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China Riot

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China: Der Tod eines Mädchens

30.000 protestierten in Chinas Provinz gegen lokale Behörden - die Menschen glauben, die Polizei vertusche einen Mord. Jetzt erreicht das Problem auch Peking.

Am Dienstag hat sich der Chef der kommunistischen Partei der südwestchinesischen Provinz Guizhou genötigt gesehen, an die aktuelle Staatsdoktrin von der "harmonischen Gesellschaft" zu erinnern. "Wir müssen die Aufrechterhaltung der sozialen Harmonie und Stabilität ganz oben auf die Agenda setzen", sagte Shi Zongyuan der Nachrichtenagentur Xinhua. Er hat Grund, sich um die Harmonie zu sorgen. Am Wochenende hatten sich in seiner Provinz in Weng'an an die 30 000 wütende Menschen versammelt, eine Polizeistation in Brand gesteckt, Regierungsgebäude angegriffen und beschädigt sowie Polizeiautos umgeworfen.

Grund für die Unruhen ist der Tod eines 17-jährigen Mädchens. Die Schülerin Li Schufen war am 22. Juni tot in einem Fluss gefunden worden. "Selbstmord durch Ertrinken" stellte die örtliche Polizei fest und beendete die Ermittlungen. Doch offenbar glaubt die Bevölkerung an eine andere Version. Demnach soll das Mädchen von drei jungen Männern vergewaltigt und ermordet worden sein. Die Polizei soll sie befragt und anschließend wieder freigelassen haben. Zwei der jungen Männer sollen Verwandte bei der örtlichen Polizei haben, berichtet das Hongkonger Informationszentrum für Menschenrechte und Demokratie. Die Gerüchte von der Vertuschung durch die örtlichen Behörden hatten die Bevölkerung aufgestachelt. Inzwischen, so berichtet die Nachrichtenagentur AP, patrouillieren schwer bewaffnete Polizisten in Weng'an, paramilitärische Einsatzkräfte haben hunderte Randalierer verhaftet.

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Am Samstag protestierten 30.000 Menschen gegen unsaubere Ermittlungsmethoden zum Tod einer Schülerin. -

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Bis zu 80.000 Demonstrationen im Jahr

Erstaunlich bleibt, wie bereitwillig die Bevölkerung den Gerüchten von der Vertuschungsaktion der örtlichen Behörden Glauben schenkte. Der Provinzchef Shi Zongyuan beschuldigte zwar "einige Gangster" unter den Demonstranten, die Bevölkerung angestachelt zu haben. Doch er gibt auch zu, dass die Ausschreitungen neben dem Tod des Mädchens andere Gründe gehabt haben dürften. Streitthemen wie Zuwanderung oder Zwangsumsiedlung der Bevölkerungen seien von den örtlichen Behörden in der Vergangenheit nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt worden. "Wir müssen aus den Problemen unsere Lehren ziehen", sagte Shi Zongyuan bei einem Treffen mit Behördenvertretern und Augenzeugen der Ausschreitungen.

Obwohl China kein Recht auf Demonstrationen einräumt, gibt es laut Menschenrechtsorganisationen bis zu 80.000 Demonstrationen pro Jahr. Im vergangenen Jahr haben zehntausende Protestierer in Xiamen die Ansiedlung einer gesundheitsgefährdenden Chemiefabrik verhindert. Doch 37 Tage vor der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking wollen die kommunistischen Machthaber der Welt eine stabile und harmonische Gesellschaft präsentieren - und riefen nach einer staatlichen Konferenz die lokalen Behörden dazu auf, in den nächsten Wochen Proteste und Unzufriedenheit in der Bevölkerung nicht aufkommen zu lassen. "Das ist ein Kampf, den wir gewinnen müssen", heißt es auf einer staatlichen Webseite.

Auch im Internet wird gekämpft. Dort ist Weng'an, der Ort der Ausschreitungen, zu einem unerlaubten Wort geworden. Jeder Beitrag, der diesen Namen beinhaltet, wird von den chinesischen Internetzensoren gelöscht. Weil trotzdem immer mehr kontroverse Versionen der Ereignisse im chinesischen Internet kursieren, ist die Diskussion nun von den Zensoren kanalisiert worden. Wie der Blog "Eastwestsouthnorth" feststellt, darf nur noch auf der Internetseite Xinhua.com über den Tod des Mädchens in Weng'an diskutiert werden. Seitdem verzeichnet die Webseite der staatlichen Nachrichtenagentur Rekordaufrufszahlen.

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