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Keiner kommt hier schnell wieder raus: Das US-Gefängnis Guantanamo in Kuba.

© dpa

Das Guantanamo-Tagebuch: Geschichten aus der US-Folterkammer

Mohamedou Ould Slahi sitzt seit zwölf Jahren in Guantanamo. Beobachter versichern, dass er eigentlich unschuldig ist. Der Mauretanier hat seine Geschichte hinter Stacheldraht aufgeschrieben.

Sie zogen ihm Windeln an, folterten ihn über Jahre mit Waterboarding und Schlafentzug, misshandelten ihn sexuell, ließen ihn frieren, beleidigten seinen Gott und drohten, seiner Mutter etwas anzutun. Der Mauretanier Mohamedou Ould Slahi ist bereits mehr als ein Jahrzehnt im US-Hochsicherheitstrakt auf Guantanamo in Kuba inhaftiert. Ohne Anklage. Ohne das Recht auf eine adäquate Verteidigung. Und ohne die Aussicht, bald freizukommen. Ould Slahi hat in der Haft ein Tagebuch geschrieben, das er 2005 mit der Bitte um Veröffentlichung nach Washington schickte. Die US-Regierung und ihre Geheimdienste haben seitdem mit allen legalen und auch illegalen Mitteln versucht, die Veröffentlichung zu verhindern.

Menschenrechtler, Journalisten und Anwälte kämpften jahrelang gegen die US-Sicherheitsbürokratie und für die Veröffentlichung. Ab Dienstag ist das „Guantanamo Tagebuch“ von Mohamedou Ould Slahi weltweit in 16 Sprachen, auch auf Deutsch, erhältlich. Das Tagebuch gibt einen Einblick, wie eine große Nation, die sich wie keine andere mit Demokratie und Menschenrechten identifiziert, im Sicherheitswahn all ihre Werte über Bord wirft und selbst zum Täter wird.

Handschriftlich verfasste der heute 44-Jährige seinen Bericht auf 466 Seiten in Englisch, der Sprache seiner Folterer. Der US-Autor und Menschenrechtsaktivist Larry Siems lektorierte in minutiöser, monatelanger Arbeit das Manuskript von Ould Slahi. „Für mich, den Herausgeber, und andere Personen gab es keine Gelegenheit, mit Mohamedou Kontakt aufzunehmen“, schreibt Siems im Vorwort. Er hoffe, dass dieses Buch im Sinne von Ould Slahi sei. Die US-Behörden rückten die Ursprungsversion aus Sicherheitsgründen nur zensiert und von einem Gericht gezwungen heraus. Ganze Seiten sind im Buch im Sinne der „Sicherheit der Nation“ geschwärzt.

Es gibt nicht viele Bilder von ihm. Mohamedou Ould Slahi in jungen Jahren.
Es gibt nicht viele Bilder von ihm. Mohamedou Ould Slahi in jungen Jahren.

© International Committee of the Red Cross

Zwölf Jahre Folter und Ungewissheit

Angefangen hat die Tortur von Mohamedou Ould Slahi eigentlich mit einer guten Nachricht. Er war ein herausragender Schüler und bekam deswegen Ende der achtziger Jahre ein Stipendium, um in Duisburg Elektrotechnik zu studieren. Der 18-jährige Mohamedou aus dem kleinen Rosso an der mauretanisch-senegalesischen Grenze war der Erste aus seiner Familie, der studieren konnte, und der Erste, der in ein Flugzeug stieg.

1989 brach in Afghanistan wieder einmal ein Krieg aus. Die USA wollten die Ausbreitung des damaligen Feindes, der kommunistischen Regierung in Kabul. eindämmen. Das Pentagon und die CIA lieferten den Kämpfern im Namen Allahs Waffen und militärische Ausbildung. Dem Ruf, gegen die „ungläubigen Kommunisten“ zu kämpfen, folgten tausende Männer aus der ganzen Welt.

So tat es auch Mohamedou Ould Slahi. Er schwor den Taliban und der mit ihnen verbundenen Al Qaida den Treueeid. Als der Kommunismus Geschichte wurde und die Taliban ihren neuen Erzfeind, die USA, entdeckten, war Ould Slahi nicht mehr in Afghanistan dabei. Dies und seine anderen Schilderungen werden in veröffentlichten US-Geheimdienstprotokollen bestätigt. Alle Hinweise, auch die Wikileaks-Akten aus dem Jahr 2011, lassen keine Zweifel: Mohamedou Ould Slahi sagt die Wahrheit, wenn er beteuert, dass er nicht in die Anschläge vom 11. September 2001 verwickelt war.

Jedes US-Zivilgericht bräuchte nicht lange um ihn freizusprechen

Gefangene auf Guantanamo.
Gefangene auf Guantanamo.

© DPA

Nach einem Arbeitsaufenthalt in Kanada wurde er im November 2001 in Mauretanien festgenommen. „Wir dachten, wir hätten einen dicken Fisch an der Angel“, werden hohe US-Offiziere zitiert. Ould Slahi wird verschleppt, landet im Jahr 2002 im berüchtigten US-Hochsicherheitsgefängnis Guantanamo. Sechseinhalb Jahre fehlt von Ould Slahi jedes direkte Lebenszeichen, bevor er im Jahr 2008 seine Mutter anrufen darf.
Die Beweise gegen Ould Slahi, demnach er in andere Attentate gegen die USA verwickelt sei, sind dünn.

Die Beweise, dass er gefoltert wurde, schwerwiegend. Jedes US-Zivilgericht bräuchte nicht lange, um die Anschuldigungen gegen ihn aufzuheben. Die meisten Beobachter – auch diejenigen, die sich in den USA der Terrorismusbekämpfung mit allen Mitteln verschrieben haben – sind sich sicher, dass Mohamedou Ould Slahi unschuldig ist.

Die Regierung von US-Präsident George W. Bush kümmerte dies aber wenig. Sein Nachfolger Barack Obama verspricht zwar bei seinem Amtsantritt, Guantanamo schließen zu wollen, verhindert aber gleichzeitig, dass Ould Slahi freikommt.

Schon 2010 ordnete ein US-Bundesgericht seine Freilassung an. Das US-Justiministerium legte aber Einspruch ein. Mohamedou Ould Slahi ist heute noch Häftling Nummer 760 auf Guantanamo Bay.

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