren. Und er versäumte auch nicht, seinem "Freund“ Michael Kretschmer rasch beste Wünsche zu senden, als der ebenfalls weit rechts Positionierte vom sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich zum Wunsch-Nachfolger ausgerufen wurde.

Ein breites Netzwerk bei den Jungen

Mit zunehmendem Argwohn beobachten Unionspolitiker seit geraumer Zeit, wie Spahn sukzessive ein breites Netzwerk unter Parteifreunden aufbaut, zu dem Konservative und auch Wirtschaftsliberale in Partei und Bundestagsfraktion gehören. Der Mittelstandspolitiker Carsten Linnemann etwa zählt dazu, der die Rente mit 63 ebenfalls ablehnt und genau wie der Thüringer Mike Mohring zur Gruppe „CDU 2017“ gehört, die erst im vergangenen Jahr von der Parteichefin einen stärker konservativ-wirtschaftsliberalen Kurs gefordert hatten.

Und natürlich Mitglieder der so genannten Jungen Gruppe der Unionsfraktion im Bundestag und der Jungen Union, die kurz nach der Bundestagswahl deutliche Kritik an der CDU-Führung geübt und eine Verjüngung an der Spitze verlangt hatten. Keine Frage, wer damit gemeint war: Jens Spahn, der beim Deutschlandtag in Dresden seine Partei „nahezu implodieren“ sah, kämpferisch dazu aufgerufen hatte, jetzt „nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen“ und dafür von den Jungen gefeiert wurde.

Mancher in der Bundestagsfraktion mutmaßt gar, Spahn und sein Netzwerk seien dafür verantwortlich, dass Fraktionschef Volker Kauder bei seiner Wiederwahl mit nur 77 Prozent abgestraft wurde. Der Genannte wird das genauso bestreiten, wie den Verdacht, dass er hinter der Falschmeldung zur Rente mit 63 gesteckt habe. Offensichtlich, sagt er dazu nur, sei das "jemand mit wenig Kenne" gewesen.

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