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Alles nur Fassade in China? Korruption ist im Reich der Mitte an der Tagesordnung.

© dpa

China: Die korrupte Kaste der Staatsfunktionäre

Die politische Klasse Chinas genießt ihre Privilegien, nutzt ihre Macht und schert sich wenig um ihren Ruf. Die Familien mancher Funktionäre sind immens reich, die Jugend fährt Ferrari - manche Parteibonzen setzen sich mit dem gesamten Vermögen auch ins Ausland ab.

Das jüngste Beispiel für das Allmachtsgefühl eines chinesischen Beamten stammt aus Binzhou in der ostchinesischen Provinz Shandong. Von dort ist ein nicht authentifiziertes Internetvideo überliefert, auf dem sich eine jüngere Frau namens Zhang beim örtlichen Vizeparteisekretär beschwert. Ihr war zum zweiten Mal der Strom abgestellt worden, das erste Mal hatte sie eine Strafe über 1000 Yuan (122 Euro) nicht bezahlt, weil sie auf dem Gelände der örtlichen Regierung eine Blume gepflückt hatte. Die Antwort des Beamten fällt ungewöhnlich aus: Vor den Augen ihres Kleinkindes beginnt er, sie zu schubsen und zu stoßen, schließlich tritt er sie, ehe sie zu Boden fällt. Sieben weitere Männer, die aus dem Regierungsgebäude laufen, halten ihn nicht auf, im Gegenteil, sie bedrängen die Frau ebenfalls.

Die Zeitungen „China Daily“ und „Dazhong Daily“ berichteten über die Misshandlung, das Video wurde mehr als 1,3 Millionen Mal angesehen und empört die chinesische Internetgemeinde. „Ein Haufen großer Männer, gar gut gekleideter großer Männer, schlägt eine junge Frau – was ist das für eine Gesellschaft?“, fragt ein Nutzer auf dem Kurznachrichtendienst QQ Weibo. Ein anderer schreibt: „Ist das der sogenannte Dienst am Volk? Darf ich euch fragen: Seid ihr die lokale Regierung – oder seid ihr lokale Gangster?“ Eine Frage, die in China öfter gestellt wird. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht Chinesen auf dem Kurznachrichtendienst Weibo oder Menschenrechtsgruppen über weitere Fälle des Machtmissbrauchs durch Sicherheitskräfte, Beamte und Funktionäre berichten.

Die beliebteste Spielart des Machtmissbrauchs in China bleibt jedoch die Korruption. Bestechung ist im Kommunismus mit chinesischen Besonderheiten offenbar so gängig, dass es sogar besondere Phänomene gibt. Als „Luo Guan“, nackter Beamter, wird zum Beispiel ein korrupter Parteifunktionär bezeichnet, der seine Frau und Kinder ins Ausland auswandern lässt und mit ihnen auch sein illegal erworbenes Geld in Sicherheit bringt. Irgendwann folgt er ihnen und seinem Vermögen nach. So wie im August der Parteisekretär Wang Guoqiang aus Fengcheng, der sich mit 200 Millionen Yuan (rund 25 Millionen Euro) in die USA abgesetzt hat. Wie die „Global Times“ berichtet, haben sich seit 1980 mindestens 4000 Beamte vor allem nach Kanada, Australien und in die USA verabschiedet. Mit 400 Milliarden Yuan, rund 48,8 Milliarden Euro.

Trotz zahlreicher Anti-Korruptionskampagnen der Regierung ist auch das Bild der chinesischen Parteiführung in der Öffentlichkeit nicht sonderlich gut. „Ihr Ansehen ist nicht besonders hoch, aber es ist auch nicht so furchtbar schlecht, wie es im Internet gemacht wird“, sagt der Politikprofessor Zhang Ming dem Tagesspiegel. Am besten kommt noch Premierminister Wen Jiabao weg, der in der Bevölkerung auch „Opa Wen“ genannt wird. „Weil er wenigstens manchmal die Wahrheit sagt und immer an der vordersten Linie steht, wenn sich eine Naturkatastrophe ereignet hat“, sagt Zhang Ming.

