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Die Skulptur von Willy Brandt in der SPD-Zentrale

© imago/Metodi Popow

Debakel bei der Chefsuche der SPD: Wenn das Willy wüsste...

Wer übernimmt die SPD-Spitze? Stegner und Schwan ernten Spott. Hoffnungsträgerin Giffey sagt ab. Das schmerzt die Bundespartei – freut aber Genossen in Berlin.

Es geht schief, was schiefgehen kann. Nun sagt auch eine der letzten verbliebenen Hoffnungsträgerinnen der SPD ab. Per Brief. Franziska Giffey teilte den Interims-Vorsitzenden mit, dass sie nicht zur Verfügung steht und auch ihren Ministerposten aufgeben werde, falls die Freie Universität Berlin ihr den Doktortitel aberkennt. Die Universität prüft die Dissertation seit Februar wegen eines Plagiatsverdachts. „Die Überprüfung der Doktorarbeit soll die personelle Neuaufstellung der SPD nicht überschatten oder gar belasten“, sagt die Sprecherin ihres Ministeriums zu der Entscheidung.

Und nun? Bis 1. September läuft noch die Bewerbungsfrist, bisher haben fast nur Gegner oder deutliche Kritiker der großen Koalition ihre Kandidatur erklärt, deren Ende könnte somit spätestens Anfang Dezember beim Bundesparteitag gekommen sein. „Einer der drei Minister muss es jetzt machen“, sagt ein einflussreicher Genosse.

Zugleich gibt es Unmut auch über den Prozess, 23 Regionalkonferenzen sind vom 4. September bis 12. Oktober geplant. Welcher Bundesminister soll dafür Zeit haben? Und sie haben sich ja frühzeitig mit Ausschließeritis eingemauert. So sagte Vizekanzler und SPD-Vize Olaf Scholz mit der Begründung ab, der Vorsitz lasse sich zeitlich mit seinem Regierungsamt nicht vereinbaren. Auch Arbeitsminister Hubertus Heil ziert sich. Bleibt womöglich Außenminister Heiko Maas. Der preist den Mythos des Vorsitzendenamtes, aber er reißt sich nicht darum. „Wer das nicht als eine Verlockung empfindet, der lügt oder er ist am falschen Platz“, sagt Maas dem Tagesspiegel.

Die Frauen scheuen das Risiko

Etliche gestandene männliche SPD-Politiker sondieren ihre Chancen, doch die Frauen scheuen das Risiko, heißt es in der Partei, in der einem gemischten Duo die größten Chancen zugeschrieben werden. Es war explizit gewünscht, dass sich vor allem Tandems bewerben. Das Kopieren der Grünen in dieser Frage der Führungsstruktur entwickelt sich aber bisher für die Bundes-SPD eher zum Fluch.

Arbeitsminister Hubertus Heil.
Arbeitsminister Hubertus Heil.

© imago/photothek

Immer wieder wird die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli genannt, oder auch die ostdeutschen SPD-Politikerinnen Manja Schüle und Petra Köpping. Die Top-Kandidatin Giffey hat sich nun selbst aus dem Rennen genommen – sie könnte aber immer noch gute Chancen haben, sich 2021 als Nachfolgerin von Michael Müller um das Amt der Regierenden Bürgermeisterin in Berlin zu bewerben. Sie weiß aus ihrer Zeit als Bezirksbürgermeisterin in Neukölln, welche Impulse die Stadt braucht, ist nah an den Alltagssorgen dran. Das ist eine Qualität, die vielen anderen in der SPD fehlt.

Vizekanzler Olaf Scholz.
Vizekanzler Olaf Scholz.

