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Eine ältere Chinesin steht in Hangzhou in der Provinz Zhejiang vor den aktuellen Börsenkursen. In China sind sinkende Kurse grün gefärbt.

© Reuters

China in der Wirtschaftskrise: Die nervöse Macht

China präsentierte sich gegenwärtig als nervöse Macht. Die ökonomischen Probleme häufen sich, die wirtschaftlichen Reformen stocken - und die Politik reagiert darauf immer restriktiver. Ein Essay.

Immerhin die Außenschaltung in die südchinesische Stadt Guangzhou bot kuriose Bilder: 540 Roboter übten sich im Synchrontanz, über ihnen kreisten 29 bunte Drohnen im Formationsflug. Ansonsten aber sorgte die viereinhalbstündige Gala im Staatsfernsehen CCTV zum chinesischen Neujahr Anfang Februar eher für Unmut bei den vermutlich rund 700 Millionen (sic!) Zusehern.

„Das ist die langweiligste Neujahrsgala, die ich in 23 Jahren gesehen habe“, schrieb ein Zuschauer namens Xiao Junge auf seinem Mikroblog und unterstrich dies mit Fotos seiner Familie, die auf dem Sofa eingeschlafen war. Bei einer nicht repräsentativen Internet-Umfrage auf der Webseite Sina Weibo gaben 75 Prozent der wichtigsten Fernsehsendung Chinas nur einen von zehn möglichen Punkten. Der Regisseur hatte die Gala so großflächig mit politischer Propaganda versehen, dass sich ein Internet-Nutzer namens Yao Di fragte: „War das jetzt die Neujahrsgala oder die Abendnachrichten?“

Mutlos ins neue Jahr

Schon immer war diese Gala, die seit 1983 jährlich die zweiwöchigen Neujahrsfeierlichkeiten nach dem Mondkalender einläutet und zu der sich traditionell die Mehrzahl der 1,3 Milliarden Chinesen vor dem Fernseher versammelt, eine stark zensierte und mit Propaganda durchsetzte Sendung. Doch hat es in den Jahren zuvor mehr Mut, Ironie und Kreativität bei den Darbietungen gegeben, auch eine größere Offenheit. Einmal trat die kanadische Sängerin Celine Dion auf. Am Vorabend des aktuellen Affenjahres aber richtete China seinen Blick fast ausschließlich nach innen. Der Regisseur ließ mehrfach Soldaten der Volksbefreiungsarmee über die Bühne marschieren, wiederholte Aufnahmen der letztjährigen Militärparade in Peking, propagierte in Musik- und Tanzdarbietungen die ethnische Einheit Chinas und zitierte politische Parolen. Schon der Titel der Sendung versprach alles andere als spannende Unterhaltung: „Du und ich, unser chinesischer Traum – vollständiger Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand.“ Der Titel wiederholt die wichtigsten politischen Parolen des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping. Ja, diese Neujahrsgala 2016 war mutlos, verkrampft und stromlinienförmig – und spiegelt damit eindrucksvoll den Zustand Chinas im Frühjahr 2016 wider.

Der Führungsanspruch der Kommunistischen Partei gründet sich auf ökonomischen Erfolg

China präsentiert sich gegenwärtig als eine Nation im wirtschaftlichen und politischen Stillstand. Die ökonomischen Probleme häufen sich, die wirtschaftlichen Reformen stocken, und die Politik reagiert darauf immer ängstlicher und restriktiver. Die Furcht des autoritären Staates vor einem wirtschaftlichen Abschwung verwundert nicht, gründet sich der Führungsanspruch der Kommunistischen Partei Chinas doch auf einem fortwährenden ökonomischen Erfolg.

Seit der gewaltsamen Niederschlagung der Studentenbewegung auf dem Pekinger Tiananmenplatz 1989 hat der Kommunismus in China an ideologischem Unterbau verloren. Er nennt sich nun „Sozialismus chinesischer Prägung“ und ist eine politische Idee, die vor allem große Flexibilität beweist. Manches unter Mao Tse-tung noch Undenkbares wird akzeptiert, zum Beispiel turbokapitalistische Auswüchse. So ist China inzwischen das Land mit den meisten Dollar-Milliardären, zuletzt hat sich ihre Zahl innerhalb von zwei Jahren auf 596 verdoppelt. Während also die kommunistische Ideologie verschwimmt, ist es Deng Xiaoping schon in den Neunzigerjahren gelungen, die alleinige Macht seiner Partei auf einen neuen Deal mit der Bevölkerung zu gründen: Wir machen euch alle reicher – und ihr haltet euch aus der Politik heraus. Das funktionierte lange Zeit sehr gut, das Bruttoinlandsprodukt hat sich innerhalb von 20 Jahren vervierzehnfacht, Millionen von Chinesen sind der Armut entkommen. Und an diesem Handel hat sich bis heute nichts geändert.

