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Flüchtlinge bei ihrer Ankunft am Montag in der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Berlin-Spandau.

© Britta Pedersen/dpa

Das Flüchtlingsproblem: Die Koalition ist nur einen allerersten Schritt gegangen

Der Bund stellt zusätzlich sechs Milliarden Euro für die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen zur Verfügung. Es ist nur der Anfang der Herausforderung, die anzunehmen ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Vielleicht war das der entscheidende Satz, auch wenn Angela Merkel ihn bei der Pressekonferenz zu den Ergebnissen des nächtlichen Koalitionsgipfels eher nebenbei sagte: Es ginge nicht zuletzt darum zu zeigen, dass wir nicht nur bei der Bankenrettung schnell sind. Das ist ja der stille Vorwurf, dass Europa, dass die Bundesregierung, nur dann fähig zu schnellem Handeln sei, wenn es um Moneten und nicht um Menschen geht. Nun also das: Der Bund stellt zusätzlich sechs Milliarden Euro für die Unterbringung der Flüchtlinge zur Verfügung, Tausende von Stellen sind bewilligt, Asylverfahren sollen beschleunigt, anerkannte Bürgerkriegsflüchtlinge schnell integriert werden. Alleine das Ausmaß dieser, der letzten genannten Aufgabe zeigt, dass der Koalitionsbeschluss nichts als der allererste Anfang bei der Bewältigung der größten Herausforderung ist, die das vereinte Deutschland jemals zu schultern hatte. Und schon dieser erste Schritt fiel zumindest dem bayerischen Regierungspartner überaus schwer.

Dabei ist, den Wahlergebnissen nach, die CSU die einzige Volkspartei in Bayern. Aber das Bild Bayerns wird nach diesem Wochenende, das Angela Merkel „atemberaubend“ nannte, nicht von der grantelnden Spitze der Christlich-Sozialen Union bestimmt, sondern von den im Wortsinne guten Geistern auf Münchens Hauptbahnhof. Bestimmt von den hauptamtlichen und vor allem den vielen freiwilligen Helfern, die in einer beispiellosen humanitären Aktion innerhalb von 48 Stunden fast 20 000 Flüchtlinge willkommen hießen. Sie mit Nahrung und Getränken, Spielsachen, Decken, vor allem aber mit menschlicher Anteilnahme begrüßten. Die CSU-Granden konnten es in ihrem ohnedies angeknacksten Selbstbewusstsein offenbar nicht verwinden, dass die Bundeskanzlerin die vorübergehende Öffnung der Grenze für syrische Flüchtlinge zwar mit dem österreichischen Bundeskanzler und der ungarischen Regierung verabredete, nicht aber den bayerischen Koalitionspartner in der Nacht kontaktierte. Ob die umsichtige Kanzlerin das wirklich vergaß oder bewusst unterließ, um das Risiko einer Blockade der Rettungsaktion durch die Schwesterpartei zu minimieren, bleibt offen. Fakt aber ist, dass nur durch die zeitweilige Aussetzung der Dublinregelung, wonach jeder Flüchtling in dem EU-Land registriert werden muss, das er zuerst betritt, eine menschliche Katastrophe verhindert wurde. Ungarische Behörden haben durch ihr Handeln, Ungarns Regierungschef durch seine provokativen Reden, die Lage geradezu bösartig angeheizt. Die Fairness gebietet aber, einzugestehen, dass Ungarn mit der großen Zahl an Hilfesuchenden völlig überfordert war.
Dass Deutschland mit 800 000 Flüchtlingen in diesem Jahr hingegen nicht überfordert ist, muss sich erst noch zeigen, denn keiner weiß, wie lange die anrührende und von großer Menschlichkeit zeugende Welle der Sympathie für die ankommenden Menschen aus der Ferne trägt. Die, die guten Willens sind in Deutschland, heißen alle jene willkommen, die ihrerseits guten Willens sind. Wenn völlig verschiedene Kulturen aufeinandertreffen, sind Missverständnisse unvermeidlich, ist auf beiden Seiten Nachsicht und Geduld nötig, um Reibungen zu verhindern. Bundes- und Landesregierungen müssen bei allem, was sie tun, den Anschein vermeiden, die Hilfe für die Flüchtlinge ginge zulasten jener Bevölkerungsgruppen, die sich ohnedies benachteiligt fühlen oder als Verlierer der Wende sehen. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, die Bargeldleistungen an Flüchtlinge einzuschränken, denn da addieren sich für eine kleine Familie schnell Beträge, die gerade im Falle einer Abschiebung noch verlockend sind.
Wie auch immer, kann Deutschland nur sehr begrenzt bei der Lösung jener Probleme helfen, die überhaupt erst Auslöser der Massenflucht aus dem Mittleren Osten sind. Da ist die ganze EU, da sind vor allem auch die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates gefragt. Von denen waren einige am Entstehen der Konflikte beteiligt. Andere verhindern jetzt deren Lösung.

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