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Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir wirft Teilen der Linkspartei vor, populistische Ressentiments zu bedienen

© dpa

Cem Özdemir im Interview: "Populistische Ressentiments von Linken sind Kalkül von Gregor Gysi"

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sieht tiefe Gräben zwischen Grünen und Linkspartei. Im Tagesspiegel-Interview spricht er über den fehlenden moralischen Kompass der Linken in der Außenpolitik, sowie über Differenzen in Renten- und Europapolitik.

Herr Özdemir, die Grünen haben nach der Bundestagswahl beschlossen, sich stärker auch für Bündnisse mit der CDU und der Linkspartei zu öffnen. Wie kommen Sie damit voran?

Bei den letzten drei Bundestagswahlen hat es für Rot-Grün nicht gereicht. Deshalb haben wir beschlossen, offener in Wahlauseinandersetzungen zu gehen. Natürlich gibt es immer noch eine gefühlte Nähe zur SPD und eine größere inhaltliche Schnittmenge als mit anderen Parteien. Aber man weiß vor einer Wahl nicht, welche Mehrheiten sich ergeben. Deshalb müssen wir auch für andere Bündnisse offen sein. Im Bund ist eine Koalition mit der Linkspartei im Moment allerdings nur sehr schwer vorstellbar. In den vergangenen Monaten sind die Gräben zwischen unseren Parteien tiefer geworden.

Wo sehen Sie Gräben zwischen Ihren Parteien?

In der Außenpolitik fehlt der Linkspartei jede Art von moralischem Kompass. Die Grünen können nicht mit einer Partei koalieren, die bei Menschenrechtsverletzungen danach unterscheidet,  wer sie begeht. Die Linke hat sogar die deutsche Beteiligung an der Zerstörung der chemischen Waffen des syrischen Diktators Assad abgelehnt, weil sie nicht wollte, dass diese durch Bundeswehrsoldaten vorgenommen wird. Wenn das Prinzip wichtiger ist als der Schutz von Menschenleben, ist das pervers.

Der frühere Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hat neulich gesagt, eine Mitte-links-Regierung würde anders als eine Regierung mit der Union eine Kultur der militärischen Zurückhaltung bei gleichzeitiger Stärkung ziviler Maßnahmen verfolgen. Sehen Sie das anders?

Da rate ich ihm, sich die Abstimmungen der letzten Jahre im Bundestag anzuschauen. Bei Einsätzen mit UN-Mandat haben wir sehr viel häufiger mit der Union gestimmt als mit der Linkspartei. Jürgen Trittin ist ein exzellenter Ratgeber, wenn es um die Energiepolitik geht, wie aktuell bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Aber in vielen Fragen hat sich die Partei für einen anderen Kurs entschieden als er, und zwar flügelübergreifend. Beispielsweise unterstützt er die Rentenpolitik der Bundesregierung, die wir für falsch und generationenungerecht halten. Und er hat zum Teil eine andere Analyse der Ukraine-Krise als die Partei. Wir freuen uns auch über abweichende Positionen, aber der Mehrheitskurs ist eindeutig ein anderer.

Ist die Außenpolitik das größte Hindernis für ein Bündnis mit der Linkspartei im Bund?

Ich sehe im Moment weder Gemeinsamkeiten in der Außenpolitik noch in der Renten- oder der Europapolitik. Ich habe den Eindruck, dass es Kalkül von Gregor Gysi ist, wenn einige in der Partei populistische Ressentiments bedienen. Gysi hofft, dass die Linke auch diese Stimmen einsammeln kann, die sie bei der letzten Wahl an die AfD verloren hat. Ich finde es bedauerlich, dass die Linkspartei sich so entwickelt. Aber Koalitionen sind keine Selbstfindungsprozesse und wir sind nicht die Coachs der Linkspartei. Die müssen schon selbst klären, wofür sie stehen.

Glauben Sie nicht, dass die Linke sich bis 2017 noch ändern kann?

Es wäre wünschenswert. Ich sehe im Moment aber nicht, dass die Linkspartei sich auch nur im Millimeterbereich auf uns zubewegt. Im Gegenteil: In zentralen Politikfeldern werden die Differenzen eher größer. Die Linke nähert sich im Moment in der Europapolitik und der Haltung zur Ukraine eher der AfD an. Davor kann ich nur warnen. Dies gilt in Sachen Europa- und Außenpolitik übrigens auch für die CSU. Ich hoffe, jeder dort hat kapiert, dass der Gauweiler-Kuschelkurs einzig und allein der AfD nutzt und die CSU in der rechten Ecke isoliert.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat neulich zum ersten Mal die Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping und Bernd Riexinger, zum Gespräch getroffen. Wie bewerten sie das?

Dass Parteivorsitzende miteinander reden, sollte in einer Demokratie normal sein. Ich würde dieses Treffen nicht überbewerten. Das war doch nur Geplänkel, um die paar Anhänger des linken Flügels der SPD und die Jusos glücklich zu machen. Im Moment hat die SPD sich für die große Koalition im Bund entschieden. Und auch in den Ländern ist sie dazu bereit.

Zusammen mit Ihrer Co-Vorsitzenden Simone Peter haben Sie neulich auch mit den beiden Linksparteichefs zusammen gesessen. Welchen Eindruck hatten sie?

Das sind sehr freundliche Zeitgenossen. Aber am Ende des Tages geht es darum, ob es genügend inhaltliche Übereinstimmungen zwischen uns gibt. Und da habe ich meine Zweifel.

Bei der Landtagswahl im Herbst in Thüringen stehen SPD und Grüne möglicherweise vor der Frage, ob sie einen linken Ministerpräsidenten wählen. Ist das für Sie ein Tabu?

Die Grünen fahren auch in Thüringen den Kurs der Eigenständigkeit und schauen, mit wem sie ihre Inhalte am besten umsetzen können. Mit wem das funktionieren kann, wird vor Ort entschieden. Aber grundsätzlich ist natürlich in den Ländern eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei vorstellbar. Im Osten haben wir es in Wahrheit ja mit einer zweiten sozialdemokratischen Partei zu tun. Wer mit einer sozialdemokratischen Partei koalieren kann, kann es auch mit zweien. Probleme sehe ich vor allem bei den West-Landesverbänden der Linkspartei und im Bund. Da sitzen die frustrierten Ideologen aus grauer Vorzeit.

Die Fragen stellte Cordula Eubel

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