Parteichef Xi Jinping hat das Versprechen gerade wieder erneuert. Aus wirtschaftlichem Wachstum und nationaler Stärke wächst der „chinesische Traum“, den der Staatschef so gerne zitiert. Den ökonomischen Fortschritt hat er sogar genau definiert: Bis zum Jahr 2020, so erklärte die KP China anlässlich der Machtübergabe von Hu Jintao auf Xi Jinping im Oktober 2012, werde sich das Einkommen aller Chinesen verdoppeln. Eine wunderschöne Verheißung für das Volk – und ein riesiger Druck für den Staats- und Parteichef. Denn die Einhaltung dieses nicht unbedingt nötigen Versprechens ist nun sein größtes Problem.

Chinesen suchen auf einer Jobmesse in Yiwu in der Provinz Zhejiang nach Arbeit.
Chinesen suchen auf einer Jobmesse in Yiwu in der Provinz Zhejiang nach Arbeit.

© AFP

Zwar ist China zu einem weltwirtschaftlichen Giganten gewachsen. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von mehr als zehn Billionen US-Dollar ist die Volksrepublik die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, und es ist nur eine Frage der Zeit (und der Berechnungsmethode), bis sie auch die USA als stärkste Volkswirtschaft überholt haben wird. Und dennoch gibt es Anlass zur Sorge.

Mit 6,9 Prozent wuchs die Wirtschaft im Jahr 2015 so gering wie seit 25 Jahren nicht mehr. Und das ist nur die offiziell angegebene Zahl der Regierung, einige Ökonomen halten sechs Prozent Wachstum für richtiger. Auch in diesem Frühjahr verheißen die Kennzahlen wie das um 9,8 Prozent gesunkene Außenhandelsvolumen wenig Gutes. Der massive Abfluss chinesischen Kapitals ins Ausland und die rekordträchtigen Investitionen chinesischer Firmen außerhalb ihrer Heimat zeugen nicht gerade von Vertrauen in eine positive Entwicklung der chinesischen Wirtschaft. Auch die Aufhebung der Einkindpolitik, die dem chinesischen Arbeitsmarkt mehr Arbeitskräfte bescheren und die Alterspyramide umformen soll, zeitigte bisher nicht den gewünschten Erfolg.

Mit den wirtschaftlichen Problemen steigt auch die Zahl der Streiks und Lohnkämpfe. Dabei lässt sich die Arbeitslosigkeit in China gar nicht genau überblicken. Zahlreiche Fabriken schließen, doch laut offizieller Zahlen ist der Arbeitsmarkt vorerst stabil. Das Schrumpfen der chinesischen Stahlindustrie könnte freilich bis zu zwei Millionen Jobs kosten. Auch gefährdet die unbekannte Zahl von unbezahlten Gehältern sowie der Scheinbeschäftigten die soziale Stabilität.

Dabei ist ein Teil des Abwärtstrends sogar beabsichtigt. Die chinesische Regierung versucht, ihre Wirtschaft nachhaltiger zu gestalten und nimmt dafür niedrigere Wachstumszahlen in Kauf. China will wegkommen vom export- und investitionsgetriebenen Wachstum hin zu einer auf Konsum, Dienstleistungen und Innovationen basierenden Wirtschaft. Die Märkte sollen dabei eine „entscheidende Rolle“ spielen, wie es in Xi Jinpings 60-Punkte-Plan zur Umstrukturierung der Wirtschaft heißt. Doch die Reformen stocken.

China erlebt gegenwärtig eine Struktur- und Anpassungskrise

China befindet sich in einer Struktur- und Anpassungskrise. Neue Wachstumsbranchen wie Dienstleistungen können die Schwächen der bisherigen Leitbranchen nicht kompensieren. Hinzu kommt, dass die Regierung eigene Reformideen wie die Privatisierung der riesigen einflussreichen staatseigenen Betriebe nicht konsequent umsetzt. Zwar sind die Bankenreformen vorangeschritten, grundsätzlich aber ist der Staat nicht gewillt, seine Kontrolle über die Wirtschaft aufzugeben.

Besonders deutlich zeigte sich das beim Börsencrash 2015. Als der Leitindex in Schanghai um mehr als 40 Prozent fiel, reagierte die Regierung hektisch und nervös. Mit ihren Lenkungsmaßnahmen bewies die politische Führung, dass sie letztlich nur sehr eingeschränkt gewillt ist, den Märkten eine „entscheidende Rolle“ zukommen zu lassen. Denn was einige Analysten als das Platzen einer von der Regierung stark geförderten Aktienblase bewerteten, versetzte die Behörden in Aktionismus. Sie kauften selber Aktien auf, verboten Großinvestoren den Verkauf ihrer Anteile und schoben die Verantwortung für den Crash Spekulanten, Journalisten und „feindlichen ausländischen Mächten“ in die Schuhe. Einige vorgeblich „Schuldige“ wurden verhaftet, neue Regularien eingeführt – und beim nächsten Aktiensturz gleich wieder außer Kraft gesetzt.

