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© dpa

China: Inflation trübt Olympia-Euphorie

Eine lange Liste an Problemen hat China im Olympiajahr noch abzuarbeiten. Die Führung strebt ein pompöses Festival an und das Volk hält vorsichtshalber den Mund.

Es ist ein Rekord: Mit zweieinhalb Stunden Rededauer übertrifft Wen Jiabao am Mittwoch zum Auftakt der Jahrestagung des Volkskongresses nicht nur sich selbst, sondern auch seine Vorgänger. Andächtig folgen die knapp 3000 Delegierten seinem Rechenschaftsbericht, erzeugen beim Umblättern ein Rauschen in der Großen Halle des Volkes in Peking. Nun spricht der Ministerpräsident sicher recht langsam, doch wird die Liste der Probleme auch zunehmend länger und ihre Lösung immer komplizierter. Jetzt gesellt sich auch noch die höchste Inflation seit elf Jahren zum längst überhitzten Wirtschaftswachstum mit 11,4 Prozent hinzu, dem höchsten seit 13 Jahren. Täglich steigen die Preise, insbesondere für Nahrungsmittel, die zuletzt um 18,2 Prozent teurer wurden - noch so ein Rekord.

Ausgerechnet im Jahr der Olympischen Spiele, die Chinas Athleten viel Gold und Silber und der kommunistischen Führung weltweit Ansehen bringen sollen, wächst die Verärgerung im Volk. Dabei sollte gerade jetzt soziale Stabilität gewahrt werden. Doch wenn das Geld in der Tasche durch Inflation knapper wird, schwindet vor allem in unteren Einkommensgruppen das Verständnis für die Milliardeninvestitionen in die Spiele, die nach Wen Jiabao Angaben "einmalig" werden sollen. "Die Preissteigerungen betreffen das Leben der Menschen direkt, vor allem das der Bedürftigen und Arbeitslosen", sagt die Delegierte aus der Inneren Mongolei, Guo Lihong, auf dem Weg in den riesigen Sitzungssaal mit den schweren roten Vorhängen.

Delegierte nicken Politik der KP-Führung nur ab

Die Olympia-Uhr tickt: Während Wen Jiabao kurz nach Neun seine lange Rede beginnt, zählt eine große Digitalanzeige gegenüber von der Großen Halle, auf der anderen Seite vom Platz des Himmlischen Friedens, nur mehr 156 Tage, elf Stunden und drei Minuten bis zum Beginn der Olympischen Spiele am 8. August. Außer den beruhigenden Worten des Regierungschefs, der Verständnis für die Inflationssorgen zeigt und wirtschaftliche Impulse durch Olympia verspricht, wird den Delegierten nur dünner Tee aus Thermoskannen in Pappbechern serviert. Offiziell sollen sie hier bei dem größten Politikspektakel des Jahres mitentscheiden, in Wirklichkeit müssen sie in den zwei Sitzungswochen nur die Politik der KP-Führung abnicken und damit legitimieren.

Erstmals ist Yan Jiangguo aus der ostchinesischen Boom-Provinz Jiangsu dabei. Mit einem stützenden Stock in der rechten Hand schreitet der Delegierte durch die Vorhalle. Er ist behindert, aber ein olympischer Fackelläufer und findet nur lobende Worte für die Vorbereitungen der Spiele und der anschließenden Paralympics: "Die Olympischen Spiele abhalten zu dürfen, ist für alle Chinesen eine große Ehre", diktiert der Mitte 40-Jährige in den Notizblock der Reporter. Ähnlich beschwört Wen Jiabao die Vorfreude: "Alle Söhne und Töchter der chinesischen Nation freuen sich darauf."

Keine Debatte über die Probleme des Landes

Als Generalprobe wurden schon jetzt 80.000 freiwillige Olympia-Helfer mobilisiert, um während der Tagung auf den Straßen zu wachen und für Ordnung zu sorgen - auch so ein Rekord. Unter den Delegierten selbst kommt im olympischen Jahr statt der geforderten innerparteilichen Diskussion über die Probleme des Landes erst recht keine Debatte auf. "Ich denke, durch Olympia wird während der Tagung noch mehr Zurückhaltung geübt", sagt Politik-Professor Zhang Ming von der Volksuniversität. "Jedes Mal, wenn in China eine Großveranstaltung organisiert wird, werden die Leute vorsichtiger." 

Andreas Landwehr, Till Fähnders[dpa]

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