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Das Wahlergebnis für Horst Seehofer stimmt - aber die unsichtbaren Geister sitzen mit am Tisch.

© dpa

CSU-Parteitag: Bloß nicht abheben

Ein CSU-Parteitag, das ist normalerweise: Kraftgestrotze und voralpenländische Radaurhetorik. Diesmal geben sich die Bayern um Horst Seehofer wenig triumphal. Denn da gibt es noch die Pkw-Maut und 470 000 SPD-Mitglieder.

Von Robert Birnbaum

Die Kanzlerin dreht sich ein bisschen um sich selbst. Angela Merkel hat gerne den Rücken frei, aber auf der Tribüne mitten zwischen Bierbänken, auf die Horst Seehofer sie komplimentiert hat, ist überall vorne – oder hinten, je nachdem.

Dass die CDU-Chefin beim CSU-Parteitag eine Rede hält, ist feste Tradition. Dass sie diesmal zum geselligen Delegiertenabend erscheint, ist eine Ausnahme, der Ausnahmesituation geschuldet, die so ein Parteitag mitten in Berliner Koalitionsverhandlungen darstellt. Dass sich die zwei Vorsitzenden gegenseitig necken, ist dann wieder Tradition. Seehofer lobt sich ironisch selbst, von wegen „schnurrendes Kätzchen“ und dass die CSU im Wahlkampf diesmal keinen Schaden angerichtet habe. Merkel hört sich das an. Sie weiß, Seehofer muss sich tags drauf zur Wiederwahl stellen als Parteichef. Sie blickt in die Runde. „Seien Sie morgen verantwortungsvoll“, empfiehlt sie den Delegierten, „und ehrlich.“

Seehofer protestiert sofort, weil, er weiß ja, was das Wörterbuch der politischen Euphemismen unter einem „ehrlichen“ Wahlergebnis versteht. Aber die CSU hat in Bayern nicht zuletzt deshalb die absolute Mehrheit zurückerobert, weil sich in ihren Reihen zwar allerlei Grantler und Grummler finden, am Ende aber jeder weiß, worauf es ankommt. Zwei Tage vor der Schlussrunde im Koalitionspoker kommt es auf volle Rückendeckung für den Chef an. Also auf die 95,3 Prozent, die er bekommt.

Es könnte jetzt also in dieser Geschichte so weiter gehen, wie man das von der CSU gewohnt ist, mit Kraftgestrotze und voralpenländischer Radaurhetorik. Aber so ist es genau nicht. Seehofer nimmt den Triumph zur Kenntnis und die Wahl mit einem knappen „Ja“ an. Mehr sagt er nicht, sondern geht gleich wieder von der Bühne. „Hart erarbeitet“, murmelt er einem Gratulanten aus dem Parteivorstand zu.

Schuld an diesem untypisch bescheidenen Wesen trägt eine ziemlich missgelaunte Geisterarmee.

In der Münchner Messehalle sitzen zwei Tage lang nicht nur fast 1000 Delegierte mit CSU-Parteibuch, sondern als unsichtbare Gäste auch die 470 000 SPD-Mitglieder. Wer demnächst in Berlin mitregieren will, darf sie nicht unnötig reizen.

Offiziell tun die Spitzen von CDU und CSU so, als ginge sie die SPD-Mitgliederbefragung über einen Koalitionsvertrag nichts an. „Wir wollen nicht als Hebamme bei der SPD mitwirken, wie sie ihren Mitgliederentscheid durchbekommen“, versichert Seehofer seinem Parteitag. Doch der Rest seiner Rede straft den Satz Lügen. Es ist eine sehr zurückgenommene Rede, in der die Delegierten milde verblüfft nebenbei erfahren, dass ihre Partei den Mindestlohn quasi erfunden und ihr Chef schon zur Hälfte seinen Frieden mit der zentralen Forderung der SPD gemacht hat. „Meinethalben“, sagt Seehofer, könne dieser Mindestlohn „auch gesetzlich zum Start“ festgelegt werden. Die 8,50 Euro hat er schon vor Wochen zugestanden. Strittig ist also jetzt nur noch das Wort „flächendeckend“ im SPD-Wahlprogramm. Auch dafür wird sich eine Lösung finden. Finden müssen.

Am Vortag hat der tapfere Mittelständler Hans Michelbach dem Parteitag noch einen Antrag vorgelegt, in dem dem Mindestlohn à la SPD eine Absage erteilt wird. Der Antrag hat eine gelangweilte Mehrheit gefunden, aber nur, weil es dort resigniert heißt, dieses Kernanliegen möge im künftigen Koalitionsvertrag doch bitte „Gewichtung finden“.

