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Belgrad dankt in kyrillischer Schrift. Seit der chinesische Präsident sechs Ärzte zum Kampf gegen Corona entsandte, fühlt sich Serbien Xi Jinping gegenüber verpflichtet.

© AFP / Andrej Isakovic

„Danke, Bruder Xi!“: Peking und Moskau nutzen die schleppende EU-Impfkampagne aus

Durch Unterstützung beim Impfen bauen China und Russland ihren Einfluss in Südosteuropa aus. Vor allem Serbien profitiert. Die EU verliert. Ein Gastbeitrag.

Der Impfstoffmangel macht auch Südosteuropa zu schaffen, und die politischen Implikationen werden immer sichtbarer. Das Missmanagement bei der Impfstoffbeschaffung hat sowohl in EU-Mitgliedsländern als auch bei EU-Anwärtern das Vertrauen in Brüssel untergraben. Von dritten Akteuren – insbesondere China und Russland – wird dies im geostrategischen Kräftespiel genutzt, um den eigenen Einfluss zu stärken.

Immer mehr Staaten in der Region setzen mittlerweile auf direkte Verhandlungen mit den Produzenten und schließen Lieferverträge auch mit China und Russland ab. Denn obwohl fast alle Westbalkan-Staaten – Serbien, Montenegro, Albanien, Nordmazedonien, Bosnien und Herzegowina und Kosovo – die ihnen zugesagten Impfstofflieferungen über das Covax-Programm der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits bezahlt haben, sind einige kleinere Länder wie Kosovo, Bosnien und Herzegowina oder Nordmazedonien bislang nur mit einer minimalen Anzahl westlicher Impfstoffdosen versorgt worden.

Serbien dagegen hat sich zum Vorreiter in der Region bei der Pandemiebekämpfung entwickelt, nachdem in dem Land das Virus zunächst verharmlost worden war.

Unvergesslich bleibt für viele Serben jene denkwürdige Pressekonferenz der serbischen Regierung und ihres Präsidenten im Februar 2020, als ein medizinischer Regierungsberater das Coronavirus als das „lustigste Virus der Geschichte“ bezeichnete und den serbischen Frauen riet, gerade jetzt ins schwer gebeutelte Italien zu reisen, da es dort gegenwärtig auf viele Produkte ordentliche Rabatte gäbe und Frauen durch den erhöhten Östrogenspiegel ohnehin geschützt seien. Gesundheitsminister Zlatibor Lončar teilte noch mit, dass dieses Virus „viel schwächer“ sei als die normale Grippe.

Danke, Bruder Xi!

Keine zwei Wochen später wechselte die Regierung vom Modus der Belustigung in den der Panik, und es wurden die europaweit schärfsten Maßnahmen im Kampf gegen das Virus verhängt. Seitdem bewegt sich Serbien im Wechselspiel von Lockerungen und neuerlichen Verschärfungen. Seit Impfstoffe verfügbar sind, hat sich das Blatt allerdings sichtbar gewendet.

Schon vor Weihnachten wurde im Land mit ersten Impfungen von Ärzten und Pflegern mit dem Serum Biontech/Pfizer begonnen – die erste Impfung erhielt Regierungschefin Ana Brnabić. Anfang Januar ließen sich russophile Politiker wie Innenminister Aleksandar Vulin und der Parlamentsvorsitzende Ivica Dačić als erste mit dem russischen Serum Sputnik V impfen. War russischer Impfstoff im Januar in Serbien zunächst auch schwer zu erhalten, hat sich das mittlerweile geändert: Mehrere zehntausend Dosen sind in der Zwischenzeit eingetroffen.

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Nachdem Mitte Januar ein Transportflugzeug aus Peking mit einer Million Sinopharm-Dosen an Bord in Belgrad gelandet war, kamen am 19. Januar schließlich die Massenimpfungen in Gang. Bisher haben etwa 800.000 Menschen die erste Impfung erhalten. Dank der chinesischen Lieferung liegt nun Serbien laut der Datenbank "Our World in Data" mit einer Impfrate von über 10 Prozent der Bevölkerung (Stand 17.2.) in Europa hinter Großbritannien an zweiter Stelle.

Doch mehr und mehr werden auch die politischen Implikationen der Coronakrise sichtbar. Sie verstärken einen schon länger von Experten beobachteten „Trend zur Autokratisierung“, so der in Wien lehrende Politologe Vedran Džihić.

