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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht mit Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) vor Beginn der ersten Sitzung der Unionsfraktion.

© dpa

CDU und CSU: Angela Merkels Problem heißt Obergrenze

In der Union müssen Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) etwas schaffen, was zuvor nicht gelungen ist: Eine echte Einigung.

Von Robert Birnbaum

Routine kann tröstlich sein. Es ist Dienstag, Tag zwei nach dem, was sich für viele in CDU und CSU mehr wie Wahlniederlage anfühlt als nach Sieg, aber die Unionsfraktion geht ihren normalen Geschäften nach. Der neue Fraktionsvorsitzende muss gewählt werden; es ist der alte. Angela Merkel hat Volker Kauder vorgeschlagen, Horst Seehofer hat zugestimmt, also wird er’s auch.

Der Rest der Fraktionsspitze wird vorläufig bestätigt. Nur vorher ist noch ein Tagesordnungspunkt abzuhandeln: „Beratung und Beschluss der Vereinbarung über die Fortführung der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU“. Seit 1949 ist auch das eigentlich Routine. Doch niemand würde sich wundern, wenn diesmal ein „vorläufig“ eingefügt würde.

Der Wahlabend hat die alten, notdürftig zugeschaufelten Gräben wieder weit aufgerissen. Formal hat Seehofer zwar schon am Montag vorgesorgt, dass dabei nicht gleich die Union zerreißt. Der CSU-Vorstand hat einstimmig und auf den Rat des Vorsitzenden hin beschlossen, dass CDU und CSU zusammenbleiben sollen. Das Manöver wird allseits als Teil von Seehofers Versuchen gewertet, den schlimmsten Absturz in der Geschichte der CSU politisch zu überleben. Wer ihm ans Zeug will, kann ihn jetzt wenigstens nicht mehr mit der Maximalforderung nach Loslösung jagen.

Aber damit ist das Problem nicht erledigt, sondern nur vertagt. Das Problem heißt Obergrenze. Erfunden als Abwehrzauber gegen Wählerwut, blockiert die Forderung jetzt ein schwarz-gelb-grünes Regierungsbündnis. Bis zum Wahlabend wäre der CSU-Chef zum Einlenken bereit gewesen; er hatte selbst Kompromissformeln wie „Kontingent“ ins Spiel gebracht. Seit dem Wahlabend ist es damit vorbei. „Ohne Obergrenze geht für uns nichts“, heißt es aus München.

Vor dem Wahlabend wäre selbst das für Merkel kein großes Problem gewesen. „Wenn es nur um die Sache ginge, könnten wir sogar da Lösungen finden“, sagt einer aus dem Kanzlerinnen-Nahfeld. Aber bisher ist niemandem ein Weg eingefallen, wie man vor einer höchst skeptischen Grünen-Basis eine „Obergrenze“ verstecken und sie zugleich Seehofer als Trophäe für seine Landtagswahl mit nach Hause geben könnte.

Die CDU-Chefin und der CSU-Chef haben öfter telefoniert seither, am Dienstag treffen sie sich vor der Fraktionssitzung zum ersten Mal Auge in Auge – wenn auch nur kurz, die Routine ruft. Für Merkel ist die neue altbekannt Konfliktlage nicht viel komfortabler als für den CSU-Chef. Auch in ihrer CDU gibt es Freunde der Obergrenze als Symbol für geschlossene Grenzen. Durch Merkels magere 33 Prozent und die fetten 12,6 der AfD sehen sie sich bestätigt. Merkel habe erzählt, dass sich der Flüchtlingswinter 2015/16 nicht wiederholen dürfe und ihn zugleich gerechtfertigt, sagt einer; das sei für besorgte Bürger zu viel Doppelbotschaft: „Wir haben der AfD das Feld kampflos überlassen.“

Merkels Kampagnen-Agentur gesteht Fehler im Wahlkampf ein

Ausgerechnet der Chef von Merkels Kampagnen-Agentur liefert für diese Sichtweise Material. Thomas Strerath, Vorstand bei „Jung von Matt“, gesteht im Medien-Fachmagazin „Horizont“ ein: „Merkel hat gewonnen, wir sind gescheitert.“ Die Agentur, sonst politisch strikt neutral, habe den politischen Auftrag nur angenommen, weil sie mithelfen wollte die AfD zu stoppen. Doch konzentriert hat man sich auf den falschen Gegner.

Als nach dem TV-Duell endgültig klar war, dass der SPD-Kandidat Martin Schulz erledigt ist, traf der Schwenk der öffentlichen Aufmerksamkeit auf das Rennen um Platz drei Merkels Agentur unvorbereitet. „Wir hatten in den drei Wochen nach dem TV-Duell, in den drei Wochen der Skandale der AfD, keine neue Antwort mehr“, räumt Strerath ein. „Nicht mehr genug Mut, genug Kraft, wenn überhaupt genug Erkenntnis über das, was gerade in Deutschland passiert ist.“ Womöglich, so die zerknirschte Bilanz, habe man am Ende geholfen zu ermöglichen, was man doch habe verhindern wollen.

Streng genommen ist das nur die Beichte des am eigenen Anspruch gescheiterten Werbemanns; aber sie nimmt logischerweise den Auftraggeber mit in Haftung. Auch dort wird inzwischen eingeräumt, dass man sich von den guten Umfragen im Sommer hat blenden lassen und später, als das Duell der Spitzenkandidaten jede Spannung verlor, nichts mehr aufzubieten hatte, um den Raum zu füllen, in den die AfD mit geschickt inszenierten Skandalen und dem Gebrüll auf den Plätzen hineindrängte. „Was hätten wir denn machen können?“ fragt einer aus dem Wahlkampfteam. „Die AfD zurück beschimpfen wie andere? Das hätte die doch nur noch stärker gemacht.

Das stimmt schon; gegen „Merkel muss weg“-Rufe ist Merkel schlicht das falsche Gegenmittel. Die Frage, ob die Kanzlerin nicht jenseits des harten AfD-Kerns sehr wohl gemäßigtere Protestwähler hätte erreichen und zum Umdenken bewegen können, ist damit nicht beantwortet. Die richtige Antwort auf diese Frage könnte noch wichtig werden, wenn sich der Protest nicht verfestigen soll.

Aber erst mal hat anderes Vorrang. Merkel und Seehofer müssen schaffen, was sie vor der Wahl nicht schafften – eine echte, kompromissfähige Einigung. Bewegen müssen sich dafür beide. Wenn an der CSU eine Regierungsbildung in Berlin scheitern würde, sagt ein CSU- Mann, „verlieren wir die Wahl in Bayern auch, nur bei der anderen Sorte unserer Anhänger.“ Doch Merkel kann sich auch kein Scheitern leisten. „Ohne die CSU“, sagt ein CDU-Mann, „geht gar nichts.“

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