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Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer sitzen im Konrad-Adenauer-Haus zusammen. Thema ist der Ausgang der Landtagswahl in Hessen. Weiter geht es um die Wahl eines oder einer Parteivorsitzenden beim nächsten Bundesparteitag.

© Kay Nietfeld/dpa

CDU-Vorsitz: Kann sich Kramp-Karrenbauer von Merkel abgrenzen?

Die CDU-Generalsekretärin wollte die Partei langsam von der Kanzlerin emanzipieren. Nun fordern Teile der Konservativen ein anderes Profil von der Parteispitze.

Von Robert Birnbaum

Der eine präsentiert sich in der Bundespressekonferenz, der andere per Videoclip und Zeitungsaufsatz. Nur die Dritte im Rennen um den CDU-Vorsitz bleibt bisher unsichtbar. Das hat vor allem Gründe der praktischen Moral. Annegret Kramp- Karrenbauer musste das Amt der Generalsekretärin abwickeln, bevor sie als Kandidatin auftritt. Aber nicht gleich stürmisch vorzupreschen passt schon auch ganz gut zu ihr. Am Mittwoch will sie sich in Berlin erstmals öffentlich zu ihrer Kandidatur äußern.

Als Friedrich Merz in allen Nachrichtensendungen zu sehen war und Jens Spahns Bewerbungsaufsatz in der FAZ in Druck ging, lud AKK, wie alle sie der Kürze halber nennen, erst einmal die Mitarbeiter des Konrad-Adenauer-Hauses zur Versammlung. Die Parteizentrale müsse die Wochen bis zum CDU-Parteitag im Dezember neutral arbeiten, schärfte sie der Belegschaft ein. Am Montag verkündet folglich Angela Merkel die Ergebnisse der Vorstandsklausur, und Bundesgeschäftsführer Klaus Schüler erläutert das Bewerbungsverfahren mit acht Regionalkonferenzen.

Man erfährt bei der Gelegenheit übrigens, dass AKK bisher die einzige Kandidatin für Merkels Nachfolge ist – die Saar-CDU hat sie nominiert, die zwei anderen brauchen noch das Votum zumindest eines Kreisverbands.

Wäre alles nach Plan gelaufen, entspräche diese formale Lage auch weitgehend der tatsächlichen. Als Kramp-Karrenbauer ihr Amt als Ministerpräsidentin aufgab und Merkels Generalin wurde, war das als Start für eine gemächliche Wanderung in Richtung Kanzleramt gedacht. Dass daraus ein Sprint gegen zwei Männer würde, konnte sie nicht ahnen. Dass Merz antritt, erst recht nicht. Aber die 52-Jährige hat schon ihren letzten Wahlkampf meist in Turnschuhen absolviert, und dort an der Saar hieß ihr wahrer Gegner bekanntlich Martin Schulz.

Aufbruchsignal für die Generalsekretärin

Richtig vergleichbar ist die Situation natürlich nicht, schon deshalb, weil der Ex-Fraktionschef Merz ein anderes Kaliber ist als der SPD-Kurzzeitmessias. Wie Kramp-Karrenbauer die Schulz-Welle brach, dürfte freilich in den CDU-Wahlkampfwochen eine Parallele finden. Sie hat den Hype um den SPD-Mann schlicht ignoriert, stoisch weiter Frauencafes und Weinfeste besucht und darauf gebaut, dass ihre Beliebtheit am Ende mehr wiegt als der Abglanz des Anderen.

Und beliebt ist sie in der CDU. Von den 99 Prozent, mit der sie ein Parteitag zur Generalsekretärin wählte, mag ein Großteil dem Aufbruchsignal gegolten haben. Trotzdem wäre es bei den meisten anderen Bewerbern weniger euphorisch ausgefallen. Das Markenzeichen „Merkel-Vertraute“ galt damals nicht als Nachteil. Viel mehr zählte aber, dass sie der Partei versprach, sie von der Kanzlerin sachte zu emanzipieren. Die Delegierten nahmen ihr das sofort ab.

Das Projekt liegt nun vorerst auf Eis. Kramp-Karrenbauer hat ihre „Zuhörtour“ absolviert, mehr als 40 Treffen mit der Basis quer durchs ganze Land, um Wünsche und Ideen für ein neues Grundsatzprogramm zu sammeln. Die Mitglieder erlebten eine konzentrierte Zuhörerin, die ihre Anliegen auf einen grundsätzlichen Punkt bringen konnte, auch wenn sie jemand nicht bühnenreif vortrug.

