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Claus Fussek: "Viele arbeiten in einem Klima der Angst"

Herr Fussek, in Deutschland fehlen absehbar hunderttausende Pflegekräfte. Woher sollen die kommen?

Herr Fussek, in Deutschland fehlen absehbar hunderttausende Pflegekräfte. Woher sollen die kommen?

Natürlich brauchen wir auch Pflegekräfte aus dem Ausland. Aber ich finde es absurd, dass wir nicht fragen, warum bei uns so viele Pflegekräfte aufhören. Das größte Problem in Pflegeheimen ist, dass es keine Beschwerdekultur gibt. Aus vielen Briefen und Anrufen von Pflegekräften weiß ich, dass diese mehr Angst vor ihren Vorgesetzten und Kollegen haben als vor dem Staatsanwalt. Viele trauen sich nicht auszusprechen, dass sie überlastet sind. Das setzt einen Teufelskreislauf in Gang: Hohe Fluktuation führt dazu, dass Hilfskräfte angestellt werden, dann kann auch die Pflege nicht gut sein, und die guten Kräfte verabschieden sich.

Kann die Politik daran etwas ändern?

Dafür braucht man keine Gesetze, sondern den gesunden Menschenverstand. Ich kenne viele gut geführte Pflegeheime mit null Fluktuation und geringer Kranheitsquote. Zufriedene Mitarbeiter, die in einem angstfreien Klima arbeiten, werden seltener krank. Aber wenn Pflegekräfte bereits in der Ausbildung verheizt werden, müssen wir uns nicht wundern, wenn sie später ausgebrannt sind.

Bei uns arbeiten viele illegale Pflegekräfte aus Osteuropa. Geht es nicht ohne sie?

Viele Angehörige sind verzweifelt, weil sie im vorhandenen System keinerlei Entlastung finden. Sie müssen abwägen zwischen zwei Gütern: Mache ich mich strafbar, weil ich gegen das Ausländerrecht verstoße oder mache ich mich strafbar wegen unterlassener Hilfeleistung? Oder zwinge ich meine Mutter oder meinen Vater in ein Heim? Für jede der mehr als 100 000 osteuropäischen Kräfte, die bei uns offiziell als Haushaltshilfen arbeiten, bräuchte man mindestens fünf deutsche Pflegekräfte. Wir haben weder das Personal, noch wäre das bezahlbar.

Das Gespräch führte Cordula Eubel.

Claus Fussek, Sozialpädagoge und Autor, setzt sich für sozial Benachteiligte ein und kritisiert seit langem Missstände in der Pflege. 2008 erhielt er das Bundesverdienstkreuz

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