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Santiago Abascal und seine rechtspopulistische Partei Vox mischen die spanische Politik auf.

© dpa

Das Ende des gemäßigten Ausnahmelandes: Rückt jetzt auch Spanien nach rechts?

Erst hat die Katalonienkrise den Nationalismus in Spanien befeuert, dann kamen die Flüchtlinge. Nun stehen Wahlen an – und ein Kursschwenk. Ein Gastbeitrag.

Rückt auch Spanien nach rechts? Während in weiten Teilen Europas der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien seit mehreren Jahren ängstlich beäugt wird, war Spanien bisher eine der wenigen EU Staaten, in denen der Rechtsextremismus politisch nicht Fuß fassen konnte. Für die Kongresswahlen am 28. April und die Ende Mai folgenden Europawahlen sagen Prognosen jedoch der rechtsnationalen Vox Partei, die bisher auf nationaler und europäischer Ebene erfolglos geblieben war, zweistellige Gewinne voraus.

Bislang waren Strömungen am rechten Rand des politischen Spektrums in Spanien von der Volkspartei (Partido Popular, PP) absorbiert worden, die als konservatives Auffangbecken Bürgertum wie auch Nationalkonservative zu ihren Stammwählern zählte. Der plötzliche Zulauf von Vox an den Urnen wird gemeinhin der Verfassungskrise in 2017-18 über die Unabhängigkeit Kataloniens zugeschrieben. Als die Konfrontation zwischen der Zentralregierung in Madrid und den katalonischen Nationalisten sich im letzten Jahr zuspitzte, kritisierten viele Spanier die etablierten Zentrumsparteien, vor allem die zu diesem Zeitpunkt unter Premierminister Mariano Rajoy regierende PP, als zu schwach im Umgang mit dem katalanischen Nationalpopulismus.

Die große Mehrheit der Spanier ist gegen eine Unabhängigkeit Kataloniens und ein nicht verfassungsmäßiges Referendum. Vor allem aber hat die Polarisierung über Katalonien eine breitere Debatte um Spaniens nationale Identität entfacht und einen neuen, gesamtspanischen Nationalismus erweckt, der das Land vermeintlich in Befürworter und Gegner der nationalen Einheit spaltet. Flaggen, als Symbole der beiden Lager permanent an Balkonen drapiert, wurden über Nacht im Stadtbild von Madrid und Barcelona allgegenwärtig.

Auch die konservativen Parteien haben ihre Rhetorik verschärft

Die zentrale, den Wahlkampf dominierende Frage bleibt auch heute die nach der Zukunft Kataloniens. Während die linkspopulistische Podemos als einzige der fünf größten Parteien ein Referendum erwägt, hat Vox einen markigen Neo-Nationalismus zu seinem Markenzeichen gemacht, der katalanische Separatisten im gleichen Atemzug wie Dschihadis nennt. Vox-Wähler entstammen jedoch nicht nur der ehemaligen Wählerschaft der PP, sondern auch der Sozialisten, in dessen Reihen Sanchez’ Kurs gegenüber der katalanischen Regionalregierung auch vielfach als zu nachgiebig kritisiert wurde.

Aus Angst, noch mehr Wähler an Vox zu verlieren, haben die konservativen Parteien PP und Ciudadanos ihre Rhetorik stark an den nationalistischen Diskurs von rechts angepasst. Die Folge ist eine Polarisierung der politischen Debatte um die Besetzung der nationalen Identität, in der regionale und gesamtspanische Nationalisten als antagonistische Pole den Wahlkampf dominieren.

Die Katalonienkrise fiel zudem mit einer weiteren entscheidenden Entwicklung zusammen. Infolge der weitgehenden Abriegelung der Migrationsrouten im östlichen und zentralen Mittelmeer wurde die Überfahrt bei Gibraltar im Laufe des vergangenen Jahres zur neuen Hauptroute irregulärer Migration von Nordafrika in die EU. Die Zahl der irregulären Einwanderer nach Spanien stieg von 2017 bis 2018 um 130 Prozent auf 60.000 Personen pro Jahr. Vox konnte mit seiner harschen, zum Teil ausländerfeindlichen Law-and-Order Rhetorik (wie der Forderung nach einer „unüberwindbaren Mauer“ zur Trennung der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla vom marokkanischen Festland) von dieser Entwicklung profitieren.

