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Inder versuchen auf einem Lastwagen ihre Heimatdörfer zu erreichen.

© AFP/Sanjy Kanojia

Coronakrise in Indien: Hunderte Millionen Menschen fliehen in ihre Heimatdörfer

In Indien herrscht wegen der Coronaviruskrise eine Ausgangssperre. Doch Millionen versuchen noch, in ihre Heimatdörfer zu gelangen.

„Dies mag eine gute Entscheidung für die Reichen gewesen sein, aber nicht für uns, die wir kein Geld haben“, sagt der 28-jährige Deepak Kumar der „Times of India“. Zu Fuß ist der Lastwagenfahrer mit zwölf anderen Männern aus Indiens Hauptstadt New Delhi aufgebrochen, um sein Dorf im Nachbarbundesstaat Uttar Pradesh zu erreichen. Die Männer, die an der Schnellstraße entlanglaufen, haben seit zwei Tagen nichts mehr gegessen. Sie sind in ständiger Angst vor der Polizei, die sie stoppen und verhaften könnte, weil sie die nationale Ausgangssperre missachten. Doch genau diese hat ihnen und Hunderten Millionen anderen Indern keine andere Chance gelassen. Sie sind in ganz Indien aus den Städten hinaus zu den Dörfer unterwegs. Sie laufen. Busse und Züge fahren nicht mehr.

Um die Gefahr der Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen, hatte Premierminister Narendra Modi am vergangenen Dienstag den größten Lockdown in der Geschichte angeordnet und mehr als 1,3 Milliarden Menschen befohlen, für drei Wochen daheimzubleiben. Ohne einen zeitlichen Vorlauf traf die Sperre Millionen Inder, die sich als Tagelöhner, Wanderarbeiter, Straßenhändler, Taxifahrer, Fabrikarbeiter, Bauarbeiter und Handwerker durchschlagen.

Der Wirtschaftswissenschaftler Chinmay Tumbe vergleicht die Massenwanderung in einem Interview mit dem „Indian Express“ mit den chaotischen Verhältnissen nach der Unabhängigkeit Indiens 1947, als Millionen auf dem Subkontinent aus ihren Städten und Dörfern fliehen mussten. Modi entschuldigte sich am Sonntag in einer Radioansprache für die „harschen Maßnahmen“. Doch leider gebe es keinen anderen Weg, um das Virus zu stoppen, erklärte Modi. Wenig später teilte er auf Twitter Videos von Yogaübungen, mit denen sich die Bürger gesund halten sollten.

Für die Armen und Obdachlosen gibt es kaum noch Unterstützung

Zwar hat Indiens Regierung ein Hilfsprogramm gestartet, um besonders die Armen in der Krise zu unterstützen. Doch die angekündigten Nahrungsmittelhilfen und Bargeldzahlungen kommen vor allem denjenigen zugute, die bereits vorher von der Regierung unterstützt wurden. Diejenigen, die in den Metropolen des Landes im informellen Sektor arbeiten, haben meist gar nicht die erforderlichen Papiere, um an solche Hilfen zu kommen. Schätzungen zufolge sind 80 Prozent der 470 Millionen indischen Arbeitskräfte Wanderarbeiter. Staatliche Hilfen sind aber an einen Eintrag in die nationale Datenbank geknüpft, doch die Wanderarbeiter sind gewöhnlich in ihrem Dorf gemeldet und nicht in der Stadt, wo sie arbeiten.

Indien hat bislang 1071 bestätigte Covid-19-Fälle. 29 Menschen sind an den Folgen der Virusinfektion gestorben. Obdachlose bekommen in Neu-Delhi gewöhnlich Essen von religiösen Einrichtungen. Doch nun, da Kirchen, Tempel und Moscheen geschlossen sind, gibt es auch hier keine Unterstützung mehr. An nur einer der wenigen Suppenküchen, die Armenspeisung ausgibt, hatten sich am vergangenen Donnerstag 8000 Hungrige versammelt. Die Polizei versuchte die Menge zu vertreiben und prügelte mit Bambusstöcken auf die Menschen ein. Doch die Menschen haben mehr Angst vor dem Verhungern als vor dem Coronavirus.

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