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Wohlsein. Ilse Aigner bei den Ihren – und ganz bei sich.

© dpa

CSU: Ilse Aigner will zurück

Seit sie beschlossen hat, ihr Amt als Bundeslandwirtschaftsministerin aufzugeben und 2013 für den Landtag zu kandidieren, kann Ilse Aigner sich vor Zuneigung kaum retten. „Gut, dass du wieder da bist“, sagen sie bei ihr zu Hause, in Bayern. Dass sie aber zurück will, einfach nur so, das glaubt ihr dort niemand.

Von Robert Birnbaum

Mit der Ilse ist es so, dass praktisch alle sie gut leiden können. Deshalb sagt ja jeder „die Ilse“ und nicht „die Aigner“, im Gegensatz zu solchen, die gesprächsweise zum Beispiel als „der Söder“ oder „die Haderthauer“ firmieren. Die Zuneigung war immer da, hat sich über ihre Berliner Jahre hinweg jedoch nur sehr unauffällig geäußert – hier ein wohlwollendes Nicken, da ein freundliches Schulterklopfen. Seit drei Wochen ist alles anders.

Seit Ilse Aigner beschlossen hat, ihr Amt als Bundeslandwirtschaftsministerin demnächst aufzugeben und 2013 für den Landtag zu kandidieren, kann sie keinen Fuß mehr auf heimischen Grund setzen, ohne angestrahlt zu werden. „Gut, dass du wieder da bist“, sagen die Leute. Bloß ein paar finden es nicht so gut, der Söder zum Beispiel oder die Haderthauer. Man wird gleich noch sehen, warum.

Das Zentrale Landwirtschaftsfest in München ist eine Messe mit Tradition, vor allem aber fast so eine Gaudi wie das Oktoberfest auf der Theresienwiese direkt nebenan. Kleine Jungs klettern in die Cockpits der neuesten Traktor-Giganten, große Jungs begutachten die Innovationen auf dem Gebiet der Brennholzschnitzelfräse, und alle zusammen halten sich begeistert die Ohren zu, wenn draußen vor der Tierhalle ein rostbrauner „Lanz Bulldog“ aus dem Jahr 1930 seinen einzigen Sechs-Liter-Zylinder lospoltern lässt.

In der Schauküche der Landfrauen löffelt Horst Seehofer eine Versoffene Jungfer aus der Tasse. „Genauso gut wie zu Hause,“ lobt der Ministerpräsident das fränkische Schmalzgebäck in Vanillesauce. „Wunderbar!“ ruft die Ilse aus und nimmt die Köchin in den Arm. Aber weil die Fotografen ein noch schöneres Bild brauchen, drückt die Ilse dem Horst die Teigschüssel in die Hand und greift zum Elektromixer. Der Horst hält fest und lächelt aus seinem grauen Anzug pflichtgemäß in die Kameras. Ihn nennen sie „den Horst“ übrigens nicht, weil sie ihn alle leiden können, sondern wegen seiner Horstigkeit. Kaum dass das Foto fertig ist, strebt er dem Ausgang zu. Die Ilse rollt erst noch fix das Kabel auf, damit keiner stolpert. Man könnte dahinter eine dezente PR-Maßnahme wittern, von wegen Ministerin für Verbraucherschutz. Es ist aber einfach bloß fürsorglich.

Außerdem hat sie nun wirklich keine Werbung in eigener Sache nötig. Eher muss sie langsam etwas dämpfen. Vorhin in ihrem Grußwort zur Eröffnung des Festes im Zelt des Bauernverbands hat sie darauf angespielt, dass man ja derzeit dies und das in der Zeitung lese. Deshalb, jawohl, es stimme, es gebe eine Abmachung zwischen Seehofer und ihr: „Du bist Ministerpräsident und Du wirst uns auch erfolgreich in die Zukunft führen“ – während sie noch ein Jahr in Berlin und Brüssel für die Bauern kämpfen werde und dazwischen in Oberbayern um ein Direktmandat für den Landtag.

Klingt ganz einfach und logisch. Ist es aber nicht. Dass jemand eine Bundeskarriere aufgibt und in die Landesliga wechselt, passiert in der Politik noch seltener als im Fußball. Wenn er dann auch noch behauptet, er wolle da bloß mal in der Mannschaft mitspielen, darf er endgültig sicher sein, dass ihm das keiner abnimmt. Die Moderatorin, die Aigner zu einer Fachdiskussion auf der Bühne begrüßt, glaubt es jedenfalls nicht: „Die Kronprinzessin in Bayern, wie wir alle wissen!“ Der Präsident des Bauernverbands glaubt es auch nicht: Bundeslandwirtschaftsminister gewesen zu sein sei inzwischen die „Mindestanforderung“ für das Ministerpräsidentenamt.

Der Inhaber dieses Amtes glaubt es erst recht nicht. Horst Seehofer pflegt seit langem eine Technik der vorbeugenden Ironie. Wenn etwas oder jemand seiner Kontrolle zu entgleiten droht, dann macht er einen Spaß. Das erspart ihm ernsthafte Antworten, und er erhebt sich damit selbst auf mal subtile, mal brachiale Art über die Objekte seiner Scherze. „Ich bedanke mich bei Ilse Aigner für die für mich völlig überraschende Liebeserklärung“, sagt er also diesmal im Festzelt des Bauernverbands.

