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Politik: Das Gesetz gegen die Straße

BERLIN AM 1.MAI

Von Werner van Bebber

Nun kommt wieder der Tag, an dem einem die Kreuzberger Leid tun können. Auch in Prenzlauer Berg und Mitte wird es schwierig für die, die den 1.Mai in Berlin bloß feiern wollen. Mit Randale rechnen alle, die leidgeprüften Ladenbesitzer und Anwohner, die Polizisten und der Polizeipräsident. Alles wie gehabt – wie ein Medizinmann nach jahrelanger Dürre wird sich Innensenator Ehrhart Körting mit vielen anderen einen kräftigen Regen wünschen, der die Randalierer von der Straße treibt.

Tatsächlich ist dem 1.Mai in seiner Berliner Variante mit Regenwünschen nicht beizukommen. Es scheint, als versagten überhaupt alle Strategien und Konzepte. An diesem Tag gilt seit mehr als fünfzehn Jahren für 24 Stunden das Gesetz der Straße mehr als das Strafgesetzbuch. Im rechtsfreien Raum Kreuzberg toben sich neben militanten Gruppen PolitHooligans und Freizeitstraßenkämpfer mit heftigem Erlebnishunger aus. Ihr adrenalinberauschter Spaß am Straßenkampf hat schon lange nichts mehr mit Politik zu tun, die sich um Arbeit, Gesellschaft, Gerechtigkeit dreht. Mag sein, dass sich wieder ein paar Autonome zum antiimperialistischen Bierflaschenwerfen einfinden – Botschaften, die breiter zu diskutieren wären, haben sie nicht.

Gerade deshalb ist dieser Feiertag ein Politikum. Wenn der Innensenator in Anlehnung an die Hausbesetzerlyrik der frühen 80er sagt, man werde den 1.Mai mit „Gefühl und Härte“ begleiten, wird er wissen, dass nicht nur Demonstranten Gefühle haben. Gefühle haben auch die Bürger, die mit wachsendem Befremden zusehen, wie Politik und Polizei mit dieser demonstrativen, fast exhibitionistischen Gewalt umgehen. Der 1. Mai in Berlin hat jedes politische Motiv verloren und ist zu einem bösartigen Spiel ohne Grenzen geworden. Seine zerstörerische Wirkung bleibt nicht auf den Tag begrenzt. Es sind Gewalt-Rituale, die viele Kreuzberger ebenso anöden wie die Restberliner und den Rest der Republik – der sich am Abend des 1.Mai wieder schaudernd von der Hauptstadt abwenden wird. Gerade das Ritualhafte macht die Randale so unerträglich – und es ist selbstverständlich, dass sie mit polizeilichen Mitteln bekämpft und eingegrenzt werden muss.

Aber es geht nicht nur um die Frage nach der richtigen Polizeitaktik. Die pendelte stets zwischen dem Versuch, möglichst viele Leute wegen Körperverletzung ins Gefängnis zu bringen und der Absicht, nur die Rädelsführer festzunehmen. Was randalierende Jugendliche anbelangt: Wer den Papa bitten muss, ihn am 2.Mai vom Polizeipräsidium abzuholen, der denkt vielleicht über die Vermeidbarkeit familiären Ärgers nach. Festnahmen machen noch keine Kriminellenkarriere – und sie können nicht die einzige Antwort sein auf das Gewalt-Ritual, das sich in dieser Stadt eingebürgert hat.

Gewalt zerstört nicht nur Fensterscheiben und Autos, Gewalt hat eine erodierende Wirkung. Denn auch das macht den Berliner 1.Mai zum Politikum: Im toleranten Multikulti-Kreuzberg toben sich junge Randalierer aus ethnischen Subkulturen aus, sprechen Beobachter von türkischen, kurdischen, arabischen Gangs, die Straßenkampf spielen. Solche Gangs sind mehr als einen Steinwurf von diesem Staat entfernt und noch weiter von Integration. Dem 1.Mai als Krawall-Event für Berliner Jugendliche jeder Herkunft wird man mit Deutungsinstrumentarien aus der Zeit der Spaßgesellschaft nicht gerecht. Diese Randalierer haben viel mehr als die autonomen Staatshasser früherer Jahre eine politische Botschaft, allerdings eine nicht entzifferte. Sie kann bedeuten: „Ihr könnt uns mal“. Oder aber, indirekt: „Wo ist die Grenze?“ Es wird Zeit, dass Politiker diese Grenze klar ziehen. Für uns Bürger.

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