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Cyberattacken: Digitales Steinewerfen für Wikileaks

Der Protest ist global und vor allem digital. In Australien gehen sie für die Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange auf die Straße. Und im Netz ist der Schwarze Block aktiv. Mastercard und Co. bekamen das zu spüren.

Die 68er müssen aufpassen. Und die Schwaben am Stuttgarter Bahnhof auch. Denn die Kinder der nuller Jahre könnten ihnen den Rang der Berufsdemonstranten ablaufen und eine neue Protestkultur kreieren, auf die die Politik noch keine rechte Antwort hat. So wie „Jeroenz0r“. Es ist nicht sein bürgerlicher Name, mehr eine Art Kampfbegriff. Der 16-jährige Holländer hat Revolution gespielt, sich aufgelehnt. Einen Traum wahr gemacht, den sicher viele in seinem Alter hegen. Jetzt sitzt er in Untersuchungshaft. Er hat gestanden, Teil der „Anonymous“- Bewegung zu sein, die diese Woche Unternehmen und Institutionen im Netz attackiert hat, die sich von der Enthüllungsplattform Wikileaks losgesagt hatten oder gegen sie vorgegangen sind. Dazu zählten die Kreditkartenunternehmen Mastercard und Visa, aber auch Online-Bezahlsysteme wie Paypal oder Regierungswebsites und Staatsanwaltschaften. Jeroenz0r ist einer von tausenden. Und ihr System ist einfach, raffiniert, geradezu verführerisch – aber auch problematisch. Man muss nur in eine Maske einen bereitgestellten Code eingeben und schon ist das Feuer eröffnet. Das Verführerische: Man kann rebellieren und gleichzeitig seine Hausaufgaben machen.

Es ist der Glaube an die gute Sache, der sie leitet. Nur hat dieser Glaube viele schon in die Irre geführt. Mit den Angriffen auf Mastercard und Co haben die digitalen Revoluzzer gezeigt, wonach sie handeln: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Man kann das, was Mastercard und Co gemacht haben, als Opportunismus brandmarken. Zu Recht. Zum digitalen Steinewerfen gibt es dennoch keinen Anlass. Gegen die Unternehmensstrategie kann man protestieren und argumentieren – auf der Straße wie derzeit in Australien oder im Netz wie auf Facebook. Den Machtanspruch aber erhebt der digitale schwarze Block. Transparenz ist ein hohes Gut. Mit der Transparenz und Akzeptanz der Andersdenkenden aber umzugehen, wird ein Lernprozess des digitalen Protests.

Gleichwohl sind diese Aktionen auch das erste rebellische Lebenszeichen der Generation Internet. Jenen 16- bis 25-Jährigen, die mit dem Netz aufgewachsen sind. Der absolutistische Anspruch wird ihnen keinen Zulauf bringen, wohl aber ihr Grundsatz: lose organisiert, ohne große Strukturen, effektiv. Und es gibt bereits Bemühungen, dieser Protestform beizukommen. Wenngleich der Gesetzentwurf, den der Ex-Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem vor wenigen Tagen vorgestellt hat, vor allem auf Straßenproteste zielt. Der Grundsatz der Versammlungsfreiheit ist in Deutschland im Grundgesetz festgehalten, die Ausgestaltung obliegt aber seit der Föderalismusreform 2006 den Ländern. In dem Gesetzentwurf soll die „bürgerschaftliche Selbstorganisation“ nicht eingeschränkt werden. Bisher musste stets ein Versammlungsleiter bestimmt werden, darauf soll verzichtet werden. „Eine Versammlung muss nicht hierarchisch organisiert sein“, heißt es. Das alles passt – politisch-kulturell – zum Protestcharakter im Netz. Um aber eine kluge digitale Protestkultur zu entwickeln, müssen die Demonstranten von ihrem totalitären Anspruch abrücken und sich Strukturen schaffen. Und die Politik sollte das Selbstverständnis des Netzes akzeptieren. Und: mitgestalten.

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