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Politik: Das Biotop der Grünen

Von Richard Schröder

In der nächsten Bundesregierung werden Bündnis 90/Grüne wohl nicht vertreten sein. Droht uns also der Abbruch des Zukunftsprojekts einer ganzen Generation oder gar eine Rückkehr in die Vergangenheit? Ich halte solche Kassandrarufe für unberechtigt. Sie haben Verdienste und interessante Leute, ein Monopol auf Zukunftsfähigkeit haben sie nicht. Denn sie haben auch ein Vergangenheitsproblem, weil auch sie „hinter der Mauer“ aufgewachsen sind, in einem sehr komfortablen Biotop, in dem man sich um Probleme zweiter und dritter Ordnung und auch um Scheinprobleme streiten konnte. Die Mauer hat auch den Westen vor der östlichen Armut geschützt. Mit dem Fall der Mauer kamen Probleme erster Ordnung auf die Tagesordnung. Aus der „postnationalen“ Bundesrepublik wurde wieder ein Nationalstaat wie alle anderen auch. Da waren manche unversehens um einige Ausreden ärmer. Die zusammenbrechende DDRWirtschaft forderte Lösungen ohne Vorbild. Und im zerfallenden Jugoslawien brachen Bürgerkriege aus, die ohne Militäreinsatz nicht zu beenden waren. Das war im westgrünen Weltbild nicht vorgesehen.

Und so haben sie mit den Lösungen für zweite und dritte Probleme erste Probleme lösen wollen. Alternative Energien sind in gewissem Umfang sicher förderungswürdig (ich habe selbst eine – nicht geförderte – Solaranlage auf dem Haus), aber dass der ökologische Umbau der Gesellschaft einen wirtschaftlichen Aufschwung bringen werde, kann man nach sieben Jahren nicht erkennen. Die segensreiche Wirkung der Ökosteuer hält sich in Grenzen. Und die Begrenzung der Laufzeit von funktionsfähigen Atomkraftwerken, die sicherer sind als viele andere und deren vorzeitige Demontage nicht billiger wird, passt eher in Überflusszeiten. Es war in Ordnung, das Staatsbürgerrecht zu modernisieren, um die Einbürgerung von Einwanderern zu erleichtern. Bloß: Arbeitsplätze bringen Einwanderer nicht mit und wenn wir ihnen keine anbieten können, werden sie Sozialhilfeempfänger. Ein Land mit einer Wirtschaftskrise ist kein gastliches Land. In Großbritannien verteilt man großzügig Arbeitserlaubnisse an Polen und rechnet den volkswirtschaftlichen Nutzen vor, den sie bringen. Bei uns fürchtet man polnische Arbeitskräfte, außer fürs Spargelstechen.

Vielleicht bin ich ungerecht. Vielleicht liegt es daran, dass mich 1990 zwei west-grüne Vorschläge fassungslos gemacht haben. Der eine lautete: man solle die DDR-Industrie ihrer Umweltbelastung wegen ersatzlos schließen, die westliche Industrie könne den Warenbedarf des Ostens sehr viel umweltschonender decken. Da wurde ahnungslos gewünscht, was wir fürchteten. Der andere Vorschlag war ein Entwurf der Grünen für eine Erklärung des Bundestags gegen Zwangsheterosexualität. „Frauen werden nicht heterosexuell geboren, sie werden dazu gemacht.“ Für solche Thesen bin ich wohl zu dumm.

Der Autor ist Professor für Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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