© dpa

Als letzten Beweis für einen gewissen Realitätsverlust nennen SPD-Leute die überraschendste Kandidatur bisher. Der Parteilinke Ralf Stegner (59) und die Chefin der Grundwertekommission, Gesine Schwan (76), treten als Duo an. Sie sind kluge Köpfe, aber stehen sie auch für Aufbruch und Verjüngung? Genossen ziehen offen über beide her. Johannes Kahrs, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, schreibt bei Twitter: „Gesine ist die größte. Erst Kevin, jetzt Ralf. Bin gespannt, wen sie als nächsten aus dem Rennen nimmt. Beste Frau.“ Will meinen, erst wollte sie mit Juso-Chef Kevin Kühnert antreten, was für ihn blöd aussah, nun mit Stegner.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, einer der Wahlen gewonnen hat, für den Vorsitz aber auch nicht zur Verfügung steht, lässt wissen, dass er die zwei nicht wählen wird. Das Internet ist voll von Spott und Häme. Am Freitag suchen Stegner und Schwan den großen Auftritt in der Bundespressekonferenz.

SPD-Generalsekretät Klingbeil.
SPD-Generalsekretät Klingbeil.

© REUTERS

Wie soll man einer Partei vertrauen, die nicht in der Lage ist, in einem geordneten Verfahren einen oder zwei Vorsitzende zu finden? Andrea Nahles ging nach massiver Kritik, aber der Putsch ohne echte Putschisten machte alles nur noch schlimmer, die Zehn- Prozent-Marke in Umfragen ist nicht mehr fern. Statt inhaltliche Debatte anzustoßen, die Mitglieder wieder besser in die Parteiarbeit einzubinden und nah bei den Leuten zu sein, demontiert sich die SPD gerade selbst. Zwei Wochen vor wichtigen Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg. Und ein Olaf Scholz kann in großen Linien skizzieren, wie man sich neu aufstellen müsste, aber greift nicht aktiv ein, bisher zumindest nicht. Während sich Ex-Chef Sigmar Gabriel zunehmend erschüttert zeigt.

Bedauern um Giffey

Einsam steht er in diesen Tagen da, der Willy Brandt. Die 3,40 Meter hohe Bronzefigur wirkt fast verloren im weiten Atrium der SPD-Parteizentrale. Schon unken die ersten, dass die Genossen hier bald den Laden dichtmachen und die Zentrale wie die französischen Sozialisten verkaufen müssen. „Man hat sich bemüht“, fand Brandt einst einen angemessenen Spruch für seinen Grabstein, ein Motto, das jüngst auch Kanzlerin Angela Merkel für sich adaptiert hat.

Bemühen kann niemandem abgesprochen werden in der SPD bei der Suche nach Nachfolgern an der Spitze. Doch aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands wird zunehmend die Selbstbespiegelungs-Partei – es grenzt schon fast an Selbstgeißelung, was da passiert, das Verfahren ist außer Kontrolle geraten.

Außenminister Heiko Maas.
Außenminister Heiko Maas.

© dpa

Giffeys Absage wird von vielen in der Bundes-SPD bedauert – für die Berliner SPD könnte sie eine Chance sein. „Das wäre toll, wenn wir Franziska Giffey statt Michael Müller an unserer Spitze hätten“, sagt ein Mitglied aus dem Landesvorstand. Die Familienministerin sei eine Hoffnungsfigur, „weil sie jeden mitnehmen kann“. Sie habe nicht nur die Basis-Mitglieder hinter sich, die in der Regel ohnehin wie Giffey eher konservativ tickten. Vor allem bei den Wählern komme Giffey gut an, ist man im Vorstand sicher.

„Mit Giffey hätten wir wenigstens die Chance, über 20 Prozent zu kommen", meint ein anderes Mitglied der Berliner SPD-Spitze. Deshalb könnten sich selbst die mehrheitlich links stehenden Parteifunktionäre für Giffey erwärmen. Und sollte Giffey ihren Doktortitel verlieren? Ein Hinderungsgrund für eine spätere Kandidatur als Landesvorsitzende wäre das nicht, meint der Genosse aus dem Vorstand. Auch ohne „Doktor“ vor dem Namen könnte Giffey bei jedem Berliner Landesparteitag leicht eine Mehrheit erreichen – sofern sie hier einen geeigneten Tandem-Partner finde, der mit ihr als Doppelspitze antritt.

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