Die Furcht vor einem zu großen wirtschaftlichen Abschwung – und damit dem drohenden Verlust der Legitimität – hat den innenpolitischen Kurs der Parteiführung weiter verhärtet. Zunächst diente die Anti-Korruptionskampagne in der eigenen Partei Xi Jinping dazu, seine Machtbasis zu festigen. Inzwischen aber wird nahezu jegliche Form von Dissens unterdrückt, sei es durch verstärkte Zensur und Kontrollen im chinesischen Internet, sei es durch verschärfte Gesetze. 2015 ließen die Behörden mehr als 200 Menschenrechtsanwälte verhaften, darunter einfache Mitarbeiter von Anwaltskanzleien, die sich lediglich für die Umsetzung chinesischer Gesetze starkgemacht hatten. Manchen von ihnen wird Anstiftung zum Umsturz der Staatsgewalt vorgeworfen.

Auch ausländische Staatsbürger sind in China nicht mehr vor Repressionen geschützt

Bei der Repression abweichender Meinungen lässt sich China auch nicht länger von den Interessen anderer Staaten irritieren. Das hat die mutmaßliche Entführung von fünf Buchhändlern aus Hongkong gezeigt, die chinakritische Bücher verlegt und möglicherweise an neuen regierungskritischen Büchern gearbeitet hatten. Einer der Buchhändler besitzt auch einen britischen Pass, ein anderer einen schwedischen. Letzterer verschwand im Urlaub in Thailand – und tauchte Monate später im chinesischen Staatsfernsehen auf, als er sich in einem womöglich erzwungenen Geständnis selber bezichtigte, vor Jahren in China einen tödlichen Autounfall verursacht zu haben.

Neu ist das kurzzeitige Verschwinden von Ausländern. So erging es Peter Dahlin, einem schwedischen Mitarbeiter einer Menschenrechtsorganisation, der ebenfalls im Staatsfernsehen wieder auftauchte und ein Geständnis ablegte: Er habe gegen Chinas Recht verstoßen, sagte er, und habe die Gefühle der Regierung und des Volkes verletzt. China wirft ihm vor, Organisator einer groß angelegten Verschwörung „antichinesischer Kräfte“ gewesen zu sein. Inzwischen durfte Peter Dahlin ausreisen. Die Angst vor ausländischen Nichtregierungsorganisationen, die der chinesischen Bevölkerung helfen könnten, sich politisch zu organisieren, wirkt groß. Auch deshalb soll auf dem Nationalen Volkskongress im März ein weltweit kritisiertes Gesetz verabschiedet werden, das ausländische Nichtregierungsorganisationen in China noch stärker kontrolliert und einschränkt.

Nur nicht negativ auffallen

Dass nun auch Ausländer nicht mehr sicher vor Repressionen sind, zeugt von einem gestiegenen Machtbewusstsein der chinesischen Regierung. Dieser „selbstbewusste Autoritarismus“ ist Ausdruck gestiegener Nervosität und Unsicherheit.

Die politische Führung setzt nun noch mehr auf eine Politik der Abschreckung. Das Huhn töten, um den Affen zu erschrecken, heißt diese Methode in China. Und sie funktioniert. Chinesische Anwälte überlegen es sich inzwischen gut, ob sie sich auf dem Gebiet der Menschenrechte engagieren wollen. Ausländische Nichtregierungsorganisationen sind verunsichert. Womöglich aber funktioniert die Abschreckung sogar zu gut. Denn inzwischen halten sich Chinas Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft ängstlich zurück, um nicht negativ aufzufallen. Diese Atmosphäre eignet sich freilich kaum, um weitreichende politische und wirtschaftliche Reformen umzusetzen. Stattdessen lähmt sie die Kräfte.

Noch ist unklar, in welche Richtung das Land steuert. Es ist der chinesischen Regierung durchaus zuzutrauen, dass sie auch diese wirtschaftliche Herausforderung durch ihre in der Vergangenheit oft bewiesene große Flexibilität überwinden kann. Doch genauso ist es möglich, dass sich der Abschwung zu einer tiefen Krise entwickelt.

China könnte auf eine noch tiefere Krise mit Aggressionen nach außen reagieren

Darauf dürfte die Regierung mit noch mehr Unterdrückung nach innen reagieren. Und mit vermehrten Aggressionen nach außen. Schon jetzt tritt Festlandchina in der zu ihm gehörenden Sonderverwaltungszone Hongkong immer rücksichtsloser auf. Und schon jetzt verfolgt China in dem von zahlreichen Nachbarländern ebenfalls beanspruchten Südchinesischen Meer eine Politik der kleinen Provokationen. Bei vielen chinesischen Internetnutzern kommt jedenfalls die Zurschaustellung militärischer Macht im Südchinesischen Meer sehr gut an. Denn neben Kontrolle der Bevölkerung ist die wiedererlangte nationale Stärke für die politische Führung Chinas sehr wichtig, vielleicht ist sie sogar das Wichtigste. Denn dann muss der gestärkte Nationalismus den wirtschaftlichen Abschwung kompensieren. Und der KP China die alleinige Macht im Land erhalten.

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