Dabei mischt auch seine einflussreiche Familie in der Wirtschaft mit. Sein Sohn Winston Wen steht der Telekommunikationsfirma China Satcom vor, seine Frau Zhang Peili verdiente lange Zeit sehr viel Geld im Diamantenhandel. Allerdings wird in den staatlich kontrollierten Zeitungen Chinas nicht über das Vermögen der Spitzenpolitiker berichtet. Als die Nachrichtenagentur Bloomberg das Vermögen der Familie des künftigen Parteichefs und derzeit aus der Öffentlichkeit verschwundenen Xi Jinping zusammenstellte, waren sein Name und Bloomberg in China sofort für alle Internetsuchen gesperrt. Die Agentur hatte herausgefunden, dass Xi Jinpings Familie ein Vermögen von mehreren hundert Millionen Dollar zugeordnet werden kann, darunter mehrere Luxushäuser in Hongkong. Bloomberg betonte allerdings, dass dem künftigen Staatspräsidenten selber keine Vorwürfe zu machen seien.

Nicht mehr geduldet von Chinas politischer Führung wird offenbar, wenn ihr Reichtum zu offensichtlich wird. Wie unlängst bei Ling Jihua, einem engen Vertrauten des Staatspräsidenten Hu Jintao. Nachdem Berichte über den tödlichen Unfall seines Sohnes mit einem 700 000 Dollar teuren Ferrari 458 Spider erschienen waren, wurde der Spitzenpolitiker degradiert. Die Summe liegt außerhalb des Salärs eines ehrlichen chinesischen Staatsbeamten und könnte in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, in der sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet, den öffentlichen Unmut über die herrschende Klasse verstärken.

Im Frühjahr verursachte der US-Botschafter in China im Internet ein Nachdenken über die eigene Nomenklatura. Die chinesischen Nutzer hatten ein Foto entdeckt, auf dem Gary Locke in einem Schnellcafé an der Kasse steht, seinen Rucksack selber trägt – und seinen Kaffee sogar mit eigenem Geld bezahlt! „Wir haben uns so gewöhnt an die Privilegien chinesischer Beamter, dass wir Gary Lockes normales Benehmen ungewöhnlich finden“, erklärt ein Nutzer die Aufregung.

Politikprofessor Zhang Ming glaubt, dass die in Chinas politischer Klasse verbreitete Korruption systemimmanent sei. „Sie haben zu große Macht und zu wenig Überwachung, und sie öffnen sich nicht den Medien“, erklärt er. Inzwischen habe sich sogar ein Mechanismus entwickelt. „Man kann nicht mehr im System leben, ohne korrumpiert zu werden“, sagt Zhang Ming. Zwar gehört es auch zur chinesischen Kultur, persönliche Beziehungen mit Geschenken zu pflegen. „Diese Kultur kann zur Korruption beitragen, aber was den Leuten wirklich wichtig ist, ist der Zugang zur Macht“, sagt der Professor.

Ähnlich hatte sich auch der bei der Partei nach dem Tiananmen-Massaker in Ungnade gefallene ehemalige Premierminister Zhao Ziyang geäußert. Die Korruption in China sei nur mit der Einführung demokratischer Strukturen zu bekämpfen, schrieb er in seinen posthum veröffentlichten Memoiren.

Vom aktuellen System aber profitieren auch die Nachkommen der Mächtigen. In China hat es zuletzt immer wieder Skandale um Autounfälle oder Gewalttaten der „fuerdai“, der Reichen der zweiten Generation, gegeben. Der vielleicht bekannteste Skandal ereignete sich im Oktober 2010 auf dem Campus der Hebei-Universität, wo Li Qiming, der Sohn des örtlichen Vizepolizeidirektors Li Gang, mit seinem Auto in eine Gruppe Studenten fuhr. Ein junges Mädchen starb, andere wurden zum Teil schwer verletzt. Als Sicherheitskräfte ihn festnahmen, rief er: „Na los, verklagt mich, wenn ihr euch traut – mein Vater ist Li Gang!“

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