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Politik: Das große Schweigen

Das Schicksal der Sahara-Touristen bleibt ungewiss. Ist ein geheimes Geschäft mit den Behörden gescheitert?

In der Oasenstadt Illizi, in der südalgerischen Wüste, flüstern die Einwohner schon seit Tagen, dass eine Operation zur Befreiung der 15 verbliebenen europäischen Geiseln angelaufen ist. Nur der Ausgang der Rettungsaktion, die vom algerischen Militär durchgeführt wird, steht offenbar noch in den Sternen. Die Wüstenbewohner vom Volk der Tuareg müssen es wissen: Das Terroristenversteck, in dem zuletzt noch zehn Deutsche, vier Schweizer und ein Niederländer gefangen waren, liegt auf ihrem Territorium, rund 150 Kilometer südwestlich der Oase im unzugänglichen Tamelrikgebirge.

So sprach sich zum Wochenanfang das Gerücht herum, dass „die übrigen entführten Touristen frei sind“. Eine Nachricht, die unter der Hand dann auch noch von Fremdenführern, Militärs und sogar Diplomaten bestätigt wurde. Bis der algerische Generalstab, nach stundenlangem Zögern, einen merkwürdigen Rückzieher machte und alles als „Behauptungen“ zurückweisen ließ. „Wie erklärt sich das Dementi der Militärführung?“, fragen nun die Kommentatoren in den algerischen Tageszeitungen.

Vielleicht damit, dass schon wieder etwas schief gelaufen sein muss bei der Befreiung der Urlauber. So wie vergangene Woche, als die zweite Geiselgruppe nicht, wie eigentlich erhofft, zeitgleich mit der ersten befreit werden konnte und das Leben der Gefangenen plötzlich als „sehr gefährdet“ galt. Oder war einfach nur das Wetter im Einsatzgebiet zu schlecht, wie dem algerischen Geheimdienst nahe stehende Quellen berichteten? „Sandstürme und tief hängende Wolken haben den Einsatz von Hubschraubern und Fallschirmjägern verhindert“, hieß es da. Andere algerische Offizielle behaupteten, die Medienberichterstattung über einen bevorstehenden Angriff habe die „Befreiung im letzten Moment sabotiert“.

Nichts ist mehr überraschend

Glaubwürdig sind diese Begründungen nicht: Denn von einem geplanten Überraschungsangriff auf das zweite Geiselversteck kann schon seit längerem keine Rede mehr sein. Die Terroristen, die der islamistischen „Sulafistischen Gruppe für Predigt und Kampf“ (GSPC) zugeordnet werden, hören Radio, wie man von befreiten Geiseln der ersten Gruppe weiß. Algerische wie internationale Rundfunksender berichten seit Wochen über einen „unmittelbar bevorstehenden Angriff“ auf die Terroristen. „Ständig fliegen Hubschrauber über die Gegend, in der die Terroristen vermutet werden“, berichten Zeugen. Der militärische Aufmarsch wird den Geiselnehmern, die zudem über Späher verfügen, nicht entgangen sein.

Vor diesem Hintergrund bekommt eine weitere Information, die sich hartnäckig hält, mehr Gewicht: Demnach existieren seit Wochen geheime Kontakte zwischen den Behörden, den westlichen Regierungen und den Geiselnehmern, um die Chancen für eine diskrete Verhandlungslösung auszuloten. „Die einzige akzeptable Gegenleistung für eine Befreiung hat im Angebot des freien Geleites bestanden“, verlautete aus Sicherheitskreisen. Forderungen nach Lösegeld, die es auch gegeben haben soll, sind demzufolge nicht erfüllt worden.

„Die Terroristen sind weggelaufen“

Zu diesem Deal, war zu erfahren, könnte eine schrittweise Freilassung der Geiseln gehören. Der erste Teil des Geschäfts wäre dann vergangene Woche erfolgreich mit der Befreiung der ersten Gruppe mit zehn Österreichern, sechs Deutschen und einem Schweden erfolgreich abgeschlossen worden.

Dass es ein solches Geschäft gegeben hat, wird niemand bestätigen. Doch es ist zumindest nicht unwahrscheinlich. Dazu passen Aussagen der geretteten Geiseln, die sich mit den militärischen Kommunikees über einen gewaltsamen „Sturmangriff“ nicht recht in Einklang bringen lassen: „Die Terroristen sind weggelaufen, als die Armee auftauchte", heißt es. Und: „Sie haben unser Leben schützen wollen.“ Sie hätten nur in die Luft geschossen. Auch die „toten Terroristen“, von denen offizielle Darstellungen berichteten, hat niemand wirklich gesehen.

Und wie endet nun der zweite Teil dieses geheimen Geschäftes? Nur so viel scheint bisher klar: Die für diese Tage vorgesehene Befreiung hat sich verzögert. Weil etwas schief gelaufen ist? Weil die Verhandlungen mit der zweiten Gruppe geplatzt sind? Weil die Entführer durch Berichte über die Tötung von bis zu neun ihrer Gesinnungsgenossen beim ersten Angriff in Panik verfielen? Oder weil die Geiselnehmer mit allen oder einem Teil der Urlauber noch auf der Flucht sind? Viele Fragen zu einem Entführungsdrama, das die Welt seit Wochen in Atem hält. Und es ist gut möglich, dass sie nie vollständig beantwortet werden – selbst dann nicht, wenn alle Geiseln freikommen sollten.

Ralph Schulze[Madrid]

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