Hinter solchen Fassaden räumt jeder ein, dass das SPD-Mitgliedervotum nicht nur Gabriel Sorgen bereitet. „Das hängt uns allen wie Blei an den Füßen“, stöhnt ein CDU-Unterhändler.

Im Normalfall laufen Koalitionsverhandlungen so ab, dass alle Seiten ihre Kernforderungen bis zuletzt hochhalten, dann die Schmerzen des Kompromisses untereinander aufteilen und anschließend jeder seinen Mitgliedern erklärt, dass er sich durchgesetzt hat.

Aber so geht es genau diesmal nicht. Gabriel habe in den internen Sitzungen nicht ein einziges Mal mit seinen Mitgliedern gedroht, sagen Leute, die das wissen müssen. Der SPD-Chef hat das gar nicht nötig. Merkel, Seehofer und die anderen wissen auch so um die Gefahr. In der nächsten Woche werden also irgendwann um den Mittwoch herum ein paar übernächtigte Damen und Herren vor die Kameras treten und verkünden, dass man sich jetzt einig sei. Es wird viel von hartem Ringen und viel von fairen Kompromissen die Rede sein. Fraktionen werden zustimmen, Parteivorstände billigend die Hand heben.

Aber dann kommen die zwei Wochen, in denen die SPD-Mitglieder das Wort haben, und vor diesen Tagen hat heute schon jeder Angst.

Man braucht nämlich nicht allzu viel Fantasie, um sich vorzustellen, was da alles passieren kann. Jeder mit politischen Interessen bekommt die Zeit für ausführliche Klagen, was ihm an dem Vertrag nicht passt, von den Arbeitgebern bis zu Greenpeace. Jede Zeitung wird ihre Reporter ausschwärmen lassen an die SPD-Basis, um Missmut einzusammeln. Wobei die wahre Stimmungslage der SPD-Basis verflixt schwer zu erkunden ist. Selbst ein Ortsverein ist womöglich nicht richtig repräsentativ, weil da die Aktiven zu treffen sind. Was die große Zahl der stillen Mitglieder denkt – kein Mensch weiß es.

Die SPD-Führung hofft, dass sie denken, so übel sei eine große Koalition nicht. Aber ob das stimmt? Wie groß die Nervosität ist, kann man vielleicht daran ermessen, dass die Sozialdemokraten die Christdemokraten gebeten haben, die letzte lange Verhandlungsnacht möglichst ins Willy-Brandt-Haus zu verlegen. Aus symbolischen Gründen. Vielleicht akzeptieren die Genossen eine Einigung leichter, wenn sie im Foyer der SPD-Zentrale verkündet wird, unter der segnend ausgestreckten Hand des großen metallenen Willy Brandt.

Einen Vorgeschmack auf die Tage der Unsicherheit hat die „Bild“-Zeitung letzte Woche geliefert. Das Boulevardblatt zog eine Zwischenbilanz der Koalitionsverhandlungen. Die war willkürlich, polemisch und in Einzelpunkten schlicht falsch, aber dafür ungeheuer einprägsam: 10:2 für die SPD. Merkel und Seehofer fanden es jedenfalls nicht so gut. Auch sie haben eine Basis.

Der Torstand könnte sich im Nachhinein als Sprengsatz erweisen, wenn das Endergebnis vorliegt. Das wird sicher um einiges magerer ausfallen. In den letzten vier Wochen haben zwei Hundertschaften CDU-, CSU- und SPD-Politiker in einem guten Dutzend Arbeitsgruppen sich eine ziemlich ideale Welt ausgedacht. Experten fällt das nicht schwer, weil die Wirtschafts- oder die Sozial- oder die Kulturexperten sich völlig unabhängig vom Parteibuch sehr rasch über das Wünschenswerte einig sind. Dass die Chefs nach zwei Wochen mit einem energischen Sparappell versucht haben, die Kosten-Notbremse zu ziehen, hat nichts genützt. Die Liste der Geldwünsche umfasst einen dicken Aktenordner und summiert sich auf 50 bis 60 Milliarden Euro. Die Liste der strittigen Punkte, die die Arbeitsgruppen den Chefs für die Schlussrunde hinterlassen haben, umfasst noch mal einen dicken Aktenordner.

„Das Verfahren mit den vielen Arbeitsgruppen war von der Effektivität her natürlich Blödsinn“, sagt einer, der das gut überblicken kann. „Aber politisch und psychologisch war es unvermeidbar.“

Vor allem die SPD brauchte die Zeit im Abklingbecken, um von der Hitze des Wahlkampfs mit seiner bedingungslosen Rechthaberei auf Kompromisstemperatur zu kommen.

