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Politik: Das große Zittern

Eine Woche vor der Wahl ist die Sorge auf dem Parteitag der FDP groß, dass es am Ende zum Regieren nicht reichen könnte

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Sieben könnte zu wenig sein. Sieben, das ist nicht nur die Zahl der Oppositionsjahre für die so regierungserfahrene FDP. Sieben ist auch die Zahl, die Wahlprognostiker sieben Tage vor der Bundestagswahl der FDP voraussagen. Und das wäre nicht nur weniger als 2002 (Ergebnis damals: 7,4 Prozent), es wäre auch ein Desaster für die liberalen Wahlkämpfer, die seit Wochen durchs Land laufen und über die „glasklare“ Wechselstimmung sprechen. Aber – eine Woche vor der Wahl gibt es kaum einen Hinweis auf die acht, neun, ja zehn Prozent, von denen die FDP-Spitze mutig vor gar nicht so langer Zeit sprach. Ein finsterer Gedanke zieht jetzt auf am liberalen Horizont: Es könnte am Ende nicht reichen zum Regieren.

Auf dem Wahlparteitag der FDP herrscht in dieser Frage am Sonntag offizielles Denkverbot. „Mut machen“ steht als Motto über der letzten großen Gelegenheit, FDP-Programmatik vor der Wahl in die Öffentlichkeit zu tragen. „Wir haben die besseren Rezepte“, sagt Fraktionschef Wolfgang Gerhardt. „Mit uns werden alle mehr Geld in der Tasche haben“, sagt Finanzexperte Hermann-Otto Solms. Und auch Parteichef Guido Westerwelle steht mit Anfeuerungsrufen nicht hinten an, beschwört einen „Mentalitätswechsel“, denn „nur mit uns kann es in Deutschland besser werden“. Noch sieben Tage kämpfen. Das ist die Botschaft vom Podium.

Unten im Saal allerdings geht, ganz leise aber merklich, die Angst um: Nur keinen Fehler mehr machen, raunen sich Funktionäre zu, kein Skandälchen, keine dummen Nachrichten produzieren. Man will nicht glauben, dass die gleichen Leute eben noch siegessicher und überzeugt waren von der Richtigkeit des schwarz- gelben Programms. Manchmal wird die Sorge sogar manifest. Da etwa, wo die Delegierten ihrem Generalsekretär Dirk Niebel den, sonst üblichen, tosenden Applaus verwehren, als der den Saal mahnt, auf die Umfragen nichts zu geben. Zaghaft klatscht es da – und manche hoch gezogene Augenbraue ließ erahnen: zu zaghaft für einen Kampfparteitag dieser Art.

Gefährlich für Westerwelle ist das Gerede von der Ampelkoalition. Und ein Alarmsignal für den Spitzenkandidaten der FDP, als am Donnerstag Joschka Fischer versuchte, ihn in dieses Bündnis zu ziehen. Ein paar Minuten erst war das TV- Duell der drei „Kleinen“ im Bundestag –, PDS, FDP und Grüne – vorbei, da zwinkerte Fischer dem FDP-Chef in der Garderobe zu. Na, macht ihr mit, wenn’s reicht mit uns? Westerwelle hat seiner Partei diesen Weg ohne Wenn und Aber abgeschnitten: „Schwarz-Gelb“, schrieb er ins Wahlmanifest, „ist die einzige Koalition, die für die FDP im nächsten Deutschen Bundestag in Betracht kommt“. Den Parteitag ließ Westerwelle über diesen Satz abstimmen, gab ihm damit ein Höchstmaß an Verbindlichkeit.

Und noch eine Abgrenzung, diesmal in Richtung Union. Eine schwarz-gelbe Regierung wird es selbst bei einem Wahlsieg nur dann geben, steht im Wahlprogramm, „wenn eine echte Netto-Entlastung der Bürger erfolgt“. Will heißen: Reicht es zum Regieren, will die FDP dafür sorgen, dass rot-grünes Gewurschtel nicht durch schwarz-gelbes abgelöst wird.

Die Liberalen, das atmete dieser Parteitag, sind sauer auf ihren Wunschpartner von der Union. Vor allem auf deren Entscheidung, „diesen Professor aus Heidelberg“, wie Kanzler Gerhard Schröder Paul Kirchhof nennt, zum künftigen Finanzminister auszurufen. Denn Kirchhofs unkontrolliertes Gerede über sein eigenes Steuermodell schürt seit Wochen im Wahlvolk den Verdacht, Schwarz-Gelb werde, wie Rot-Grün, trotz aller Ankündigungen den Leuten nach der Wahl auch bloß schamlos in die Tasche greifen.

Mit keinem einzigen Wort wurde der Name „Kirchhof“ deshalb auf dem Parteitagspodium genannt. Ganze vier Stunden lang nicht. Und das, obwohl gerade jener Kirchhof beim letzten Parteitag der FDP in Köln nach einstündiger Rede zum Star der deutschen Liberalität erklärt worden war. Finanzkompetenz, sagte Westerwelle jetzt in Berlin lediglich, strahle Hermann-Otto Solms aus, weil der statt „einiger theoretischer Thesen“ wisse, was praktische Steuerpolitik heiße.

Solms findet sich denn auch in dem „Kompetenzteam“, das Westerwelle zum Abschluss nach dem Vorbild Angela Merkels präsentierte. Neben ihm: Wolfgang Gerhardt für Außenpolitik, Rainer Brüderle für Wirtschaft, Cornelia Pieper für Forschung und Bildung, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für Bürgerrechte, Dirk Niebel für Arbeit und Birgit Homburger für Umwelt.

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