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Politik: Da waren’s plötzlich vier

Die CSU-Fraktion muss sich nun einigen, wer Beckstein als Ministerpräsident nachfolgen soll

Von Robert Birnbaum

Hinten rechts im Fraktionssaal der CSU im Münchner Maximilianeum hängt er, ein schwarz-weißes Foto aus besseren Tagen. Aber Edmund Stoiber ist auch in Person anwesend an diesem Mittwoch im Kreis der dezimierten Landtagsfraktion. Tee getrunken hat er aus einem silbernen Kännchen, erzählt ein Abgeordneter, ab und zu hat er einen Keks getunkt. Der schwarz-weiße Stoiber im Hintergrund, der leibhaftige gut sichtbar mittendrin – man kann mit Fug und Recht sagen: Dies ist sein Tag. Denn der Mann, der offiziell nur noch Ehrenvorsitzender seiner Partei ist, hat mächtig dazu beigetragen, dass in der Ahnengalerie der Ministerpräsidenten in Kürze das nächste Bild hängt.

Um halb eins steht Günther Beckstein hinter einem kleinen Mikrofonpult. Er gibt seinen Rücktritt bekannt. Zunehmend seit dem Wahlsonntag habe er gespürt, dass sein „Rückhalt in der Partei“ nicht mehr groß genug sei für die Aufgabe, die jetzt vor einem bayerischen Regierungschef liege. „Auch wenn das regional etwas unterschiedlich ist“, flicht der Franke trocken ein. Der Halbsatz ist der letzte kleine Seitenhieb auf den Mann, der sein ganzes politisches Leben lang sein Schicksal war – Stoibers Oberbayern haben nach dem Wahldesaster die entscheidenden Strippen gezogen. Sie haben schon am Montag gefordert, dass Erwin Huber gehen und Horst Seehofer Parteichef werden müsse. Zwei Tage später war er es. Sie haben Becksteins Kopf gefordert – und ihn bekommen. Sie haben Seehofer als seinen Nachfolger im Blick – und werden ihn vielleicht bekommen. Aber nur vielleicht.

Am Mittwoch ist erst einmal angesagt, was die Landtagskantine mit der Wahl des Tagesgerichts dezent andeutete: „Schlachtplatte“. Becksteins Ende war besiegelt, bevor er den Fraktionssaal betrat. Nicht nur die Oberbayern hatten im Vorfeld seinen Abgang verlangt; auch die Niederbayern bestanden darauf, dass ihr Landsmann Huber nicht als Einziger für das Wahldesaster zahlt. Erste Abgeordnete hatten schon intern damit gedroht, sie würden Beckstein nicht wiederwählen. Es gehört zur neuen, ungewohnten Welt der CSU, dass sich ihr Kandidat in der von 124 auf 92 Abgeordnete geschrumpften Fraktion nicht viele Abweichler leisten kann. Das heißt umgekehrt aber auch: Jede größere Gruppe, die organisiert auftritt, hat eine Vetoposition gegen jeden Kandidaten. Man muss sich das merken für den weiteren Verlauf.

Die Fraktionssitzung war am Morgen unterbrochen, kaum dass sie begann. Beckstein, Huber, der designierte Parteichef Horst Seehofer und Fraktionschef Georg Schmid ziehen sich für eine knappe Stunde zurück. Danach erklärt Beckstein der Fraktion, was er frühmorgens schon Huber gesagt hat: Es ist aus.

Was dann passiert, lässt sich so beschreiben: Bis zu Becksteins Rücktritt war das alles noch die logische, ja unausweichliche Aufarbeitung einer krachenden Niederlage. Das Kapitel ist abgeschlossen. Stoiber hat seine Rache. Was danach im Maximilianeum hinter verschlossenen Türen vor sich ging, macht auf seine Weise deutlich, dass die CSU die Wahl nicht nur zufällig verloren hat.