Nicht sicher ist, dass jeder die kleinen Abgrenzungen von Merkel wahrnahm, den Spott über Regionalkonferenzen als Veranstaltung, bei der die da unten sagen was sie stört „und wir von hier oben Ihnen sagen, warum Sie falsch liegen“. Aber dass da eine mit authentischem Stallgeruch stand, keine ferne Berlinerin, die bloß taktisch Interesse heuchelt – das Gefühl nahmen viele hinterher mit nach Hause. Neulich beim Deutschlandtag der Jungen Union wurde sie mit warmem Applaus begrüßt, als sie Abends schon zur Party im Kieler Norwegenkai auftauchte: „Die Annegret“ eben, Junge Union, Frauen-Union, Arbeitnehmerflügel, Zentralkomitee der deutschen Katholiken, an der Saar nacheinander oder gleichzeitig Innen-, Bildungs-, Familien-, Arbeits-, Sport- und Justizministerin, seit 2011 Ministerpräsidentin.

Viel mehr Regierungserfahrung geht kaum. Viel mehr CDU pur in der westlichen, linksrheinischen Variante auch nicht. Dass das Publikum sie lange kaum kannte und selbst im politischen Berlin nicht viele, liegt an der Abgelegenheit des Saarlands und an ihr selbst. Erst als sie 2012 die zerzankte Landes-FDP aus ihrer Jamaika-Koalition schmiss, mit der SPD vergeblich um eine Koalition rang und die Neuwahl danach mit Bravour gewann, merkten viele erstmals auf. Erst nach den langen Verhandlungsnächten vor einem Jahr in Berlin, erst um Jamaika, dann um die GroKo, hat sie regelrechte Fans im Kreis der CDU-Spitzen. Die beschreiben eine präzise präparierte, blitzgescheite, dazu lebenskluge und selbstbewusste Frau mit feinem Sinn für Ironie. Früher hätte man dazu „patent“ gesagt.

Lobeshymnen mit Nachteil

Die Lobeshymnen haben freilich zugleich einen Nachteil: Das klingt alles irgendwie merkelig. „Merkel zwo“ lästern die Anhänger ihrer Rivalen und fragen, ob die CDU sich wirklich schon wieder von einer Frau führen lassen will, die wieder keine Hallen in Ekstase reden kann. Das laufe doch bloß auf die Fortsetzung des merkelschen Mitte-Kurses mit ein paar weitgehend folgenlosen konservativen Einsprengseln hinaus. Tatsächlich findet Kramp-Karrenbauer zum Beispiel die „Ehe für alle“ weiterhin falsch, hat aber bei der Basistour immer erklärt, dieser Kampf sei unumkehrbar verloren.

Da bietet Merz mehr Projektionsfläche für unzufriedene Konservative. Der Sauerländer verspricht den Schnitt mit der Merkel-Zeit, wenn nicht in allen Inhalten, dann doch jedenfalls im Stil. Klare Kante erhoffen sich seine Parteigänger, die Heimholung der AfD-Verirrten, ein scharfes wirtschaftspolitisches Profil, Widerstand gegen den Zeitgeist, energische Führung, aber vor allem: Glanz.

AKK mag auffällige Blusen und Kostüme in gelegentlich geradezu blendenden Farben. Blitzend geschliffene Reden sind ihr Ding nicht; da ist schon der dialektgefärbte Singsang vor. Ihr stärkstes Argument in eigener Sache könnte ein ganz anderes werden: Dialog, Mitsprache und – Versöhnung.

Merz hat das auch versprochen in seinem ersten Auftritt: Nein, kein „Rechtsruck“, keine Revolution, nach der zur Abwechslung der liberale Flügel dauernd mit den Zähnen knirscht. Aber er muss das eben auch versichern, weil sein Image ein anderes ist. Kramp-Karrenbauer muss es in beide Richtungen nicht. Bis vor kurzem bekamen ja sogar organisierte Konservative vom „Berliner Kreis“ glänzende Augen, wenn die Rede auf die Generalin kam: Endlich jemand im Adenauer-Haus, der sie ernst nahm und nicht bloß anblaffte!

So wie die Dinge heute stehen, wird der Parteitag zwischen den beiden entscheiden müssen, spätestens in einer Stichwahl. Und beide werden sie dabei nicht nur nach den vermuteten Chancen bei der nächsten Wahl, den Zuschreibungen ihrer Freunde und ihrer Gegner und an den Auftritten gemessen werden. Ihr Maßstab bleibt auch, ob sie wollen oder nicht, die zwei Jahrzehnte Angela Merkel. Merz muss glaubhaft machen, dass er nicht Rache brütet und nicht alles anders macht. Kramp-Karrenbauer muss aufzeigen, was mit ihr anders werden soll und besser. Der Merkel-Rivale und die Merkel-Vertraute – so ganz leicht wird keiner der beiden sein Bild los.

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