Bereits zu Beginn der Krise nutzte Präsident Aleksandar Vučić einen von der EU-Kommission und ihrer Präsidentin verkündeten Exportstopp von medizinischen Schutzgütern für einen Frontalangriff: „Ursula von der Leyen hat beschlossen, dass wir kein Recht auf diese Güter haben. Jetzt ist jedem klar, dass die europäische Solidarität nicht existiert. (…) Nur China kann uns helfen.“

Der serbische Präsident Aleksandar Vucic (r.) freut sich über die Hilfe aus Peking.
Der serbische Präsident Aleksandar Vucic (r.) freut sich über die Hilfe aus Peking.

© Andrej ISAKOVIC / AFP

Die großflächige Plakataktion im Zentrum Belgrads vergangenes Jahr mit „Danke, Bruder Xi“, die nur kurzzeitig zu sehen war, mag noch als Symbolpolitik durchgehen; die hier zum Ausdruck kommende „strategische Nähebeziehung zwischen Serbien und China“ (Vedran Džihić), verdient hingegen größere Aufmerksamkeit.

Sie zeigt sich – Tendenz wachsend – auf vielen Feldern: von unbürokratisch vergebenen Krediten für große Infrastrukturprojekte über die Lieferung von Waffen (Drohnen) und Überwachungstechnologien bis hin zum Ausbau des Telekommunikationsnetzes, bei dem der chinesische Konzern Huawei der strategische Partner ist.

China liefert, statt nur zu versprechen

Der Ruf Chinas auf dem Balkan nehme stark zu, während Serbiens Präsident Aleksandar Vučić „den nationalen Helden“ mimen könne, umschreibt der serbischsprachige Dienst der Deutschen Welle den beiderseitigen Nutzen und Nebeneffekt der chinesischen Serum-Offensive: „Denn statt Versprechen liefert China Impfstoff.“

Die EU selbst gerät immer mehr in die Defensive, ist aber an dieser Entfremdung nicht ganz unschuldig. Neben dem mangelhaften Corona-Management ist in den vergangenen Jahren auch das eher halbherzige Interesse an der EU-Erweiterung nicht unbemerkt geblieben.

Selbst die deutsche EU-Präsidentschaft vermochte Mitgliedsstaat Bulgarien nicht dazu zu bewegen, seine Blockade gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien aufzugeben. Der offensichtliche Stillstand bei der EU-Erweiterung ist für alle Anwärter eine Enttäuschung.

Ein Mitarbeiter des Gesundheitswesens in Caracas, Venezuela, macht eine Verpackung mit mehreren Dosen des Corona-Impfstoffs Sputnik V auf.
Ein Mitarbeiter des Gesundheitswesens in Caracas, Venezuela, macht eine Verpackung mit mehreren Dosen des Corona-Impfstoffs Sputnik V auf.

© Jesus Vargas/dpa

Die Stimmung durch mangelhaftes Corona-Management ist auch andernorts zunehmend gereizt. Nicht nur der tschechische Ex-Präsident Vaclav Klaus hat in altbekannter Anti-EU-Rhetorik über die „Unfähigkeit der EU“ Moskau kürzlich um Lieferung von Sputnik-Impfstoff gebeten. Selbst klar westlich orientierte EU-Mitglieder in der Region setzen vermehrt auf die Impfstoffbeschaffung auf eigene Faust.

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So hat Rumänien einen Vertrag zum Bezug von neun Millionen Dosen des deutschen, noch nicht zugelassenen Impfstoffs CureVac unterzeichnet. Wie in Tschechien wird der Bezug oder die Lizenzproduktion von russischem Serum auch in der Slowakei diskutiert, und in Kroatien wird der Ton schriller. Zagreb solle nicht auf „weiteres Phrasendreschen“ in Brüssel warten, sondern den Impfstoff auf dem freien Markt beschaffen, fordert das Webportal „index.hr“.

Der im Zuge der Corona-Pandemie gewachsene Einfluss autoritärer Mächte in Südosteuropa und besonders in der Westbalkan-Region hat in seinen politischen Implikationen auf Seiten der EU noch nicht die Aufmerksamkeit erfahren, die er verdient.

Ursula von der Leyen bezeichnete sich Ende 2019 sicher nicht ohne Grund als Präsidentin einer „geopolitischen Kommission“, und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mahnte zur gleichen Zeit: „Europa muss die Sprache der Macht lernen.“ Es ist höchste Zeit, sich an diese Vorsätze zu erinnern, ansonsten könnte ein Abdriften von Ländern der Region hin zu autoritären Bündnispartnern immer wahrscheinlicher werden.
Michael Roick ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für den Westbalkan mit Sitz in Belgrad.

Michael Roick

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