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Auch viele Menschen aus der Türkei werden Wohl oder Übel ihre Fingerabdrücke abgeben müssen.

© dpa

Chipkarte für Ausländer: Aufenthalt mit Fingerabdruck

Millionen Ausländer aus Nicht-EU-Staaten bekommen ab September eine Chipkarte – sie speichert mehr, als viele wollen. Manche Politiker finden die von der EU verordnete Maßnahme bedenklich.

Murat Demir weiß von nichts. In der Ausländerbehörde hat man ihn nicht über die neue Chipkarte informiert, die ab dem 1. September das Etikett in seinem Reisepass ersetzen wird. Darauf war bisher sein Aufenthaltsstatus vermerkt. „Ich kenne dieses Gesetz nicht“, sagt er. „Aber ich würde gerne wissen, was das für Konsequenzen für mich hat.“ Als Türke ist Murat Demir Angehöriger eines sogenannten Drittstaates. Wie alle Ausländer, die keine EU-Bürger sind, wird er deshalb nach Ablauf seiner jetzigen Aufenthaltsgenehmigung den neuen Ausweis beantragen müssen.

Grund für das neue System ist ein EU-Beschluss, nach dem alle Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, die neue Chipkarte einzuführen. Damit sollen die Regelungen über den Aufenthaltsstatus von Ausländern EU-weit vereinheitlicht werden. Ein Mammutprojekt: Laut Auskunft des Bundesinnenministeriums geht es um rund 20 Millionen Menschen in der gesamten EU, in Deutschland kommen über 4,3 Millionen Zeigefinger für den „eAT“, den elektronischen Aufenthaltstitel, unter den Scanner. Ausgenommen von dieser Regelung sind nur die in Deutschland lebenden Schweizer.

Das neue System bringt einige wesentliche Änderungen mit sich: Neben dem biometrischen Foto, zwei Fingerabdrücken und Informationen zu den aufenthaltsrechtlichen Auflagen wird auf der Chipkarte nun auch die Wohnadresse gespeichert. Und auch Kinder ab dem sechsten Lebensjahr werden in Zukunft zur Abgabe ihres Fingerabdrucks in die Ausländerbehörde bestellt.

Vorteil dieser Maßnahmen sei vor allem der höhere Schutz vor Identitätsfälschung. Ausweisinhaber und Dokument könnten nun eindeutig einander zugeordnet werden. Außerdem enthält die Karte neue digitale Funktionen. „Die Online-Ausweisfunktion ermöglicht es den ausländischen Bürgern, sich im Internet zu authentifizieren“, sagt Claudia Langeheine, Leiterin der Ausländerbehörde Berlin. So könne zum Beispiel eine digitale Unterschrift getätigt werden. Die Betroffenen könnten selbst bestimmen, ob sie die Funktionen freischalten lassen möchten oder nicht.

Nicht entscheiden können die Menschen hingegen, ob sie mit der digitalen Speicherung ihres Fingerabdrucks einverstanden sind. „Fingerabdrücke werden von Verbrechern genommen für die Polizei“, beklagt sich Murat Demir in der Ausländerbehörde. Er meint: „Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Ich gebe meine Fingerabdrücke bestimmt nicht ab.“

Lesen Sie auf Seite zwei, warum der Grünen-Innenexperte im EU-Parlament, Jan Albrecht, die Maßnahmen kritisiert.

Das wird er aber müssen. Die Einführung der Identitätskarte ist die konsequente Fortsetzung einer Entwicklung, die auf die Speicherung von immer mehr digitalisierten Personendaten in Ausweisdokumenten setzt. Seit 2005 existiert der biometrische Reisepass in Deutschland. Zunächst wurde nur ein digitales Foto gespeichert, zwei Jahre später kamen Fingerabdrücke dazu. Beim neuen Personalausweis für Deutsche, der 2010 eingeführt wurde, ist die Abgabe der Fingerabdrücke bisher noch freiwillig.

„Die verpflichtende Abnahme von Fingerabdrücken von allen Nicht-EU-Bürgern ab dem sechsten Lebensjahr ist absolut unakzeptabel“, meint Jan Albrecht, Innenexperte der Grünen im EU-Parlament. „Auch wegen der fehlenden Informationen für die Betroffenen und der mangelhaften Datensicherheit ist die Einführung des eAT hoch bedenklich."

Das zeigen auch Beispiele aus der Vergangenheit. So hatte der Chaos Computer Club (CCC) schon bei der Einführung des neuen Personalausweises Sicherheitslücken aufgedeckt. Auch die zentrale Speicherung in großen Datenpools birgt Risiken, sagt Alexander Noack, Sprecher des CCC in Bremen: „Die Tatsache dass eine Behörde zusammen mit dem Reisepass, dem elektronischen Personalausweis und dieser Aufenthaltskarte de facto eine Fingerabdruckdatenbank der gesamten Bevölkerung anstrebt, finde ich aus Datenschützersicht fragwürdig.“

Zugriff auf die Daten der Chipkarte haben nur die Polizei und die Ausländerbehörden. Laut Auskunft des Bundesdatenschutzbeauftragten gibt es keine bundesweite Datenbank, auf der die Merkmale gespeichert sind.

Es gibt jedoch auch Stimmen, die die Speicherung der Fingerabdrücke im Ausländerzentralregister fordern. Das Großregister führt die Personendaten von über zwanzig Millionen Ausländern in Deutschland. „Wenn solche Forderungen existieren, sind die Gefahren groß, dass sie auch durchgesetzt werden“, meint Albrecht Timmer, Anwalt für Zuwanderungsrecht. Sollten die Fingerabdrücke im Ausländerzentralregister gespeichert werden, dürften sie auch zur Kriminalitätsbekämpfung genutzt werden. Zwar hatte der Europäische Gerichtshof 2008 solche Nutzung von Daten zur Aufklärung von Kriminalfällen als unzulässig erklärt. Doch gilt diese Regelung bisher nur für Unionsbürger. Und selbst dort ist Missbrauch nicht ausgeschlossen: Die jüngste Prüfung durch den Bundesdatenschutzbeauftragten ergab, dass die Polizei auch nach dem Urteil noch Zugriff auf Daten von EU-Bürgern hatte. Inwieweit diese Praxis geändert wurde, wird derzeit noch von der Behörde geprüft.

Bis 2021 soll die Umstellung auf den eAT abgeschlossen sein. Die Kosten für die Chipkarte werden von den Betroffenen getragen: Zukünftig fallen dafür deutlich höhere Gebühren an.

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