zum Hauptinhalt
Hört die CSU irgendwann die Signale?

© DPA

CSU, Migration und Sprache: Identitätspolitik nach Aschenputtelprinzip

Um migrantischen Nachwuchs mit makellosem Hochdeutsch in Wort und Schrift konnte es der CSU nicht gehen. Vielmehr zeigt auch ihr nun abgespeckter Vorschlag in Sachen Deutschpflicht: Die Anpassung genügt nie. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Es ist gut gelaufen für die CSU. Ohne den Knallfrosch „Deutschpflicht bis an den Küchentisch“ hätte ihr Parteitag eine weitaus schwächere Schallwelle entwickelt. Das Hohngelächter des aufgeklärten Deutschland konnten sie rings um München gut verschmerzen, bad news, pardon, schlechte Schlagzeilen sind immer gute, weil deutlich besser als gar keine. Außerdem belegen sie den eigenen Heldenmut gegen den Mainstream-Meinungsstrom. Und dass man Leute mit mehr als einer Sprache jetzt zum Deutschsprechen nicht mehr „anhalten“, sondern nur noch „motivieren“ möchte: Ein Schelm, wer das für Einlenken hält.

Leider haben die Fassungslosen, die Spötter und Wütenden „Crazy Horst“ und die Seinen zu wenig ernst genommen. Den offensichtlichen und viel kommentierten Wahnsinn – dass das Ganze nämlich sowieso nicht zu kontrollieren sei und der Staat sich außerdem nicht derart ins Private einmischen dürfe – einmal beseite: Die Interpretation der christsozialen Prosa hätte gelohnt, um auch andere Sätze der gleichen Bauanleitung zu verstehen.

Wollte man Kinder nichtdeutschsprachiger Eltern am korrekten Spracherwerb hindern?

Zunächst lässt sich fragen: Wem oder was nützt’s? Um migrantischen Nachwuchs mit makellosem Hochdeutsch in Wort und Schrift konnte es denen nicht gehen, die diesen Antrag verfassten. Dann nämlich hätten sie im Gegenteil darauf dringen müssen, dass Deutsch gerade nicht in den Familien gesprochen wird, jedenfalls nicht in denen, deren Mitglieder Deutsch nicht fließend beherrschen. Ironiker könnten auf die Idee kommen, dass genau das die Absicht war: Kinder nichtdeutschsprachiger Eltern am korrekten Spracherwerb zu hindern, indem man sie tendenziell fehlerhaftem Deutsch aussetzt. Näher liegt eine andere Absicht: Es geht um nichts anderes als die Unterdrückung der Herkunftssprache. Nicht weil sie dem Deutschen im Weg stünde: Dem sind alle, die hier leben, schließlich und zum Glück überall ausgesetzt, in Kita, Schule, Sportverein und vor allem auf der Straße. Und dass es Kindern schadet, wenn sie mit zwei oder auch drei Sprachen aufwachsen, hat der multikulturelle Alltag inzwischen ebenso widerlegt wie die Forschung zum Thema.

Nicht das große deutsche Sprachbad ist also in Gefahr auszutrocknen. Absaufen werden die kleinen Inseln darin, die es für ein Kind eben nur zu Hause gibt. Wenn Türkisch, Arabisch, Russisch, Vietnamesisch, Spanisch nicht in den Familien gesprochen wird, wo wird es dann noch gelernt? Nirgendwo. Oder später als Fremdsprache. Die Mutter- als Fremdsprache, das Eigene soll fremd werden. Wenn sie schon nicht mehr loszuwerden sind, die Migranten, wenn sie schon hier leben und sogar immer mehr werden, dann verordnen wir wenigstens, dass wir das nicht sehen (Kopftuch, Burka) und hören (Sprache), dass sie sich von „uns“ möglichst wenig unterscheiden dürfen, gar uns überflügeln in einer Welt, in der Mehrsprachigkeit und die Vertrautheit mit mehreren Kulturen immer wichtiger werden.

Der Deutsch- Beschluss der CSU war Identitätspolitik, die sich nicht in erster Linie an die neuen Deutschen richtet, sondern an die alten. Deren Ein-Muttersprachigkeit wird Norm, ein Weniger an Sprachkompetenz wird paradoxerweise zum Mehr umgedeutet, zum Mehr an Deutschsein, an Recht, dazuzugehören. Wer mehr als nur deutsch ist, ist es gar nicht. Bis vor kurzem galt der Doppelpass als verdächtig, jetzt heftet sich der Verdacht der Illoyalität an Sprache. Der Schulhof als Verbotszone genügt nicht mehr, jetzt muss es der Supermarkt sein, das Gespräch an der Ampel oder eben am eigenen Küchentisch.

Ausgerechnet auf einem Parteitag in Nürnberg

Auch das ist typisch für Identitätspolitik, ihr Aschenputtelprinzip: Die Anpassung genügt nie, nie sind genug gute Erbsen im Töpfchen, ganz einfach weil schon vorher feststeht, dass Aschenputtel nicht zum Ball darf. Ob „Deutsch überall“ oder das Burkaverbot. Oder der Kampf „patriotischer Europäer“ gegen „die Islamisierung“ im nahezu muslimfreien Dresden: Die öffentliche Rede ist seit vielen Jahren voll dieser Popanze, die etwas – scheinbar Plausibles – sagen und etwas anderes meinen: Die „eine“ Nation, in der für vermeintlich Fremdes, Anderes kein Platz ist. Die es nie gab oder geben wird, so gewalttätig auch alle Versuche sind, waren und sein mussten, sie herzustellen.

Dass die CSU ihr Stück Identitätspolitik ausgerechnet auf einem Parteitag in Nürnberg inszenierte, zeigt vermutlich nur, dass deutsche Geschichte deutscher Politik nicht mehr viel zu sagen hat. Von der bunten Wirklichkeit dieses Landes dagegen wollen sich noch zu viele nichts sagen lassen. Mit dem Ergebnis, dass Deutschland im 21. Jahrhundert noch die Debatten des 19. Jahrhunderts führt. Es ist längst transnational und klebt weiter am Nationalen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false