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Fast beschwörend wendet sich der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras am Mittwoch via Fernsehen an das Volk.

© AFP

Das Griechenland-Drama: Für Alexis Tsipras wird es nun richtig eng

Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras hat neue Vorschläge gemacht. Nach Ansicht der Geldgeber ist die Zeit darüber hinweg gegangen. Nun hängt doch alles vom Ausgang des Referendums am Sonntag ab. Kann die Schuldenkrise durch Verhandlungen noch beigelegt werden?

Wenige Tage vor einem wegweisenden Referendum steht das Schicksal Griechenlands weiter auf der Kippe. Am Sonntag sollen die Griechen in einer Volksabstimmung über das Angebot der Geldgeber entscheiden, das nach dem Auslaufen des Hilfsprogramms in der Nacht zum Mittwoch aber hinfällig geworden ist. In dem ständigen Hin und Her könnten sich indes die möglichen Konturen weiterer Griechenland-Hilfen abzeichnen. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras ging einen Schritt auf die Geldgeber zu. Parallel forderte er aber weiter Erleichterungen bei der unmittelbar anstehenden Rückzahlung der griechischen Schulden.

Was hat Tsipras als letztes vorgeschlagen?

Tsipras hat am Dienstag einen Brief an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, und die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, geschickt. In dem zweiseitigen Schreiben erklärte er sich damit einverstanden, die am Wochenende noch auf dem Tisch liegenden Bedingungen der Geldgeber zur Auszahlung von Milliardenhilfen zu akzeptieren.

Wie unterscheidet sich Tsipras’ Brief vom letzten Angebot der Gläubiger?

In den Grundzügen will Tsipras das letzte Angebot der Gläubiger akzeptieren und hat viele Streitpunkte beseitigt. Die zwölfprozentige Einmalsteuer auf hohe Firmengewinne etwa, die dem Internationalen Währungsfonds ein Dorn im Auge waren, hat Tsipras komplett aufgegeben. Dennoch besteht der Chef des Linksbündnisses Syriza weiterhin auf einigen Ausnahmen. Unter anderem verlangt Tsipras, dass auf den griechischen Inseln ein niedrigerer Mehrwertsteuersatz gelten solle. Die Minderung um 30 Prozent für die Inseln soll den rechtspopulistischen Koalitionspartner „Unabhängige Griechen“ bei der Stange halten.

Zudem will Tsipras im Vergleich mit den Gläubigerreformen die stufenweise Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre, die bis 2022 erfolgt sein soll, zwar akzeptieren – sie soll aber noch nicht sofort, sondern erst im kommenden Oktober in Angriff genommen werden. Zudem soll der Zuschuss zu Niedrigrenten (Ekas) zwar nun mit Tsipras’ Einverständnis zum Ende 2019 auslaufen. Allerdings soll es nach dem Wunsch des Athener Premiers anders als im Gläubigerpapier keine Sofortmaßnahmen geben, welche die oberen 20 Prozent der Ekas-Bezieher treffen würden. Das Militärbudget, das er vorher um 200 Millionen Euro kürzen wollte, soll nun dem Wunsch der Gläubiger entsprechend 2017 um 400 Millionen gekürzt werden – allerdings verteilt auf zwei Jahre.

Könnte durch den Brief neue Bewegung in die Diskussion kommen?

Tsipras’ Brief ist in gewisser Weise das Zuckerstück, mit dem er in den Gesprächen mit den Geldgebern seine zentrale Forderung nach einer Schuldenerleichterung in den nächsten Jahren versüßen will. Bisher blieb in den Verhandlungen mit den Geldgebern die Aussicht auf weitere Schuldenerleichterungen vage – obwohl der Schuldenstand auf 180 Prozent der Wirtschaftsleistung angestiegen ist.

In dem neuen Finanzierungsmodell, das Athen ebenfalls am Dienstag vorgelegt hatte, wird verlangt. dass Hellas über einen Zeitraum von zwei Jahren Gelder aus dem europäischen Rettungsfonds ESM erhält. Parallel dazu soll nach einer Mitteilung aus dem Büro von Tsipras eine Umschuldung erfolgen.

Zwar erklärte Finanzminister Wolfgang Schäuble am Mittwoch, Tsipras’ Brief habe „nicht mehr Klarheit geschaffen“. In Berlin wird es dennoch mittlerweile für denkbar gehalten, dass der Euro-Rettungsschirm ESM doch noch ins Geschäft mit Griechenland kommen könnte. Und zwar nach dem Referendum in Athen. Genährt wird diese Hypothese unter anderem durch Äußerungen von Kanzlerin Angela Merkel vor der SPD-Bundestagsfraktion am Wochenanfang. Tatsache ist, dass Merkel Griechenland nicht dauerhaft alimentieren will, gleichzeitig aber auch eine Lösung sucht, bei der den Griechen die Rückzahlung ihrer Schulden möglich wird. Springt nun der ESM ein und versorgt die Griechen mit einem sehr zinsgünstigen Kredit in der Höhe der von den Griechen an ihre Gläubiger zu zahlenden Beträge, wäre Athens Finanzlast geringer und durch die lange Laufzeit der ESM-Kredite gestreckt – faktisch eine Umschuldung. Zur Bedingung dafür müssten die Griechen jedoch dem Vorschlag der Gläubiger vom vergangenen Wochenende zustimmen, damit Reformen einleiten und weiter sparen. Eine weitere Mitsprache des IWF – gerade für die Unionspolitiker unabdingbare Voraussetzung – wäre über die ESM-Kreditbedingungen gegeben. Denn der Währungsfonds muss die ESM-Programme beratend begleiten.

