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Im Gefängnis von Jinzhou ist der Nobelpreisträger Liu eingesperrt.

© Goh Chai Hin/AFP

China: Ein Regime schlägt zurück

Die Frau des Friedensnobelpreisträgers Liu ist verschwunden – und China zensiert die Berichterstattung. Die Autokraten sind deshalb so empört, weil sie genau wissen, dass die Entscheidung zu einer Bedrohung für die Einparteienherrschaft werden kann.

Auch am Tag nach der Bekanntgabe des Friedensnobelpreisträgers 2010 war nicht klar, ob Liu Xiaobo weiß, dass ihm die Auszeichnung zuerkannt worden ist. Möglicherweise überbringt ihm seine Frau Liu Xia die Nachricht im 350 Kilometer nordöstlich von Peking gelegenen Gefängnis von Jinzhou. Der Nachrichtenagentur Reuters sagte sie am Freitag, dass die Polizei sie dazu zwinge, die Stadt zu verlassen, damit sie nicht an die Öffentlichkeit gehen kann. Sie werde zu ihrem Mann gebracht. Seitdem ist sie jedoch verschwunden.

Auch Chinas Bevölkerung wird über den ersten Nobelpreisträger des Landes von der chinesischen Zensur so weit wie möglich in Unwissenheit gehalten. Die Blogseite „China Digital Times“ dokumentierte eine Anordnung des Zentralen Propaganda-Büros – das Chinas Internetnutzer nach George Orwell auch „Wahrheitsministerium“ nennen –, wonach alle Medien die Nachricht zunächst gar nicht berichten durften und später nur eine offizielle Version der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Das Internet bringt bei der Suche nach „Liu Xiaobo“ Fehlermeldungen. Selbst Textnachrichten auf Mobiltelefonen, die seinen Namen enthalten, werden teilweise geblockt.

In den Fernsehnachrichten tauchte der Nobelpreis für den 54 Jahre alten Menschenrechtsaktivisten kaum noch auf. Dies ist insofern kurios, als vor der Bekanntgabe des Friedensnobelpreises in den chinesischen Medien groß über die übrigen Nobelpreisträger berichtet worden war. Das Land wunderte sich, warum es keine Nobelpreise gewinnen kann. „Nobel-Preis-Komplex“ nannten das zahlreiche chinesische Medien und diskutierten, woran das liegen könnte. Doch seit Freitag ist dieser Preis, den China unbedingt gewinnen wollte, nichts mehr wert. Zumindest aus Sicht der chinesischen Regierung: Ein „Krimineller“ hat ihn gewonnen, wurde in Peking erklärt.

Chinas Autokraten sind deshalb so empört, weil sie genau wissen, dass die Entscheidung zu einer Bedrohung für die Einparteienherrschaft werden kann. Zumindest hat die oppositionelle Demokratisierungsbewegung in China neuen Schub und neue Motivation erhalten. „Ich glaube, dass dieser Preis die Chinesen in ihrem unermüdlichen Kampf für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte enorm ermutigt“, sagte der Dozent Zhang Zuhua, der zu den Erstunterzeichnern der Charta 08 gehört, dem Sender „Radio Free Asia“.

Dieses Manifest für Bürgerrechte und Demokratie, das nun entscheidend mit Liu Xiaobos Namen verbunden ist und das rund 10 000 Menschen unterzeichnet haben, ist in der breiten chinesischen Bevölkerung weitgehend unbekannt. Es wurde am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, in China veröffentlicht und fordert die Einführung von Demokratie im Reich der Mitte sowie die Umsetzung in der Verfassung festgelegter Freiheitsrechte. Seine Erstunterzeichner werden von Sicherheitskräften bedroht und belästigt. Hinter diesem Manifest hat sich Chinas Opposition erstmals seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tiananmenplatz am 4. Juni 1989 versammelt. Und spätestens seit Freitag ist der neue Nobelpreisträger Liu Xiaobo auch ihr Gesicht.

Allerdings lässt sich nicht absehen, ob diese neue Prominenz ihm und seiner Frau Liu Xia nicht auch schaden könnte, wie ihr Verschwinden am Samstag gezeigt hat. Zwar setzten sich immer mehr internationale Politiker wie US-Präsident Barack Obama und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für eine Freilassung des chinesischen Dissidenten ein. Doch auch für seine Unterstützer wächst zunächst die Gefahr. Wie der unter Hausarrest stehende chinesische Anwalt Tang Biao berichtet, sind in Schanghai und Peking mindestens acht prominente Internet-Nutzer festgenommen worden, als sie die Nachricht aus Oslo feierten.

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