Falls die Zuhörer in den langen Tischreihen das komisch finden sollten, lassen sie es sich nicht anmerken. Für die „Kronprinzessin in Bayern“ gibt es hingegen herzlichen Applaus von den Messebesuchern. Der Gedanke scheint den Leuten weder abwegig noch unangenehm zu sein, sondern ganz natürlich. Darin liegt eine der tieferen Erklärungen für die Karriereentscheidung der Ilse Aigner. Sie ist hier zu Hause.

Es war wohl ihr Einfall, nur soll es aussehen wie seiner

Wer zuerst auf diese Idee gekommen ist, kann man nicht verlässlich sagen. Leute, die Seehofer gut kennen, versichern, es sei sein Einfall gewesen; Leute, die Aigner gut kennen, tippen auf sie. Aigner selbst behauptet, sie wisse es gar nicht mehr, das habe sich in wochenlangen Gesprächen so ergeben und nach langem Nachdenken auf einsamen Bergwanderungen, zuletzt auf einer Argentinienreise, von der sie Seehofer angerufen hat und gesagt hat: Ich mache das.

In Wahrheit war es vermutlich doch ihr Einfall, nur soll es so aussehen wie seiner. Die Frage ist deshalb so interessant, weil sich an der Antwort ablesen ließe, wie ausgeprägt der Ehrgeiz der Ilse Aigner ausfällt. Dass davon hinter der freundlich-dunklen Stimme und dem burschikosen Auftreten der gelernten Elektrotechnikerin einiges verborgen liegen muss, ist ihrer Partei spätestens klar, seit Aigner vor einem Jahr nach dem CSU-Bezirksvorsitz in Oberbayern griff. In der CSU sind die Bezirkschefs die heimlichen Fürsten, Oberbayern aber ist das Königsmacherfürstentum. Aigner hat damals den bayerischen Finanzminister Georg Fahrenschon dazu gebracht, auf eine Bewerbung zu verzichten. Fahrenschon kehrte kurz darauf der Politik den Rücken. Er ist jetzt Sparkassenpräsident.

Oberbayern passt gut zu ihr. Da ist sie 1964 geboren, in Feldkirchen-Westerham halbwegs zwischen München und Kufstein, die Alpen am Horizont. Das dunkelgrüne Dirndlkleid zum Landwirtschaftsfest passt ebenfalls. Manche sehen in Tracht und mit Haarknoten nach Großmutterart verkleidet aus. Die Ilse nicht. Der Grund dafür ist nicht ganz klar; vielleicht verkörpert eine bodenständige Hubschrauber-Elektronikerin einfach das spezifisch bayerische Paradox von Moderne und Tradition, von Laptop und Lederhose. Der Spruch wirkte bei Edmund Stoiber ja nur deshalb immer so komisch, weil der weder Laptop noch Lederhose trug.

Als Frau Ministerin Aigner im Businesskostüm tut sie sich jedenfalls viel schwerer. Aigner hat sich das Amt richtig erarbeiten müssen, inhaltlich und überhaupt. Sie ist keine geborene Rednerin, im Kabinett ist sie eine der Unauffälligen geblieben; allenfalls ihr Kampf gegen Facebook verhilft ihr manchmal zu skeptischen Schlagzeilen. Ob sich für sie nach 2013 überhaupt wieder ein Platz fände – ungewiss, schon aus Gründen der politischen Mathematik. Vor allem aber eben: Das Überhaupt, dieses Berlin, dieses Brüssel, diese Welt, die nur aus Politik besteht. Die Ilse ist aber ein Anfass-Mensch. Wenn Seehofer einen sieht, den er kennt, sucht er dessen Blick und gibt ihm gemessen die Hand. Aigner schließt die alte Freundin, die im Festzelt auf sie zugeht, sofort in den Arm.

Raufen kann sie allerdings auch. Der Alt-Bauernpräsident Gerd Sonnleitner hat neulich erzählt, wie er einmal bei ihr im Ministerbüro saß und sie sich derart angebrüllt haben, dass ein Staatssekretär ganz aus dem Häuschen geriet, schon weil er nichts verstand. „Dann hat sie mich wieder angelächelt, und ich hab’ versucht zurückzulächeln“, sagt Sonnleitner. Das sei sowieso das Problem mit ihr: „Die lächelt immer alles weg.“

Womit wir nun also beim Söder angekommen wären und bei der Haderthauer. Mit den beiden ist es so, dass die Bayern nicht ganz sicher sind, ob sie sie leiden können. Das war bisher, politisch betrachtet, relativ egal. Seit der mogelnde Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg in Amerika Asyl suchen musste, war die Lage auf dem Bewerbermarkt für Horst Seehofers Nachfolge angenehm überschaubar geworden. Von den Berliner Christsozialen drängt sich niemand auf, dereinst den CSU-Chef und Landesvater zu beerben. Ein bayerischer Finanzminister indes ist allemal ein Nachfolgekandidat, selbst wenn Markus Söder das Kunststück fertig gebracht hat, die dem Amt innewohnende Seriosität spurlos an sich abgleiten zu lassen – er dürfte der einzige deutsche Kassenwart sein, der den Austritt Griechenlands aus dem Euro fordern kann, ohne dass irgendeine Börse auch nur Kenntnis davon nimmt. Eine Sozialministerin hat eigentlich auch keine schlechte Startposition. Sich selbst trauen Markus Söder und Christine Haderthauer höhere Weihen sowieso umstandslos zu.

