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Alexander Dobrindt hat im Kloster Seeon seinen ersten Auftritt als Landesgruppenchef bei der Winterklausur der CSU.

© Andreas Gebert, dpa

CSU-Klausur in Seeon: Radau, aber anders

Die Winterklausur der CSU gehört zur politischen Folklore der Republik. In diesem Jahr läuft sich die Partei für die Sondierungsgespräche mit der SPD und die Landtagswahl warm.

Von Robert Birnbaum

Wenn der große Chef schon selber abwiegelt, dann haben sie’s diesmal wohl wirklich übertrieben. Dabei gehören der Radau und das Aufgeplustere, das die CSU alljährlich im Januar veranstaltet, seit Jahrzehnten zur politischen Folklore der Republik. Der Radau – offiziell also das Klausurtreffen der CSU-Landesgruppe im Bundestag – findet nicht mehr im historischen Wildbad Kreuth statt, sondern jetzt zum zweiten Mal im Kloster Seeon im Chiemgau. Ob es noch am erzwungenen Ortswechsel liegt oder mehr am Unterhäuptlingswechsel zum neuen Landesgruppenchef Alexander Dobrindt oder einfach nur an der Lage – jedenfalls sieht sich Horst Seehofer veranlasst, um Verständnis zu werben. Dass die CSU-Landesgruppe vor den Koalitionssondierungen mit der SPD noch einmal ihre Positionen festhalten wolle, das sei doch „eine pure Selbstverständlichkeit“.

Nun müsste man, wenn es wirklich so selbstverständlich wäre, als CSU-Vorsitzender darüber ja kein weiteres Wort verlieren. Aber Seehofer verliert sogar ziemlich viele. „Es richtet sich gegen niemanden“, versichert er zum Beispiel mit Blick auf die verschiedenen Forderungskataloge, die die Landesgruppe zusammengeschrieben und seit Tagen breit propagiert hat. Der prominenteste enthält den Vorschlag, Asylsuchende durch die Kürzung von Leistungen von der Flucht nach Deutschland abzuschrecken.

Das Abschrecken hat zwar auch bisher nie funktioniert, alleine deshalb nicht, weil selbst das bundesdeutsche Existenzminimum immer viel mehr sein wird, als sehr viele Menschen in sehr vielen Ländern sich je erhoffen können. Aber in der CSU-Führung herrscht schon länger die Theorie vor, es komme weniger auf die Wirkung einer Maßnahme in der Realität an als auf die Wirkung bei mutmaßlichen Wählern – aktuell insbesondere solchen, die zuletzt bei der AfD ihr Kreuz gemacht haben und das bei der Landtagswahl im Herbst womöglich wiederholen könnten.

Seehofer wiegelt ab

Diese Theorie quasi in Reinform hat Dobrindt zur Klausur in einem ganzseitigen Aufsatz in der „Welt“ publiziert. Für alle, die das versehentlich nicht gelesen haben, wiederholt er am Donnerstag die Kernsätze und speziell den Kernbegriff: „bürgerlich-konservativ“; diesen sogar fünf Mal für alle, die ihn eventuell beim ersten Mal überlesen haben. Deutschland, sagt Dobrindt, sei keine „linke Republik“, sondern habe eine bürgerliche Mehrheit, die nur irgendwie nicht zu Wort komme, weshalb „68“ als „linksgrüne Ideologie“ und „gedankliche Verlängerung des Sozialismus“ überwunden werden müsse durch eine „bürgerlich-konservative Wende“ oder, wahlweise, sogar „Revolution“.

Auf die Frage, was die CSU denn in den letzten zwölf Regierungsjahren in Berlin so getrieben hat, murmelt Dobrindt nur etwas von „große Koalition“. Konkrete Beispiele für ein schädliches Wirken eines linksgrünen Sozialismus will er lieber nicht nennen. Das legt den Verdacht schon nahe, dass es auch hier weniger um irgendwelche realen Dinge geht als vielmehr um die vermutete Wirkung auf das politische Seelenleben der oben erwähnten Wählerschichten.

Ob es das Dobrindt’sche Remake von der Seeoner Klosterhalbinsel auch nur bis in die Berliner Koalitionsgespräche schafft, ist praktisch egal. Aber diese Gespräche mit der SPD wirken insofern ins Chiemgau hinein, als sie ganz offensichtlich der Grund dafür sind, dass Seehofer so viel über Selbstverständlichkeiten redet. Es gehe um die „Bekräftigung unserer Politik“, sagt er, und dass man das alles schon im Bundestagswahlprogramm und im Bayern-Plan nachlesen könne, und die SPD rede auf ihrem Parteitag ja auch über ihr eigenes Programm, und hinterher müsse man dann eben zu Kompromissen kommen, und überhaupt: „Ich bitte das ein bisschen als natürlichen Prozess einzustufen!“

Viktor Orban als Gastredner

Dann zieht sich die Landesgruppe zurück, um die Selbstverständlichkeiten zu bereden – mal mit, mal ohne Gäste. Für Freitag haben sie sich den Ungarn Viktor Orban dazugeladen, was man vermutlich als Huldigung an den „bürgerlich-konservativen Politikansatz“ verstehen soll, der sich, sagt Dobrindt, „in weiten Teilen Europas als Politikstil durchsetzt“. Seehofer nimmt den Gast gegen das Rechtsstaatsverfahren der EU in Schutz, das er als „Hochmut“ oder „Besserwisserei“ einstuft, ohne allerdings sagen zu wollen, was er selbst denn von Orbans Rechtsverständnis hält.

In Berlin zucken sie bei CDU und SPD auch darüber nur die Schultern – so wie über den ganzen Radau. Seehofer selbst hat das sogar bestätigt: Er habe bei den Sondierungsvorgesprächen den Eindruck gewonnen, dass die anderen die Vorgänge in der CSU einzuordnen verstünden. Aber für alle Fälle versichert er den Sozialdemokraten doch: „Ich will ausdrücklich bestätigen, dass wir diese Koalition wollen!“ Das Projekt könne auch gelingen, „wenn unser potenzieller Koalitionspartner nicht überzieht“. Bei der CSU hingegen kommt ein irgendwie geartetes Überziehen, folgt man dem Vorsitzenden, praktisch niemals vor. „Wirklich regierungsfähig und regierungswillig sind nur CDU und CSU“, sagt Seehofer.

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