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Das ESM-Urteil von Karlsruhe: Zustimmung unter Vorbehalt

Deutschland kann dem Euro-Stabilitätsmechanismus ESM beitreten, sagt das Verfassungsgericht – muss aber mehrere Auflagen erfüllen. Was bedeutet das?

Karlsruhe hat den Weg für den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM und den Fiskalpakt freigemacht. Erfüllt die Bundesrepublik die Auflagen des Gerichts, kann Bundespräsident Joachim Gauck die deutschen Zustimmungsgesetze unterschreiben. Deutschland könnte als letztes Land dem ESM beitreten.

Wie haben die Richter entschieden?

Nach Ansicht der Kläger sind ESM und Fiskalpakt ein bisher beispielloser Eingriff in die Verfassungsrechte der Bundesrepublik. Mit dem deutschen Beitritt zum ESM gebe das Parlament seine Kontroll- und Gestaltungsmöglichkeiten in Haushaltsfragen auf, es werde ein Haftungsmechanismus etabliert, den Deutschland nicht mehr steuern könne. Die Richter lehnten die Anträge ab, machten zugleich aber Vorgaben. Die Bundesrepublik hält mit rund 190 Milliarden Euro mehr als ein Viertel am ESM-Stammkapital. Streitig war – und ist es auch nach dem Urteil –, ob im ESM- Vertrag klar genug formuliert ist, dass dieser Rahmen nicht überschritten werden darf. Die Richter teilen zwar die Position von Bundestag und Regierung, dass dies deutlich genug sei. Aber andere Deutungen sollen auf jeden Fall ausgeschlossen sein. Deshalb soll ein Vorbehalt verfasst werden, der die Obergrenze nach außen klarstellt. Wolle man sie überschreiten, müsse stets der Bundestag zustimmen.

Wie soll die Bundesrepublik die Haftungsgrenze klarstellen?

Darüber gingen die Meinungen im Gerichtssaal unmittelbar nach der Urteilsverkündung auseinander. Auf Förmliches haben die Richter in diesem Punkt verzichtet. Ein völkerrechtlicher Vorbehalt wirft die Frage auf, ob ihm die anderen am ESM beteiligten Nationen zustimmen müssen. In Regierungskreisen wurde eher eine einseitige Erklärung erwogen. Möglicherweise muss sich auch der Bundestag erneut mit dem Thema beschäftigen. Bei der Wahl der Mittel wird es auch darauf ankommen, wie die anderen Vertragsländer den entsprechenden Passus im ESM-Vertrag interpretieren.

Was war den Richtern wichtig?

In allen jüngeren Euro-Urteilen ging es um die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestags und die Frage, wie sich europäische Kreditgewährleistungen damit vereinbaren lassen. Dem Parlament ist es nach Ansicht der Richter untersagt, finanzwirksame Mechanismen zu begründen, die zu nicht mehr überschaubaren Belastungen führen. Jede größere Hilfsmaßnahme müsse im Einzelnen vom Bundestag bewilligt werden, auch wie mit den Mitteln umgegangen werde, habe der Bundestag mitzubestimmen.

Wie begründen die Richter ihr ESM-Urteil?

Sehen die Richter im ESM einen Kurswechsel in Europas Finanzpolitik?

Nein. Der ESM sei ein Mechanismus zur Hilfeleistung, mit dem das Prinzip der Eigenständigkeit der nationalen Haushalte nicht aufgegeben werde. Insofern habe der Bundestag auch der entsprechenden Änderung im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zustimmen dürfen.

Wie begründen die Richter ihr ESM-Urteil?

Soweit die Haftung klar definiert ist und die Informationsrechte des Bundestags gesichert sind, sieht das Gericht im ESM kein grundsätzliches Problem. Der Bundestag müsse sich darum kümmern, dass die deutschen Anteile am ESM-Stammkapital fristgerecht und vollständig eingezahlt würden – dann seien die deutschen Stimmrechte im ESM gesichert. Auch in den 190 Milliarden Euro sieht das Gericht trotz anderer mittlerweile übernommener Zahlungspflichten keine kritische Grenze. Was sich Deutschland hier leisten könne und womit der Bundestag seine Haushaltsautonomie gefährde, sei primär Sache der Politik.

Auch könne der ESM nicht zum Vehikel einer verfassungswidrigen Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (EZB) werden. Der Vertrag lasse Anleiheoperationen zur direkten monetären Haushaltsfinanzierung nicht zu. Ferner sei der Bundestag in die ESM-Entscheidungen ausreichend eingebunden. Allerdings behielten sich die Richter an diesem Punkt vor, in einem Urteil in der Hauptsache Korrekturen anzumahnen.

Wie wird beim Fiskalpakt argumentiert?

Hier erinnerten die Richter an die weitgehend deckungsgleiche Schuldenbremse im Grundgesetz. Auch forderten die europäischen Verträge ohnehin Haushaltsdisziplin ein. Ein europäischer Durchgriff auf die nationalen Haushalte sei im Fiskalpakt nicht vorgesehen. Unkündbar, wie oft behauptet wurde, sei der Vertrag nicht. Es sei völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, dass ein Austritt jedenfalls dann möglich sei, wenn sich die bei Vertragsschluss zugrunde gelegten Umstände maßgeblich geändert hätten.

Was sagt das Gericht zur EZB?

Ohne über den Fall bereits jetzt zu entscheiden, wurden die Richter überraschend deutlich. Der Erwerb von Staatsanleihen am Sekundärmarkt, also über den Umweg der Banken, sei verboten, wenn er auf eine von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung von Haushalten der Mitgliedstaaten ziele.

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