Worum es in Oberbayern geht? „Um alles!“

Seit aber die Ilse im Spiel ist, haben beide schlechte Laune. Söder hat zu alledem wochenlang nichts gesagt, was derart gegen seine Gewohnheiten verstößt, dass es als Botschaft genügt. Seit er seine Sprache wiedergefunden hat, versichert er, dass er die Ilse sehr gern habe. Haderthauer wiederum gurrte sofort, dass die Ilse und sie sich doch ganz prächtig ergänzten – sie als verheiratete Mutter, die Ilse als ehelose Kinderlose. Falls das raffiniert gemeint gewesen sein sollte, ist es nach hinten losgegangen. Dass Aigner ledig ist, wussten die Oberbayern bereits. Aber über Haderthauer, die zu allem Überfluss aus Schleswig-Holstein stammt, fallen seither noch häufiger Worte, die für ungeübte preußische Ohren verdächtig nach „Krampfhenne“ klingen.

Kurz, die beiden haben Konkurrenz bekommen. Für Seehofer liegt darin ein angenehmer Nebeneffekt der Personalie Aigner. Es war schon ein bisschen langweilig geworden, hier mal dem Söder seine Grenzen aufzuzeigen und dort der Haderthauer zu bedeuten, dass es eine äußerst unbayerische Idee sei, ausgerechnet ein Jahr vor der Landtagswahl Fußgängern und Radfahrern den nächtlichen Bier- und Tabak-Einkauf an Tankstellen verbieten zu wollen.

Doch Aigners Kandidatur bedeutet dem CSU-Chef noch sehr viel mehr. Gerade erst hat der alte Franz-Josef-Strauß-Spezi Wilfried Scharnagl ein nur halb ernst gemeintes Buch geschrieben mit dem Titel „Bayern kann es auch alleine“. Seehofer hat verstanden, dass er jedenfalls es nicht alleine kann. Er braucht bei der Landtagswahl im nächsten Herbst jede Hilfe. Und die Ilse kann eine Hilfe sein.

Sie selbst weiß das. Wer sie fragt, worum es in Oberbayern geht, bekommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Um alles!“ Die CSU hat vor vier Jahren die absolute Mehrheit in ganz Bayern verloren, vor allem aber im größten Bezirk – und dort am schlimmsten bei den Frauen. Wenn die Ilse dabei hilft, dass es diesmal besser wird, kann das die CSU retten.

Ja, und dann? Irgendwelche Zusicherungen von Seehofer für die Zeit danach hat sie nicht. Die wären im Zweifel auch so wertlos wie Seehofers Ansage, er mache noch bis 2018 weiter und dann sei Schluss. Nein, ihre Zukunft entscheiden andere: Die Leute, die sie mögen – und die Leute, die den Horst nicht so mögen. Ein Teil der Begeisterung, die der Ilse entgegenschlägt, hängt nämlich mit dem stillen Leiden an Seehofer zusammen. Der kann seinem sprunghaften Populismus und seinen gelegentlichen despotischen Neigungen wieder voll nachgeben, seit Guttenberg ihn nicht mehr in Schach hält. Aigner ist nicht Guttenberg. Sie wird kämpfen müssen, schon deshalb, weil ein Markus Söder nicht einfach so aufs Gefecht verzichtet. Aber wenn sie Glück hat, hat der Horst bis zu dem Moment, wo es um seine Nachfolge geht, den gesamten Kredit an politischem Hallodritum schon selbst aufgebraucht und die CSU will einfach mal was anderes.

Die Ilse jedenfalls, sagen die Leute voraus, die sie kennen, die Ilse wird nach der Wahl den Fraktionsvorsitz in München an sich ziehen. Die CSU-Landtagsfraktion ist der einzige Ort, an dem sogar ein bayerischer Ministerpräsident manchmal um gut Wetter bitten muss. Und, noch viel wichtiger: Die Fraktion ist die Königsmacherformation.

Auf dem Landwirtschaftsfest sorgt immer ein halbes Dutzend Blaskapellen für Stimmung. Irgendwann an diesem Samstag Ende September steht Ilse Aigner vor der „Willinger Musi“. Sie strahlt alle an, und sie dirigiert mit übermütigem Schwung den „Bayerischen Defiliermarsch“. Der wird jedes Mal gespielt, wenn der bayerische Ministerpräsident den Saal betritt. Horst Seehofer ist aber gar nicht mehr da.

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