Erst nämlich haben sie, so berichten Teilnehmer, über die Frage gar nicht geredet, wer denn nun auf Beckstein folgt. Stattdessen ist ein Zeitplan hin- und hergewendet worden, ob man nicht diese Entscheidung noch ein wenig aufschieben kann. An sich schon ein verwegener Gedanke, denn was die CSU jetzt am wenigsten hat, ist Zeit. Am 20. Oktober konstituiert sich der Landtag, am 27. Oktober muss er den neuen Ministerpräsidenten wählen. Dazwischen muss ein Koalitionsvertrag stehen. Auch sonst nimmt die Beratung absurde Züge an. Horst Seehofer ist zum Beispiel über die Feuerleiter geklettert, um mal auszutreten, damit ihn die Presseleute nichts fragen können. Sein ungewöhnliches Talent zu schweigen hat ihm ja schon den Weg zum Parteivorsitz geebnet.

Aber mit Schweigen ist es an diesem Mittwoch nicht getan. Aus der Landesgruppe in Berlin hat Seehofer am Dienstag den Appell mitgenommen, er solle die Staatskanzlei mit übernehmen. Der Münchner Abgeordnete Ludwig Spaenle unterstützt den Ruf am Mittwoch lyrisch: „Partei und Land in eine Hand“, reimt er. In der Sitzung ist Seehofer der erste, der seinen Hut in den Ring wirft. Andere deuten an, sie würden ja gegebenenfalls auch ... Irgendwann steht einer auf und sagt, so gehe das nicht weiter, Schluss mit dem Rumgedruckse. Soll doch jetzt mal jeder, der es werden will, seinen Hut offen in den Ring werfen!

Der Vorschlag fand mehr Echo, als alle erwartet hatten. „Wenn das so ist, dann setz’ ich mal hier auf die Liste“, hat Fraktionschef Georg Schmid gleich gesagt. Der Schwabe verfügt sowieso über einen gewissen Überschuss an Temperament. Joachim Herrmann hat auch aufgezeigt. Der Franke, früher selbst Fraktionschef, ist jetzt Innenminister und in Temperamentsfragen Schmids genaues Gegenbild. Thomas Goppel hat aufgezeigt. Der ist Kultusminister und von CSU-Uradel – sein Vater Alfons hängt in der Ministerpräsidenten-Galerie.

Seehofer hat übrigens seine Bewerbung noch etwas abgewandelt. Der scheidende Parteichef Huber hat das später ausführlich erläutert: Seehofer habe nämlich gesagt, dass die Fraktion den Vortritt habe und dass er das respektiere, dass aber für den Fall, dass sich aus der Fraktion heraus keine Einigkeit erzielen lasse, er das Amt dann gegebenenfalls mit übernehmen würde. Das ist eine trickreiche Formulierung, weil es keine richtige Bewerbung ist, andererseits doch eine, jedenfalls aber notfalls einen Verzicht ermöglicht, ohne dass der noch nicht einmal gewählte Parteichef gleich eine Niederlage kassieren müsste. Seehofer kann darum jetzt ganz ruhig zusehen, wie sich die anderen kabbeln.

Danach hat die Fraktion beschlossen, über all das noch mal zu schlafen. Und zwar eine Woche lang.

In die Partei hineingehört werden soll, die Bezirke als wichtigste Untergliederungen sollen sich noch einmal erklären. Eine Verlegenheitsidee, obendrein ein riskanter Kurs, wie ein Spitzenfunktionär einräumt: Es bestehe die Gefahr, „dass wir die landsmannschaftlichen Gräben aufreißen“. Das deutet sich längst an: Dass ausgerechnet die Oberbayern, die an den CSU-Verlusten den größten Anteil haben, jetzt den Ton angeben, hat in anderen Bezirken schon Murren ausgelöst. Zumal der eine oder andere den Verdacht hegt, dass sich Stoibers Truppe auch deshalb so ins Personalgemenge stürzt, weil darüber die Frage nach den tieferen, inhaltlichen Gründen für das Wahlfiasko glatt in Vergessenheit geraten könnte.

Huber hat übrigens versichert, dass das alles kein Machtkampf sei. Anschließend hat er mit Blick auf die nächste Woche hinzugefügt: „Ich bin sicher, dass wir dann die traditionelle Geschlossenheit der CSU bald wieder herstellen können.“ Stimmen kann nur aber eins von beiden.

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