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Christliche Trauung in China

© dpa

China: Kreuzritter gegen das System

In China formiert sich ein christlicher Widerstand. "Im Christentum", so sagen begeisterte Chinesen, „sind alle Menschen gleich, das ist eine Grundlage der Demokratie“. Keine andere Religion breitet sich in der Volksrepublik so schnell aus.

Li Heping hatte in seinem Leben stets Erfolg. Aufgewachsen in einer Bauernfamilie in der Provinz Henan, schaffte er es auf das Gymnasium, studierte Jura und ist heute Partner einer Pekinger Anwaltskanzlei. Doch etwas schien ihm zu fehlen. Vor vier Jahren nahm ihn ein Freund mit zu einer Bibelstunde. Li, der sich als kritischer Anwalt von Minderheiten und Unterdrückten einen Namen gemacht hat, war fasziniert. „Im Christentum sind alle Menschen gleich, das ist eine Grundlage der Demokratie“, sagt er. Heute ist der 37–Jährige überzeugter Protestant.

Li empfängt den Besucher in einem Besprechungszimmer seiner Kanzlei. Er trägt einen dunkelblauen Anzug, ein dunkelblaues Hemd. Die Haare akkurat gescheitelt. Einen Regimegegner stellt man sich anders vor. Im Oktober, vor dem Parteitag der Kommunisten, war Li von Geheimpolizisten verschleppt und verprügelt worden. „In China werden die Kirchen vom Staat kontrolliert“, sagt Li. Zum Gottesdienst geht er deshalb in eine sogenannte Hauskirche, eine von vielen tausend Unterkirchen in der Volksrepublik. Seine Frau sei ebenfalls Christin, sagt Li. „Der Glaube hilft mir, die Welt besser zu erkennen.“

Keine andere Religion breitet sich in der Volksrepublik so schnell aus wie das Christentum. Nach Regierungsangaben gibt es fünf Millionen Katholiken und 16 Millionen Protestanten im Land. Weil jedoch die meisten Chinesen in Untergrundkirchen beten, die nicht vom Staat organisiert werden, wird die wirkliche Zahl der Christen auf zwischen 40 und 130 Millionen geschätzt. Bislang war die Religion vor allem beim Landvolk populär. Seit einigen Jahren treten jedoch immer mehr Anwälte, Intellektuelle, Umweltschützer und Bürgerrechtler dem Glauben bei. Die Gottesdienste sind für sie ein Netzwerk, mit dem sie für mehr gesellschaftliche Freiheiten kämpfen. Ein christlicher Widerstand formiert sich.

„Maos Tod 1976 stürzte unser Land in eine spirituelle Krise“, sagt Fan Yafeng vom Rechtsinstitut der Akademie der Sozialwissenschaft. Mit dem Ableben des „Großen Steuermannes“ hatte der Kommunismus als Ersatzreligion ausgedient. Die 80er Jahre brachten Reformen und Öffnung, der Wirtschaftsboom begann. Auf den Universitäten diskutierten die Chinesen über die Zukunft des Kommunismus und Demokratie. Dann kam 1989, die blutige Niederschlagung der Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens. „Damals wurde uns bewusst, dass der Kommunismus böse ist“, sagt Fan. Viele Intellektuelle begannen sich innerlich von der KP abzuwenden.

Fan ließ sich 1997 evangelisch taufen. Ein Kommilitone hatte ihn in die Untergrundkirche eingeführt. Die Entscheidung für das Christentum habe er ganz rational getroffen. „Wenn man sich die westlichen Länder anschaut: Sie sind demokratisch, freiheitlich, achten die Menschenrechte. Aus meiner Sicht liegt das an der Religion“, sagt Fan. Chinas Opposition habe keine Führungspersönlichkeiten und kaum Anhänger. Das Christentum könne diese Lücke füllen. „Hauskirchen sind heute die größte Nichtregierungsorganisation in China“, sagt Fan. Solche Sätze sind in der Volksrepublik gefährlich. Er sei mehrmals von der Staatssicherheit festgenommen worden, sagt Fan. Andere Juristen hätten wegen ihres Glaubens ihre Arbeit an Universitäten und staatlichen Stellen verloren. Fan wirkt kein bisschen verängstigt. Für ihn ist der Vormarsch des Glaubens nicht aufzuhalten. Die Regierung versuche mit allen Mitteln, die Untergrundkirchen zu kontrollieren, sagt er. „Aber die Gedanken und den Glauben des Einzelnen können sie nicht kontrollieren.“ Rund 500 000 Christen gebe es in Peking, schätzt er. „Das spirituelle Bedürfnis, man könnte auch sagen Vakuum, ist enorm.“

In China gibt es zwei offizielle evangelische Kirchen: das 1954 gegründete Patriotische Komitee der „Drei-Selbst“ (gemeint ist damit die Selbstverwaltung, Selbsterhaltung und Selbstverbreitung) sowie die seit 1980 existierende Chinesische Christliche Vereinigung. Beide Organisationen unterhalten nach Regierungsangaben 50 000 protestantische Kirchen und Gebetshäuser. In 18 evangelischen theologischen Seminaren werden Priester aus- und weitergebildet. Doch ebenso wie offizielle katholische Organisationen, die Patriotische Vereinigung der Chinesischen Katholiken und der Katholische Bischofsrat, sind diese Kirchen streng vom Staat kontrolliert. Priester und Pastoren dürfen das Machtmonopol der KP nicht anzweifeln. Für Chinas Katholiken ist der Papst – zumindest offiziell – nicht Kirchenoberhaupt. Allerdings kooperiert die staatliche Kirche sein einigen Jahren bei der Ernennung neuer Bischöfe mit dem Vatikan.

Das Verhältnis der Regierung zur Religion ist heute ambivalent. Nach den Wirren der Kulturrevolution, in der Gläubige verfolgt und Kirchen und Tempel zerstört wurden, haben die KP-Mächtigen erkannt, dass Religion ein ausgleichendes und stabilisierendes Element in der Gesellschaft sein kann. Staats- und Parteichef Hu Jintao gab das Ziel einer „harmonischen Gesellschaft“ als Losung aus. Gleichzeitig fürchten die KP-Führer jedoch die politische Kraft der Religionen, insbesondere des Christentums. Eine Entwicklung wie in der DDR und in Osteuropa, wo die Kirchen zum Sammelbecken der Opposition wurden, soll mit allen Mitteln verhindert werden.

„Der Regierung wäre es lieber, wenn sich der Buddhismus, Taoismus oder Konfuzianismus in China ausbreiten“, sagt Fan. Diese Glaubensrichtungen hätten eine systemerhaltende Komponente, sagt Fan und erzählt von korrupten buddhistischen Mönchen, die von der Regierung gekauft seien. „Rückständig“ wirkten die alten Religionen, sagt Anwalt Li. Die neu konvertierten Gläubigen sehen sich als Elite der gesellschaftlichen Veränderung. Li trat 1988 als Student einer Untergrundkirche bei. „Durch meinen Glauben bin ich toleranter geworden und versuche, alle Menschen zu lieben. Auch meine Feinde.“ Derzeit ist Li auf Wohnungssuche. Auf Druck der Behörden hat sein Vermieter ihn auf die Straße gesetzt. „Das ist die Rache der Polizei, weil ich sie verklagt habe“, sagt Li.

Harald Maass

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