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Er will ja. Der Vorsitzende der britischen Labour-Partei, Ed Miliband, im September auf dem Parteitag in Manchester. Foto: dpa

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Politik: Das Blatt bleibt leer

In Großbritannien steht Labour in den Umfragen wieder gut da, doch Ed Miliband kann nicht punkten

Labour-Abgeordnete verließen die Fragestunde im britischen Unterhaus diese Woche mit hängendem Kopf. Niemand klopfte Labour-Parteichef Ed Miliband anerkennend auf die Schulter. Im Gegenteil. Premier David Cameron dürfte manchem von ihnen aus dem Herzen gesprochen haben, als er den Oppositionschef verhöhnte: „Nun ist er schon drei Monate in seinem Job. Die Leute fragen sich allmählich: Wann fängt er an?“

Es war nicht das erste Mal, dass Cameron Miliband im Rededuell plattmachte. Aber der Auftritt und das verheerende Medienecho markierte das Ende der Schonzeit für den neuen Labourchef. Ed wurde dank der Stimmen der Gewerkschaften gewählt, hatte aber weder beim Fußvolk der Partei und erst recht nicht in der Unterhausfraktion die Mehrheit – die seinen unterlegenen Bruder David vorzog. Nun nehmen diese Enttäuschten plötzlich kein Blatt mehr vor den Mund. „Wenn er nicht aufpasst, wird aus Red Ed schnell Dead Ed“, werden anonyme Labour-Hinterbänkler zitiert. „Es gibt ein echtes Problem, wenn sich ein Parteichef in der Öffentlichkeit nicht definiert, und das ist mit Ed passiert. Er zeigt Cameron die Flanke, weil er nicht erklärt, wofür er steht“, zitierte die „Daily Mail“ ein früheres Kabinettsmitglied.

Kurz nach seiner überraschenden Wahl war Miliband für ein paar Wochen im Vaterschaftsurlaub verschwunden, um Baby Samuel zu wickeln und nachzudenken. Als er wieder auftauchte, stellte er seinen politischen Masterplan vor: Die Partei soll mit einer Million Wählern den Dialog führen und mit 19 Politikkommissionen in einem über zweijährigen Prozess neue Positionen erarbeiten. „Wir fangen mit einem leeren Blatt Papier an.“ Milibands Verteidiger argumentieren, er spiele ein „long game“, das die Wahl 2015 im Visier habe, und wolle sich nicht verschleißen. Aber das „leere Blatt“ ist nun zum Kürzel für Miliband geworden.

Labour steht in Meinungsumfragen mit 39 Prozent, einem Prozentpunkt vor den Tories, in den Umfragen so gut da wie nie seit dem Rücktritt Tony Blairs. Aber das spiegelt nicht Labours politische Dominanz, sondern die Verwundbarkeit der Koalition. Drastische Sparmaßnahmen, Sozialreformen mit brutalen Kürzungen für die Schwächsten, Entlassungen im Staatsdienst, die Verdoppelung der Studiengebühren, der Rückzug der Zentralregierung aus vielen Verantwortungsbereichen zugunsten der stark belasteten Kommunen – das alles nagt an der Regierung. Miliband zieht daraus keinen politischen Vorteil und formuliert auch keine Alternativen.

Er sagt nicht, wo er sparen würde, kann sich nicht entscheiden, ob er an den Demonstrationen gegen die Studiengebühren teilnehmen will und ob „New Labour“ – die Formel für Labours Positionierung in der „Linken Mitte“ – begraben oder wiederbelebt werden soll. Es sei nichts Schlechtes an dem Wort Sozialismus, sagte er und bezeichnete sich als Sachwalter der Mittelschichten. Als er in einem bohrenden BBC-Interview definieren sollte, wer diese „Mittelschichten“ seien, kam er ins Schleudern. Tories lassen keinen Zweifel daran, dass nicht nur Mittelverdiener, sondern auch Sozialhilfeempfänger an den Härten des Sparens beteiligt werden müssen, aus Fairness gegenüber den hart arbeitenden Mittelschichten. Miliband verbreitete Konfusion. In anderen Debatten bezeichnete er die 50 Prozent Einkommensteuer für Hochverdiener als Maßnahme der „sozialen Gerechtigkeit“. Als Labours Schattenschatzkanzler Alan Johnson die Steuer aber als „Notmaßnahme“ bezeichnete, die dauerhaft Großbritanniens Wettbewerbsfähigkeit schade, wollte er auch nicht widersprechen. Viele vergleichen Labours Situation mit den Tories nach dem Verlust der Regierungsmacht 1997. Vor allem denken sie an den Tory-Parteichef Iain Duncan Smith. Zwei Jahre nach seiner Wahl wurde er brutal gestürzt, ohne je einen Wahlkampf geführt zu haben.

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