Der seit ihrer Gründung durch ehemalige PP-Mitglieder in 2014 weitgehend erfolglosen Vox-Partei gelang plötzlich, im Dezember 2018, mit elf Prozent der Stimmen ein triumphaler Einzug ins andalusische Regionalparlament. Seitdem Vox danach der regionalen PP-Ciudadanos Koalition zur Regierungsbildung verhalf, fragen sich viele Spanier, ob das „andalusische Modell” – eine konservative Regierungskoalition mit Vox als Hebamme – auch auf nationaler Ebene salonfähig wäre.

Die Führungsspitzen von PP und Ciudadanos schienen diese Frage selbst zu beantworten, als sie sich bei einer anti-separatistischen Kundgebung auf Madrids Plaza de Colon im Februar auf ein verhängnisvolles gemeinsames Foto mit dem Vox-Chef Santiago Abascal einließen, das die Öffentlichkeit als Vorbote einer opportunistische Allianz der konservativen Mitte mit der extremen Rechten interpretierte.

Es stehen sich zwei Blöcke gegenüber

Das demokratische Spanien wurde auf nationaler Ebene stets im Wechsel von den beiden großen Volksparteien regiert; Koalitionsbildung war nicht notwendig. Während die beiden großen Volksparteien ähnlich wie in anderen europäischen Ländern an Zuspruch verloren haben, hat sich das politische Spektrum in Spanien rechts und links diversifiziert. Eine absolute Mehrheit einzelner Kräfte ist damit gänzlich unerreichbar, so dass die spanischen Parteien nun erstmals gezwungen sind, auf nationaler Ebene Koalitionen zwischen mehreren Parteien einzugehen.

Die linkspopulistische Allianz Unidas Podemos wurde als Podemos inmitten der spanischen Anti-Austeritätsbewegung von einer Gruppe um den medialen Universitätsprofessor Pablo Iglesias gegründet. Podemos war nach den Kongresswahlen von 2015 und 2016 mit jeweils um die 20 Prozent die drittstärkste Kraft im Parlament, und wurde noch bis vor kurzem als die aufstrebende politische Kraft gehandelt. Eine interne Führungskrise hat die Partei jedoch geschwächt, und laut Umfragen wird sie am Sonntag bis zu einem Drittel ihrer Stimmen einbüßen.

Für eine potenzielle Regierungsbildung stehen sich am 28. April zwei Blöcke gegenüber. Auf der einen Seite steht die sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) des amtierenden Ministerpräsidenten Pedro Sanchez, Unidas Podemos, sowie die kleinen regionale Nationalistenparteien, die im Falle einer engen Mehrheit den Ausschlag für Sanchez‘ Linkskoalition geben könnten. Auf der anderen Seite steht die PP unter dem Vorsitz von Pablo Casado, die rechtsliberale Ciudadanos unter Albert Rivera, und die rechtsnationale Vox, geführt von Santiago Abascal.

Ciudadanos hatte im Vorfeld eine Koalition mit Sanchez‘ PSOE ausgeschlossen. Da eine große Koalition in der spanischen Parteilandschaft nicht in Frage kommt, wird die neue spanische Regierung also nach aktuellen Prognosen entweder von einem konservativen Block mit Vox oder eine linksgerichtete Koalition mit den katalanischen Nationalisten als Königsmachern gestellt werden. In beiden Fällen würde Spanien sich vom politischen Zentrum entfernen.

Das politische Zentrum dünnt sich aus

Während die Umfragen den beiden Blöcken noch vor wenigen Wochen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraussagten, zielen jüngere Umfragen übereinstimmend auf einen klaren Wahlsieg der PSOE mit 29 Prozent, sowie große Verluste für PP (20 Prozent) und Podemos (14 Prozent), und einen Einstieg ins Parlament von VOX bei um die elf Prozent. Laut einer von der Zeitung "El País" kürzlich veröffentlichten Durchschnittsberechnung aktueller Umfragen hätte nur der Linksblock von PSOE, Podemos und den katalanischen Nationalisten eine Mehrheit.

Ob die Königsmacher nun von links oder rechts kommen: das politische Zentrum dünnt sich aus. Auch wenn eine Regierungsbeteiligung von Vox wahrscheinlich vermieden wird, wird ihr Einzug in den Kongress triumphal. Marine Le Pen und andere europäische Rechtspopulisten haben Abascal bereits vollmundig ihre Unterstützung zugesagt.

In Spanien werden die Rechtspopulisten in einem Kongress mit schwachen Mehrheitsverhältnissen den Ton mitbestimmen. Der Konflikt um Katalonien, der indirekt in diesen Wahlen entschieden wird, wird damit weiter angeheizt.

- Kristina Kausch ist Senior Resident Fellow beim German Marshall Fund of the United States

Kristina Kausch

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