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Politik: „Das hat mit Meckern nichts zu tun“

Peter Müller über die Ministerpräsidenten und den Rüttgers-Vorschlag zur Arbeitslosenversicherung

Herr Müller, sind Sie nach einem Jahr großer Koalition froh, dass Sie nicht Bundesminister geworden sind?

Große Koalition ist der Zwang zum permanenten Kompromiss. Wenn man das in Rechnung stellt, sind die bisherigen Ergebnisse der großen Koalition ordentlich und vorzeigbar.

In Schulnoten heißt das vier plus?

Nein. Die Lage ist besser als die Stimmung. Die Arbeitslosigkeit geht zurück, bei der Konsolidierung des Haushalts sind wir einen riesigen Schritt vorangekommen, die Wirtschaft wächst, das Elterngeld ist eingeführt.

Warum ist die Stimmung so schlecht?

Viele hatten die falsche Vorstellung, dass große Koalition gleichbedeutend ist mit großer Veränderung. Wenn zwei Volksparteien mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen zusammenarbeiten, sind die Handlungsspielräume begrenzt. Bei den Menschen ist deshalb eine realistische, manche ernüchternde Wahrnehmung eingetreten. Außerdem verlangen die Maßnahmen zur Konsolidierung der Staatsfinanzen den Menschen Opfer ab. Das hat in Verbindung mit den zum Teil quälenden Meinungsbildungsprozessen in der Koalition zum Missvergnügen beigetragen. Ich glaube aber, dass das besser wird, je mehr sich zeigt, dass diese Politik zu positiven Ergebnissen führt.

Was kann die Koalition besser machen, um der Ernüchterung entgegenzuwirken?

Die Koalition sollte den Blick stärker darauf lenken, dass wir vorankommen. Wir haben in Deutschland eine Tendenz, alles, was gut ist, als selbstverständlich abzuhaken und uns nur mit dem zu beschäftigen, was nicht funktioniert.

Nur wenn die Koalition sich mal selber lobt, gibt es immer irgendeinen Ministerpräsidenten, der etwas zu meckern hat.

Im Interesse der Sache war es – beispielsweise bei der Gesundheitsreform, aber auch in anderen Fragen – notwendig, auf Verbesserungsbedarf hinzuweisen. Das hat mit „Meckern“ nichts zu tun. Auch die Ministerpräsidenten sind schon im eigenen Interesse am Erfolg der Koalition interessiert.

Ist Deutschland nicht regierbar?

Ich bestreite, dass es die Konstellation gibt, die Sie mit Ihrer Frage unterstellen: auf der einen Seite die Bundesregierung und auf der anderen die Ministerpräsidenten, die Querschüsse produzieren. Die Ministerpräsidenten vertreten die Interessen ihrer Länder und bringen sich konstruktiv ein. Das schließt sachliche Kritik zur Herbeiführung besserer Ergebnisse ein.

Aber wer regiert denn dieses Land?

Deutschland wird nicht von einem oder einer regiert. Eine Erfahrung unserer Geschichte ist, dass es diesem Land gut tut, wenn Macht horizontal und vertikal verteilt ist und nicht zu viel Macht unkontrolliert in einer Hand zusammenläuft.

Sind die Bürger nicht auch deshalb so unzufrieden, weil so viel gestritten wird?

Das glaube ich nicht. Es geht nicht um Streit, sondern darum, inhaltlich gute Ergebnisse zu vereinbaren. Die Politik hat in der Vergangenheit einen Fehler gemacht: Wir haben den Eindruck erweckt, dass wir alle Probleme lösen können. Damit wird der Widerspruch zwischen der Erwartung an Politik und dem, was Politik tatsächlich leisten kann, größer. Das ist ein Quell der Vertrauenskrise.

NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat aus dem schlechten Wahlergebnis bei der Bundestagswahl die Lehre gezogen, dass die CDU sich von ihren Lebenslügen verabschieden müsse.

Jürgen Rüttgers hat eine in der Sache richtige und notwendige Debatte angestoßen. Der Terminus Lebenslüge war aus meiner Sicht verfehlt, weil er auf den Satz bezogen war: Wenn man Steuern senkt, entstehen automatisch Arbeitsplätze. Das hat doch niemand in der CDU ernsthaft vertreten. Richtig ist aber, dass die CDU die Partei sein muss, die für ökonomische Effizienz und soziale Gerechtigkeit steht.

Sie unterstützen Rüttgers’ Vorschlag, länger Arbeitslosengeld für Ältere zu zahlen. Erklären Sie uns, warum die CDU in Dresden beschließen soll, was seit dem Parteitag in Düsseldorf 2004 Beschlusslage ist.

Die große Koalition orientiert sich leider nicht an den Beschlüssen des Düsseldorfer CDU-Parteitags. Das liegt nicht an der Union, sondern an der SPD. Ich halte es für richtig, dass die CDU noch einmal deutlich macht, wofür sie steht. Wer länger in die Arbeitslosenversicherung einzahlt, soll länger Arbeitslosengeld erhalten. Die Politik hat Hartz IV mit dem Versprechen eingeführt, jedem arbeitsfähigen und arbeitswilligen Menschen einen Arbeitsplatz innerhalb eines Jahres anzubieten. Das hat bisher nicht funktioniert. Deshalb besteht Änderungsbedarf.

Rüttgers sagt, sein Vorschlag sei aufkommensneutral. Wer zahlt dann die Zeche?

Diejenigen, die nicht so lange Beiträge gezahlt haben, erwerben kürzere Ansprüche. Ich halte das für vertretbar. Wer länger Solidarität geübt hat, hat auch einen höheren Anspruch darauf, länger Arbeitslosengeld zu bekommen.

Fürchten Sie nicht, dass es wieder mehr Frühverrentung geben wird?

Die Debatte geht an der Wirklichkeit vorbei. Ich glaube nicht, dass die längere Bezugsdauer einen 55-Jährigen davon abhält, Arbeit anzunehmen.

Das Interview führten Robert Birnbaum und Cordula Eubel.

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