Welche Strategie beide Seiten verfolgen

Welche Strategie verfolgen die Geldgeber und die Regierung in Athen?

Wenn Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble Verhandlungen vor dem Referendum ablehnen, sagen sie damit implizit, dass sie keine Verhandlungen mehr mit der Syriza-Regierung möchten. Denn Tsipras’ Regierung, so die Kalkulation, würde nach einer Niederlage im Referendum am Sonntag zurücktreten. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat sich bereits selbst in den Wahlkampf begeben und die Griechen aufgefordert, mit „Ja“ zu stimmen.

Die griechische Regierung versucht sich in einer zweigleisigen Strategie, die aus Verhandlung und Protest besteht. Während Premier Tsipras weitere Vorschläge nach Brüssel schickt, entrollte sein Finanzminister Yanis Varoufakis an seinem Ministerium ein riesiges Plakat. Darauf war der Slogan „Nein zu Erpressung und Austerität“ zu lesen. 

Verfolgen Deutschland und Frankreich eine gemeinsame Linie?

Bis zum Mittwoch vertraten Deutschland und Frankreich in den Verhandlungen mit Tsipras nach außen eine gemeinsame Haltung. Dies wurde in mehreren Treffen von Merkel und dem französischen Staatschef François Hollande mit Tsipras dokumentiert. Dass Hollande möglicherweise doch Tsipras weiter entgegenkommen möchte als Merkel, wurde deutlich, als der Staatschef am Mittwoch in Lyon erklärte, man brauche „sofort“ eine Einigung. „Wir sprechen jetzt schon solange über diese Verständigung, nun muss sie kommen“, sagte Hollande weiter. Merkel erklärte hingegen am selben Tag im Bundestag, vor dem am kommenden Sonntag geplanten Referendum könne es keine Verhandlungen mit Athen geben.

Wie geht es nun weiter?

Eine Prognose ist kaum möglich, weil auch eine Absage des Referendums denkbar ist. Für den Fall eines „Ja“ hat Tsipras bereits seinen Rücktritt in Aussicht gestellt. Im Fall einer Zustimmung könnten zügig Verhandlungen mit Athen über ein neues Hilfspaket aufgenommen werden. Nach den Worten des EU-Vizekommissionschefs Valdis Dombrovskis könnten sie noch vor dem 20. Juli abgeschlossen werden. Der Tag gilt als entscheidend für die Zahlungsfähigkeit Griechenlands, denn zu diesem Zeitpunkt muss Hellas rund 3,5 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) zahlen. Im Fall eines „Nein“ dürfte die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit noch weiter wachsen.

Wann ist ein Staat eigentlich pleite?

Griechenland ist schon lange zahlungsunfähig, schlittert jetzt in die Pleite, ist aber noch nicht bankrott. Verwirrend – ist aber alles irgendwie richtig. Denn wann genau eine Staatspleite wirklich eintritt, ist gar nicht so klar. Zahlungsunfähig ist Athen aktuell nur gegenüber dem IWF. Allerdings stellt der IWF seit Jahren zusammen mit der EU und der EZB durch Kredite sicher, dass Griechenland gegenüber früheren Geldgebern noch zahlungsfähig war und dass es überhaupt neues Geld bekommt. Die privaten Abnehmer griechischer Schuldenpapiere (Banken und Versicherungen vor allem) mussten 2012 schon einen teilweisen Schuldenschnitt akzeptieren. Was blieb, wird mittlerweile meist von öffentlichen Gläubigern, etwa der EZB, gehalten. Zahlt Athen auch denen keine Zinsen und Tilgungsraten mehr, ist die Staatspleite da – jedenfalls nach außen. Gegenüber dem eigenen Volk könnte sich die Regierung noch eine Weile weiterschleppen, sollten sich die Kassen irgendwann wirklich völlig leeren. Zur Not über die Ausgabe von Schuld- und Gutscheinen. Das Ende käme, wenn die Griechen die Steuerzahlungen an ihren Staat endgültig einstellen.

Wie kann ein Land überhaupt aus dem Euro ausscheiden?

Ein Austritt eines Landes aus dem Euro ist in den EU-Verträgen nicht vorgesehen. Die Verträge sehen allein einen freiwilligen Austritt aus der gesamten Europäischen Union vor. Sollte Griechenland die Gemeinschaftswährung verlassen wollen, wäre dies über folgenden Kniff denkbar: Athen tritt aus eigenen Stücken für eine „juristische Sekunde“ aus der EU aus und tritt anschließend nicht mehr der Euro-Zone bei.

Kann das Referendum überhaupt rechtlich einwandfrei durchgeführt werden?

Die griechische Regierung hat angekündigt, das Referendum wie geplant abzuhalten. Die Wahlzettel sind gedruckt.Damit das Referendum einfacher zu organisieren ist, wird dieselbe Struktur wie bei den vorgezogenen Neuwahlen im Januar genutzt. Herausfordernd sei das, aber kein Problem, erklärte Verwaltungsminister Yannis Katrougalos dem Tagesspiegel am Montag noch. Einwände, ein solcher Kraftakt sei doch innerhalb einer Woche nicht zu leisten, lässt er nicht gelten. Dennoch gibt es Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Referendums. Die Kreditgeber betonen, dass die Volksabstimmung gar keine Rechtsgrundlage mehr habe, da der Vorschlag der Geldgeber mit Ablauf des Kreditprogramms am Dienstag hinfällig sei. Auch der Europarat mahnte an, das Referendum entspräche nicht „internationalen Standards“. Die Frage sei nicht eindeutig und einfach genug gestellt, die Regierung beziehe zudem zu deutlich und einseitig Position, lautet die Kritik.

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