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Politik: „Das funktioniert nicht“

Lutz Rathenow über das geplante Stasi-Aktengesetz

Nach der geplanten Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes soll eine Überprüfung auf frühere Stasi-Mitarbeit nur noch beim Vorliegen eines konkreten Verdachts möglich sein. Ein Beitrag zum inneren Frieden im Land?

Ich bin für großzügige und differenzierte Betrachtungsweise bei einer IM-Tätigkeit. Fast allen meiner IM habe ich beim Lesen meiner Akten verziehen. Das geht nur, wo Fakten bekannt werden dürfen. Im Jahr 2035 gehen jene in Rente, die beim Verschwinden der DDR 20 Jahre alt waren und möglicherweise eine kurze heftige Stasi-Karriere hinter sich hatten. Bis zu diesem Zeitpunkt werden mögliche Stasi-Verwicklungen prominenter Personen in der Öffentlichkeit immer wieder mal unkalkulierbare Wellen schlagen, wie andere Peinlichkeiten aus anderen Zusammenhängen. Bis dahin benötigen diese speziellen Akten besondere Betreuung mit Deutungskompetenz auch für berufliche Nachwirkungen.

Aber die Befürworter führen ins Feld, dass es mit dem neuen Gesetz eben keinen Schlussstrich geben wird.

Dieses Gesetz täuscht die Erhellung der Vergangenheit durch juristische Paragrafen vor. Das funktioniert nicht. Deshalb greift der Hinweis der Gesetzesbefürworter auf das Recht von Verjährung nicht. Denn eine ehemalige IM-Tätigkeit war nie strafbar und ist fast nie bestraft worden. Deshalb sollte man von (möglichen und sicher abnehmenden) Prüfungen sprechen, die differenzierte Erkenntnisse erzeugen. Natürlich werden immer mehr weiterbeschäftigt. Es geht aber schon um aktuelle Tätigkeitskompetenz durch Prüfen der Wahrnehmungsfähigkeit für ehemaligen beruflichen Missbrauch als Anwalt, Trainer, Arzt oder Journalist.

Prüfungen in Einzelfällen, weil sonst zu viel Spielraum für Spekulationen bleibt?

Ja. Missverständnisse, Gerüchte und Halbmutmaßungen werden auch bei Politikern erblühen, die „im Verdachtsfall“ geprüft werden. „Verdacht“ ist keine Kategorie für ein Gesetz. Die nicht mehr vorhandene Prüfmöglichkeit in anderen Berufen schadet Menschen, die sich angesichts von Spekulationen entlasten könnten. Denken wir doch an den Nicht-Fall Michael Schindhelm, der durch gründliche Prüfung vom Verdacht aktiver Stasi-Mitarbeit freigesprochen wurde.

Sie sind dagegen, dass der Gesetzentwurf am kommenden Freitag in der derzeitigen Form verabschiedet wird?

Jeder Arbeitgeber soll selbst entscheiden, ab wann er Auskünfte nicht mehr braucht. Außerdem enthält das Gesetz Formulierungen, die katastrophale Nebenwirkungen erzielen können. Zum Beispiel die Festlegung, dass einem Mitarbeiter die Tatsache einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwendet werden darf.

... was sich an die strafrechtlichen Verjährungsbestimmungen des Bundeszentralregisters anlehnt.

Hier geht es nicht um bestrafte Menschen, es geht um moralische Verantwortung, die nicht nach Fristen verjährt. Deshalb muss sie durch potenzielle Aktenauskunft differenziert erkennbar bleiben. Der von mir zitierte Satz bedeutet aber mehr: Er bedeutet einen Extra-Schutz für ehemalige Stasi-Mitarbeiter. Er schützt nicht nur vor Kündigung, auch vor Verwendung der Erkenntnis zu beruflichen Nachteilen. Das ergibt praktisch eine Karrierepflicht für Stasi-Leute.

Aber es bleiben ja immer noch die arbeitsrechtlichen Konsequenzen, etwa wegen eines gestörten Vertrauensverhältnisses ...

Die kollidieren dann mit diesem Gesetz. Ich möchte einen Alarmruf aussenden: Wie mir aus zuverlässiger Quelle bekannt ist, basteln im Ostteil Berlins Anwälte mit belasteter DDR-Vergangenheit an Modellen für künftige Klageerhebungen und Prozesse. Dabei sollen drei rechtliche Grundlagen verknüpft und getestet werden: das Persönlichkeits- und Datenschutzrecht, das neue Antidiskriminierungsgesetz und eben das künftige Stasi-Unterlagengesetz. Konkrete Beschreibungen ehemaliger Stasi-Aktivitäten werden schon jetzt oft juristisch behindert. Schwärzungen in veröffentlichten Büchern sind angestrebt, die Verhinderung neuer Werke. Gegen Bürgerrechts-Archive und die Verbreiter privater Stasi-Akten-Kopien werden Klagen geprüft. Die unübersichtliche Rechtssituation wird zu dem Versuch führen, uns nachträglich einen Maulkorb zu verpassen – unter Androhung zivilrechtlicher Folgen.

Das Gespräch führte Matthias Schlegel

Lutz Rathenow (54) ist Schriftsteller, DDR- Dissident und Bürgerrechtler. Zuletzt erschien von ihm gemeinsam mit dem Fotografen Harald Hauswald der Bild-Text-Band

„Gewendet“.

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