Für die Kehrseite des Abkühlverfahrens steht der „F“-Ordner – F wie Finanzvorbehalt. Für die Parteichefs wird es eine undankbare Aufgabe, das Dickicht der Wünsche zu lichten. Wenn es nach den Zuständigen der Union geht, fällt die Rodung radikal aus. Am letzten Tag, sagen diese Gewährsleute voraus, werden sich die Parteichefs die ganz großen, teuren Brocken vornehmen – also in erster Linie die Rentenpläne, die Mütterrente auf CDU/CSU-Seite, die Rente mit 63 für Langzeitbeschäftigte auf Seiten der SPD.

Leicht wird ein Kompromiss da nicht, aber Merkel, Seehofer und Gabriel bleibt nichts anderes übrig. Danach werden im Finanztableau nur mehr ein paar wenige Milliarden übrig bleiben. Und wenn die verteilt sind, dann, sagt einer aus der Unionsspitze ungerührt, „fällt alles andere weg“.

Das klingt einfach. Aber selbst wenn die SPD-Führung mitspielt, könnte das Verfahren den üblen Nebeneffekt haben, dass sich der Torstand verändert. Auch diese Gefahr sehen alle. Wenn es schlecht läuft, hätte sich die SPD vier Wochen lang als heimlicher Sieger der Koalitionsverhandlungen gefühlt – um zuletzt zu verlieren.

Das darf nicht passieren. Merkel stimmt ihre Leute schon länger auf den Preis des Regierens ein, Wahlsieg hin oder her. Das sei auch der Grund für ihre öffentliche Unsichtbarkeit, sagen ihre Leute: Bloß keinen reizen, keine Bedingungen stellen, keine roten Linien ziehen, auch nicht versehentlich. Merkel weiß nämlich, was passiert, wenn die SPD-Basis Nein sagt. Dann wird sie mit den Grünen sprechen müssen – mit einem plötzlich sehr unwilligen Horst Seehofer an der Seite. Oder es wird Neuwahlen geben. Bestenfalls wird deren Ergebnis vermutlich wieder eine große Koalition sein. Schlimmstenfalls kriegt die Union versehentlich eine absolute Mehrheit, und Merkel muss vier Jahre lang gegen die SPD-Ministerpräsidentenmehrheit im Bundesrat kämpfen. Bis auch sie müde ist.

Am Freitagabend hält die Kanzlerin der CSU ein Zitat des Gastgebers vor: „Die größte Gefahr für die Zukunft lauert im Erfolg der Gegenwart.“ Hat Horst Seehofer mal gesagt. Bloß nicht übermütig werden! Außerdem gibt sie den Delegierten vorsorglich ein Instrument an die Hand, mit dem sie gegen den Missmut ihrer eigenen Basis angehen können. Auch den gibt es ja, von wegen 10:2 – viele Punkte für die SPD, und die CDU hat nichts außer immer nur zu allem ein Nein. „Es gibt auch ein patriotisches Nein“, hält die CDU-Chefin dagegen. Außerdem stecke in jedem Nein ein Ja: „Keine Steuererhöhungen“ heiße zum Beispiel, ins Positive gewendet, Vorrang für Wachstum und Beschäftigung.

Ob der semantische Trick funktioniert, um die Murrer ruhigzustellen?

Die CSU-Basis ist jedenfalls beeindruckt oder zumindest zufrieden. Zumal Merkel ihnen mehr oder weniger ihre Ausländer-Maut zugesteht und der große Chef, also Horst Seehofer, im Moment ebenfalls auf Harmonie bedacht ist: Vollkommen einig würden sich CDU und CSU bleiben – jedenfalls so für die nächsten drei, vier Tage.

Merkel schaut ihn etwas schräg von der Seite an. Wenn der Horst so handzahm ist, sagt der Blick, dann will er was von dir. Drei schöne Ministerposten zum Beispiel, darunter nach dem aktuellen Stand der Gerüchteküche das Agrar- und Verbraucherressort für seinen Noch-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Keine Abstriche beim Betreuungsgeld. Hier und da ein paar bayerische Spezialwünsche. Wenn es nach Merkel geht, wird er das kriegen. Aber es geht in diesen ganzen verflixten Verhandlungen nicht nur nach Merkel und Seehofer und nicht mal nach Sigmar Gabriel. Die unsichtbaren Geister sitzen immer mit dabei.

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