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Politik: Das Ende der Sicherheit

Das Rücktrittsgesuch des palästinensischen Premiers Kurei hat einen Grund: Anarchie im Gazastreifen

Palästinenserpräsident Jassir Arafat hat über den Gazastreifen den Notstand verhängt und den Rücktritt von Ministerpräsident Ahmed Kurei abgelehnt – ebenso wie den von höchsten Sicherheitsoffizieren. Die politische Krise im Lager der Palästinenser hatte sich nach mehreren Entführungen im Gazastreifen zugespitzt. Schon vor der Krisensitzung der Autonomieregierung am Samstag hatte Ministerpräsident Kurei die Lage im Gazastreifen in düstersten Farben gezeichnet: Er sprach von einer „echten Sicherheitskatastrophe“, einer „einzigartigen Anarchie“ und einem „Tohuwabohu“.

Am Samstag versuchte nun Arafat, die Kontrolle über das Geschehen wieder an sich zu reißen, indem er eine Reihe von Entlassungen und Ernennungen auf höchster Ebene der Sicherheitsorgane im Gazastreifen vornahm. Doch Arafat ersetzte die ihm loyal ergebenen, aber als korrupt geltenden bisherigen Kommandanten diverser Sicherheitsdienste durch Personen, deren Ruf noch schlechter ist, was insbesondere für seinen Neffen Mussa Arafat gilt, der zum Kommandanten aller Truppen im Gazastreifen und dortigen Chef der Nationalen Sicherheit ernannt wurde. Abdel Rasek al-Majadeh, der diese Positionen bisher innehatte, wurde zum Chef der nationalen Sicherheitskräfte im Gazastreifen und Westjordanland ernannt und ist damit praktisch Generalstabschef. Gleich am Samstagabend gingen tausende Palästinenser gegen die Ernennung von Arafats Neffen auf die Straßen. Allein in Gaza protestierten rund 3000 Demonstranten gegen die Nominierung von Mussa Arafat, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete.

Während der Entführungswelle im Gazastreifen wurden der mächtige Polizei-Oberkommandierende im Gazastreifen, General Ghazi al-Jabali, ein weiterer Sicherheitsdienstchef sowie vier französische und ein palästinensischer Mitarbeiter internationaler Hilfswerke gewaltsam gekidnappt, zum Teil wohl auch gefoltert und erst nach mehreren Stunden wieder freigelassen. Der entführte Polizei-Oberkommandierende al-Jabali gilt als Arafats Vertrauensmann.

Hinter den Entführungen steckten die Al-Aksa-, die Jenin-Märtyrer- und die Abu al-Bish-Brigaden, die allesamt zu Arafats Fatah-Bewegung gehören, jedoch keine Befehle mehr vom Palästinenserpräsidenten empfangen. Während die Freilassungen der französischen Geiseln nach Interventionen der UN, des französischen Konsulates in Jerusalem und Arafats erfolgten, wurde der Palästinenserpräsident von den Entführern Jabalis erpresst, bevor der Polizei-Oberkommandierende freigelassen wurde.

Jabali war auf der Küstenstraße mit seinem Fahrzeug in einen Hinterhalt von Bewaffneten geraten, wobei zwei seiner Leibwächter beim Schusswechsel verwundet wurden. Er selbst soll danach von den Entführern auf die Kühlerhaube ihres Jeeps gekettet, durch das Flüchtlingslager al Bureij gefahren sowie von den Lagerbewohnern verflucht und bespuckt worden sein. Im Verhör soll er den Diebstahl von 8 bis 22 Millionen Dollar öffentlicher Gelder sowie die Vergewaltigung mehrerer Frauen gestanden haben. „Wir räumten der Autonomieregierung drei Jahre Zeit ein, um die Reformen durchzuführen. Doch sie unternahm nichts. Nun tun wir dies auf unsere Weise. Ghazi al-Jabali wurde gekidnappt um ihn für seine Vergehen gegen unser Volk zur Rechenschaft zu ziehen“, rechtfertigte sich Abu Iyad, der Sprecher der Entführer.

Von Arafat verlangten die Entführer für die Freilassung Jabalis dessen Entlassung und Aburteilung durch ein ordentliches Gericht sowie dessen Verpflichtung zu Rückgabe der gestohlenen Gelder (die er im Verhör eingegangen war) oder aber Jabalis Exekution. Nach den Entführungen reichten der Abwehrchef im Gazastreifen, Rashid Abu Shbak, und der Chef des Allgemeinen Geheimdienstes, Amin Hindi, ihren Rücktritt ein. Als Begründung nannten sie den „fehlenden Willen der Palästinensischen Autorität, Reformen zu vollziehen". Arafat wies ihre Rücktritte zwar zurück, doch am Samstag blieben die Büros der beiden leer. Wie lange die Führungskrise unter den Palästinensern andauert, ist offen: Das palästinensische Kabinett will sich nach der Rücktrittserklärung von Kurei am Montag zu einer neuen Krisensitzung treffen.

Die einstmals unumschränkte Machtposition von Palästinenserpräsident Jassir Arafat ist in den letzten Jahren eingeschränkt worden.

Im Juni 2002 umstellten israelische Panzer den Amtssitz Arafats in Ramallah. Er wurde unter Hausarrest gestellt, der faktisch bis heute besteht.

Im September 2002 wurde das Hauptquartier Arafats von der israelischen Armee beschossen und verwüstet. Nur sein Bürogebäude blieb stehen.

Im Frühjahr 2003 ernannte Arafat widerwillig Abu Abbas zum Premierminister. Dieser legte im September sein Amt nieder, weil die Machtverteilung unklar war.

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