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Politik: Charakterfrage

In der britischen Regierungspartei formiert sich Widerstand gegen Blairs möglichen Nachfolger Brown

Die Labour-Partei kommt nicht zur Ruhe. Schatzkanzler Gordon Brown, der vergangene Woche noch wie der unweigerliche Nutznießer der Verschwörung gegen Premierminister Tony Blair aussah, sieht sich nun massiver Kritik von Parteigenossen ausgesetzt. Im Kabinett seien Bestrebungen im Gange, einen Gegenkandidaten zum Schatzkanzler aufzustellen – nach dem Motto „Stoppt Brown“. Bis zu zehn Minister unterstützten eine solche Gegenkandidatur, meldete am Sonntag der „Observer“. Andere Medien berichten, Bildungsminister Alan Johnson, ein ehemaliger Postler, bereite seine Kandidatur vor.

Brown begrüßte am Sonntag in einem Interview mit der BBC einen solchen Führungswahlkampf und verteidigte sich gegen Vorwürfe, er habe die Kampagne gegen Blair selbst orchestriert. Hätte man ihm den Brief gezeigt, in dem 15 Abgeordnete Blairs Rücktritt forderten, hätte er ihnen erklärt, wie „schlecht sie beraten“ seien. Doch gleichzeitig berichtete die „Sunday Times“, dass der Haupträdelsführer, Juniorminister Tom Watson, am Tag vor der Attacke bei den Browns in Schottland zum Kaffee war. Er habe nur ein Geschenk für Browns neues Baby abgegeben, behauptete Watson, der mit seinem Rücktritt von seinem untergeordneten Regierungsposten den eigentlichen Stoß gegen Blair führte.

Nach Angaben der Zeitung „Independent on Sunday“ soll Blair im persönlichen Gespräch mit engen Vertrauten Brown einen „Lügner“ genannt haben. Vor seiner Nahostreise am Wochenende rief Blair die Partei zwar in einer lockeren Rede dazu auf, persönliche Attacken zu unterlassen. Einladungen von Journalisten, Brown seine persönliche Unterstützung zuzusichern, ignorierte Blair aber. Berichten zufolge wird es den offiziellen Segen Blairs für einen Nachfolger Brown auch nicht geben.

Brown musste sich im Sender BBC vielmehr gegen scharfe Vorwürfe des früheren Innenministers Charles Clarke wehren, der Browns Charakter in Frage stellte. Der von Blair entlassene Clarke hatte Brown in mehreren Interviews Führungsschwäche vorgeworfen und ihn als „nervös“, „unsicher“ und „verblendeten Kontroll-Freak“ bezeichnet, dem jede Kollegialität fehle. Der frühere Rugbyspieler Brown bezeichnete sich in der BBC dagegen als „Teamplayer“ und versprach ein Kabinett, das alle Positionen in der Partei und sogar „Talente von außerhalb“ berücksichtige. Doch Brown wirkte genau, wie Clarke ihn beschrieb: nervös und unsicher, weit entfernt von dem überlegenen Kommunikator, den die Briten in Blair kennenlernten. Die Frage, was eine Regierung unter Gordon Brown anders machen würde, beantwortete er vage. Er sei von seinem inneren „moralischen Kompass“ geleitet, sagte der Schatzkanzler.

Briten geben Brown laut einer im „Observer“ veröffentlichen Analyse der Meinungsforscher vom Institut Mori einen höheren Vertrauensvorschuss als Blair, doch nur acht Prozent bescheinigen ihm besonders viel „Persönlichkeit“. Nach einer Umfrage im „Guardian“ glauben zwar 33 Prozent der Briten, dass Labour unter Brown die besten Chancen bei der nächsten Wahl habe. Doch 52 Prozent würden „einen anderen“ bevorzugen.

Die Chancen eines Gegenkandidaten zu Brown werden vorerst als gering eingestuft. Das könnte sich aber schnell ändern, vor allem wenn Blair seinen Abgang noch ein bisschen hinauszögert. Der Schaden für die Labour-Partei ist jedoch enorm. Die Konservativen haben in Umfragen einen Vorsprung von zwischen sechs und neun Prozentpunkten.

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