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In der öffentlichen Wahrnehmung hat Bundeskanzlerin Angela Merkel massiv an Stärke verloren.

© REUTERS

Das Ansehen der Kanzlerin: Merkel hofft auf die Kraft der Außenpolitik

Die Kanzlerin wollte in der Türkei signalisieren, dass der EU-Türkei-Pakt funktioniert. Heute kommt US-Präsident Obama. Vielleicht verhilft die Außenpolitik Merkel zu alter Stärke. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Zerschlagenes Porzellan kann man wieder kitten. Bei besonders wertvollen Stücken lohnt sich das. Aber die Bruchstellen bleiben sichtbar. Angela Merkels Kurzreise in die Türkei glich dem Versuch, aus einem Scherbenhaufen wieder ein Stück Gebrauchsgeschirr zu machen. Die Chance, dass aus der bis vor wenigen Monaten in Europa und im eigenen Land hoch angesehenen und dann in der öffentlichen Wahrnehmung so bitter abgestürzten Bundeskanzlerin wieder eine politische Kraft alter Stärke wird, ist da. Groß ist sie nicht.

Und am schmerzlichsten für Merkel selbst dürfte die Erkenntnis sein, dass sie die eigene Demontage mit verursacht hat, bei der Wiederherstellung ihres Bildes aber nun auf die Hilfe eines Mannes angewiesen ist, dem sie bislang aus gutem Grund mit distanziertem Misstrauen begegnete: Recep Tayyip Erdogan, türkischer Präsident, und der Einzige, der darüber entscheidet, ob die Flüchtlingspolitik der deutschen Regierungschefin erfolgreich sein wird.

Die Reise wurden vor allem von kritischen Nachfragen begleitet

Noch vor 40 Jahren gingen deutsche Kanzler auf Auslandsreisen, um fern der Heimat wieder jene Punkte zu sammeln, die im innenpolitischen Streit verloren gegangen waren. Vor allem wussten sie: Solange sich der Regierungschef im Ausland aufhält, ist Kritik an ihm sakrosankt.

Das ist heute völlig anders. Angela Merkel wurde weniger von Wünschen begleitet, die ihre Position stärken, als von kritischen Nachfragen. Das Thema Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei sollte sie ansprechen, sich mit Oppositionellen treffen. Angesichts des Zeitplans schwer realisierbar, aber dem Thema Freiheitsrechte wich sie im Gespräch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu nicht aus, was der selbstbewusst bestätigte.

Am Abend zuvor hatte sie die letzte Möglichkeit genutzt, jenen Fehler zu korrigieren, der für sie zum Desaster geworden war – ihre als Kotau vor Erdogan empfundene Distanzierung von Jan Böhmermann im Streit um dessen Satire auf den türkischen Präsidenten.

Zuvor hatte sie schon versäumt, dem aufrechten deutschen Botschafter an die Seite zu treten, der Sultan Erdogans Zorn provoziert hatte. Da schwieg leider auch der Außenminister. Den Deal mit der Türkei nahmen die Deutschen zähneknirschend hin. Aber dass man am Ende auch noch das Ehrgefühl opfern sollte, ging dem neuen Politbarometer zufolge 80 Prozent von ihnen zu weit.

EU-Ratspräsident Tusk die Türkei dann vor Belehrungen in Schutz

Das eigentliche Ziel der Reise war es, ein Signal zu setzen: Seht her, der Pakt mit der Türkei funktioniert. Die Flüchtlinge sind gut untergebracht, die Türkei tut das Menschenmögliche, die Lage der aus Syrien Geflohenen zu verbessern. Deshalb wurde die Kanzlerin ja auch von EU-Ratspräsident Donald Tusk und dem Vizepräsidenten der Kommission, Frans Timmermans, begleitet. Demonstrativ lautete die Ansage: Dies ist kein Pakt zwischen Deutschland und der Türkei, nein, die Europäische Union ist der Vertragspartner Ankaras. Ratspräsident Tusk, nicht Merkel, nahm dann am Abend die Türkei vor Belehrungen in Schutz.

Ob der Kurzbesuch in der Türkei nur die erhofften, wirkungsmächtigen Bilder brachte, ob er mehr als Episode ist, wird sich bald zeigen. Jetzt ist die deutsche Kanzlerin erst einmal Gastgeberin für den amerikanischen Präsidenten und die Regierungschefs von Frankreich, Italien und Großbritannien. Möglich, dass ihr die außenpolitische Präsenz letztlich hilft, aus dem Scherbenhaufen wieder etwas halbwegs Präsentables zu machen.

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