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Politik: Das Elend mit dem Elend (Leitartikel)

Hungerkatastrophen sind, fast immer, politische Katastrophen. In Äthiopien hängt der Hunger nicht nur mit der Dürre zusammen.

Hungerkatastrophen sind, fast immer, politische Katastrophen. In Äthiopien hängt der Hunger nicht nur mit der Dürre zusammen. In Äthiopien ist Krieg: ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg zwischen den Äthiopiern und einer widerspenstigen Provinz, dem inzwischen unabhängigen Eritrea. Der Krieg, der nicht zu Ende geht, hat eine Militärkaste hervorgebracht, die eine Million Dollar pro Tag für Waffen ausgibt. Dürren sind in dieser Region unvermeidlich, deswegen wäre Vorsorge nötig. Um noch mehr Waffen zu kaufen, haben die Militärs die äthiopischen Lebensmittelreserven skrupellos exportiert. Sie haben darauf spekuliert, dass ihnen im Notfall die internationale Gemeinschaft helfen wird, wie immer. Äthiopien hungert. Hungert Äthiopien nicht immer schon?

Afrika kommt uns, den Fernsehzuschauern, mehr denn je wie ein unheilbarer Patient vor. Sobald die bekannten Hungerbilder wieder einmal auf dem Bildschirm erscheinen, schalten wir um - nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Resignation. Denen scheint nicht zu helfen zu sein. Dabei hat es in Asien doch geklappt! Früher hat man zum Beispiel häufig über Hungerkatastrophen in Indien gelesen, heute kommen von dort Computerexperten. Aber Afrika? Wer Spendengelder nach Afrika leitet, muss sich damit abfinden, dass ein stattlicher Teil dieses Geldes in den Taschen einer korrupten Führungsschicht landet.

Es gibt zwei typische westliche Denkmuster, die Dritte Welt betreffend. Die erste Form führt sämtliche Probleme dort auf das Erbe des Kolonialismus und das Wirken des Kapitalismus zurück. Sicher, daran ist vieles richtig. Aber das asiatische Beispiel zeigt, dass es etwas Schlimmeres gibt, als vom Kapitalismus als Billiglohnland ausgebeutet zu werden. Schlimmer ist es, wenn der Kapitalismus jegliches Interesse an einem Land verliert, wie es bei vielen Ländern Afrikas der Fall ist.

Die zweite Form des westlichen Denkens hat einen rassistischen Grundton. Ihre Aussage lautet: Die einheimischen Eliten dort sind unfähig, fast alle Probleme sind selbstgemacht, die da unten handeln eben unvernünftig und irrational. Es ist ihre Mentalität. Aber der Westen hat kein Recht, so zu denken, nicht nach zwei Weltkriegen, die von Europa ausgingen, nicht nach dem Kolonialismus, nicht nach Hitler und Stalin.

Vielleicht sind die westlichen Fernsehzuschauer und Politiker gleichgültig, aber vor allem sind sie ratlos. Niemand hat eine Lösung oder auch nur eine Strategie für Länder wie Äthiopien. Dort zu investieren, hat keinen Sinn. Hilfe versickert. In Somalia, in der gleichen Weltgegend, bei ähnlicher Ausgangslage, haben es die USA mit einer militärischen Intervention versucht, die keine eigenen Toten kosten sollte. Der Plan endete bekanntlich mit einem Desaster. Wann in den letzten Jahren hat eine militärische Intervention überhaupt irgendwo die erhofften Ergebnisse gehabt?

Soll man die Äthiopier nun hungern lassen, damit sie die Militärs stürzen und den Krieg beenden? Wenn es beim Irak nicht funktioniert, wird es in Äthiopien auch nicht funktionieren, abgesehen davon, dass diese Strategie unmenschlich wäre. Ja, die Hungerkatastrophe von Äthiopien ist eine politische Katastrophe, aber eine politische Lösung ist trotzdem nicht absehbar. Es bleibt nur eines: den einfachen Geboten der Menschlichkeit zu folgen. Wir müssen den Äthiopiern helfen, wir müssen versuchen, möglichst viele zu retten, wieder und immer wieder, trotz allem, und für die Zukunft Afrikas auf eines jener Wunder hoffen, die es in der Geschichte immerhin gelegentlich gegeben hat.

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